Am 9. April 1945 wurde Dietrich Bonhoeffer, eiener der bedeutensten Theologen des deutschen Sprachraums im KZ Flossenbürg hingerichtet. Ulrich Körtner, evangelischer Theologe in Wien würdigt ihn auf communio.de
Heute vor 80 Jahren wurde Dietrich Bonhoeffer auf ausdrücklichen Befehl Hitlers im KZ Flossenbürg hingerichtet. Der protestantische Theologe war und bleibt einer der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts und ein mutiger Widerstandskämpfer gegen die nationalsozialistische Ideologie. Anlässlich dieses Jahrestages beleuchtet Ulrich H. J. Körtner, Professor für Systematische Theologie an der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, in einem Beitrag auf communio.de das facettenreiche Leben, das fragmentarische theologische Werk und die bis heute kontroverse Rezeption Bonhoeffers. Körtner würdigt Bonhoeffer zunächst als eine „in jeder Hinsicht außergewöhnliche Existenz“, dessen Martyrium im Kampf gegen das nationalsozialistische Regime ihn zu einer prägenden Figur des 20. Jahrhunderts machte. Mit seiner Hinrichtung am 9. April 1945 nur wenige Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, teilt er das Schicksal seines Bruders und seiner beiden Schwäger, die wie er dem Widerstand gegen Hitler angehörten.
Körtner beleuchtet Bonhoeffers inneren Weg anhand seines Gedichts "Stationen auf dem Weg zur Freiheit", das im Gefängnis entstand. Diese vier Stationen – Zucht, Tat, Leiden, Tod – werden als Leitmotiv seines Lebens und seines Verständnisses von Freiheit interpretiert. Der Tod erscheint hier nicht als Ende, sondern als "höchstes Fest auf dem Wege zur ewigen Freiheit", ein Übergang zur unmittelbaren Gotteserkenntnis. Dieser tiefgreifende Glaube an die transzendierende Kraft des Todes prägte Bonhoeffers Haltung angesichts der Bedrohungen seines Lebens.
Ein zentraler Aspekt von Körtners Analyse ist die Betonung der Fragmenthaftigkeit von Bonhoeffers theologischem Werk und seines Lebens selbst. Trotz eines monumentalen Nachlasses von 17 Bänden blieben viele seiner Gedanken unvollendet, was zu einer teils höchst kontroversen Rezeption führte. Insbesondere seine Überlegungen zu einem "religionslosen Christentum" und seine unvollendete Ethik bieten Interpretationsspielraum. Körtner zitiert Bonhoeffer selbst, der im Angesicht der Zerstörungen des Krieges die Bruchstückhaftigkeit des Lebens seiner Generation besonders stark empfand, im Fragment aber auch den Verweis auf eine höhere, menschlich nicht mehr zu leistende Vollendung sah.
Kritisch geht der Autor auf die unterschiedlichen Versuche ein, Bonhoeffer für gegenwärtige ideologische Auseinandersetzungen zu vereinnahmen. Er kritisiert nachdrücklich die Instrumentalisierung Bonhoeffers durch die amerikanische Neue Rechte, die ihn fälschlicherweise als Vorkämpfer gegen den liberalen Zeitgeist stilisiert und ihn in irreführender Weise mit Waffen darstellt. Körtner betont die entschiedene Distanzierung von Bonhoeffers Familie von solchen Verdrehungen und zitiert ihren offenen Brief, in dem sie ihn als friedliebenden und freiheitlich gesinnten Menschenfreund charakterisieren, der rechtsextreme und gewalttätige Bewegungen aufs Schärfste kritisiert hätte.
Im Hinblick auf Bonhoeffers theologisches Erbe diskutiert Körtner dessen Konzept der "Kirche für andere". Er warnt davor, diese Idee auf eine rein ethische Dimension zu reduzieren, wie es in manchen protestantischen Kreisen geschehe. Körtner betont, dass die Kirche, um für andere da sein zu können, zunächst eine lebendige Gemeinschaft des Glaubens und des Heiligen Geistes sein müsse. Auch Bonhoeffers späte theologische Ansätze werden differenziert betrachtet, wobei Körtner hervorhebt, dass Bonhoeffer trotz seiner Reflexionen über ein "religionsloses Christentum" zutiefst von der persönlichen Begegnung mit Gott überzeugt war. Von daher sind spätere Versuche, Bonhoeffer für die "Gott ist tot"-Theologie der 7oer Jahre zu vereinnahmen, problematisch zu beurteilen.
Ein weiterer wichtiger Gedanke Körtners betrifft die Bedeutung des Wartens auf Gottes Zeit, insbesondere in der heutigen Situation, die er als eine Krise von Theologie und Kirche, ja sogar als eine "Gotteskrise" bezeichnet. Er verweist auf Bonhoeffers Brief an sein Patenkind, in dem dieser in einer Zeit der "Gottvergessenheit" die Notwendigkeit betont, auf Gottes erneuerndes Wort und sein Eingreifen in die Welt zu warten. Körtner erweitert die oft zitierte Formel "Beten und Tun des Gerechten" um dieses dritte, essenzielle Element des Wartens. Theologie und Kirche sieht er in dieser Haltung nicht in Resignation verharrend, sondern in einer Haltung höchster Erwartung.
Abschließend betont der Wiener Theologe die bleibende Aufgabe der Theologie angesichts gegenwärtiger Erfahrungen des scheinbaren Schweigens Gottes. Sie bestehe nicht nur darin,“ die Erinnerung an Gottes früheres Reden wachzuhalten, sondern auch an der biblischen Verheißung seines zukünftigen Kommens festzuhalten“. Andernfalls drohe Theologie, sich in reine Ethik oder Kulturwissenschaft zu verlieren. Eine "wartende Kirche" sei dabei keine passive, sondern eine arbeitende Kirche, deren Theologie dazu diene, ein Christsein einzuüben, das Beten, gerechtes Handeln und das geduldige Warten auf Gottes Zeit umfasst.
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