Im Namen der Kirche entschuldigte sich Papst Johannes Paul II. vor Gott für Fehlleistungen von Gläubigen gegen Toleranz, Ökumene, gegen Frieden und Menschenrechte, gegen die Würde der Frau.
Im Namen der Kirche entschuldigte sich Papst Johannes Paul II. vor Gott für Fehlleistungen von Gläubigen gegen Toleranz, Ökumene, gegen Frieden und Menschenrechte, gegen die Würde der Frau.
"Mea culpa" für Fehler von Kirche und Gläubigen in der Geschichte war eine der herausragenden und zugleich umstrittensten Initiativen von Johannes Paul II. zur Jahrtausendwende. Von Johannes Schidelko.
Es war ein schlichtes Fürbittgebet, aber es war einer der Höhepunkte des Heiligen Jahres 2000. In einem nüchternen Zeremoniell sprach Papst Johannes Paul II. (1978-2005) am 12. März 2000 zu Beginn der Fastenzeit im Petersdom ein Schuldbekenntnis und eine Vergebungsbitte für Sünden von Katholiken in der Geschichte. Im Namen der Kirche entschuldigte er sich vor Gott für Fehlleistungen von Gläubigen gegen Toleranz, Ökumene, gegen Frieden und Menschenrechte, gegen die Würde der Frau.
Besonders eindringlich war das Schuldbekenntnis im Verhältnis zu den Juden: "Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen, dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes."
Es war eine große prophetische Geste des Papstes und ein bedeutsamer Akt der Kirche am Beginn des dritten Jahrtausends. Die Vergebungsbitte war kein Tribunal, keine große Abrechnung mit einzelnen Personen, Gruppen oder Ideen. Es fiel kein Name, es gab keinen Hinweis auf Inquisition, Hexenverbrennung, Kreuzzüge oder Galilei, wie mancher erwartet hatte.
Der Papst und sieben Kurienkardinäle - unter ihnen auch Joseph Ratzinger als damaliger Präfekt der Glaubenskongregation - sprachen grundsätzlich von "Methoden der Intoleranz", zu denen Gläubige beim Einsatz für die Wahrheit griffen. Sie beklagten, dass Katholiken statt der von Gott gewünschten Einheit Gegensätze und Spaltungen geschaffen hätten. Dass sie allzu oft der "Logik der Gewalt" nachgegeben, Stämme und Völker diskriminiert, ihre Kulturen und religiösen Traditionen verachtet und ihre Rechte verletzt hätten. Sie erbaten dafür Gottes Erbarmen und riefen zu Versöhnung, Reue, Umkehr und Neuanfang auf.
Die Zeremonie begann mit einer Bußprozession durch die Heilige Pforte und einem Gebet an der Pieta Michelangelos. Der damals fast 80-jährige, von seiner Krankheit gezeichnete Johannes Paul II. ließ sich auf einer fahrbaren Plattform durch den Dom schieben. Die siebenteilige Vergebungsbitte erfolgte vor einem alten Holzkruzifix aus der Stationskirche San Marcello. Die Kurienvertreter trugen die Fehler vor, der Papst schloss eine Vergebungsbitte mit einem Besserungsgelöbnis an. Nach jeder Fürbitte ertönte der Bittruf "Kyrie eleison", dabei wurde vor dem Kreuz ein Licht entzündet. Am Ende des Gebets umarmte und küsste der Papst das Kruzifix - zum Zeichen der Reue und der Verehrung.
In seiner Predigt stellte der Papst klar: Die Christen von heute sollten, nach sorgfältiger theologischer und historischer Überprüfung, die Schuld von Christen in der Vergangenheit wie in der Gegenwart anerkennen. Auch wenn man nicht persönliche Verantwortung trage: Aufgrund der Verbundenheit der Christen im mystischen Leib Christi "tragen wir in uns die Last der Irrtümer und Schuld der Vorfahren".
Das "Mea culpa" galt als revolutionär. Kirchenleute und Medien lobten den Mut des Papstes, der in einer "demütigen, nichts fordernden, einseitigen Geste um Vergebung" bat. Der "Tag der Vergebung" markiere den "endgültigen Übergang vom Triumphalismus zum Nachdenken, vom Absolutismus zur Demut".
Aber es gab auch Bedenken gegen die Initiative, die der Papst schon 1994 bei der Ankündigung des "Anno Santo" von 2000 ins Gespräch gebracht hatte. Die Kirche könne nicht "die Schwelle des neuen Jahrtausends überschreiten, ohne ihre Kinder dazu anzuhalten, sich durch Reue von Irrungen, Treulosigkeiten, Inkonsequenzen und Verspätungen zu reinigen", betonte er.
Dagegen meinten Kritiker, man könne kirchliches Handeln früherer Epochen nicht nach heutigen Maßstäben beurteilen. Fremde Sünden könne man nicht bereuen, man dürfe sich nicht zum Richter über frühere Gläubige aufschwingen. Man könne nicht anderen an die Brust schlagen, die längst tot sind. Zudem wäre ein solches Schuldbekenntnis Missdeutungen und Manipulationen ausgesetzt.
Ein reuiger Papst könnte Christen in islamischen Ländern angreifbar machen. Vor allem aber bleibe die Frage, wie man zwischen den Verfehlungen einzelner Menschen und der Heiligkeit der Kirche klar unterscheiden könne. Auf keinen Fall sollte der Eindruck entstehen, die Kirche gestehe mit dem "Mea culpa" eine Fehlbarkeit ihrer Entscheidungen in Dogmatik und Morallehre ein.
Der Vatikan schaltete Experten ein, Theologen aus aller Welt berieten über Chancen und Risiken eines solchen Bußakts. Zu besonders komplexen Themen wie Inquisition oder Judenverfolgung wurden hochkarätige Fachtagungen zusammengerufen. Zuletzt prüfte die Internationale Theologenkommission in einem 40-seitigen Grundsatzpapier ("Erinnern und Versöhnen"), warum und in welcher Form die Kirche um Vergebung für vergangene Verfehlungen bitten könne.
Schließlich gaben die Theologen unter Glaubenspräfekt Ratzinger grünes Licht: Die Vergebungsbitte stärke die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche in der Welt. Sie sei kein "Tribunal über die Sünden der Vergangenheit", sondern sollte der Beginn der eigenen Bekehrung für die heutigen Christen sein. Freilich dürfe das Schuldbekenntnis nicht zu einer "falschen Bescheidenheit" führen. Die Kirche könne nicht Sünden anerkennen, die sie nicht begangen habe. Neben der objektiven Schuld müsse auch das viele Gute gesehen werden, das Gott durch die Kirche in 2.000 Jahren gewirkt habe.
Eine Fortsetzung und konkrete Umsetzung erfuhr der "Tag des Vergebens" genau zwei Wochen später - in Jerusalem. Zum Abschluss seiner Pilgerreise ging Johannes Paul II. zur Klagemauer, und schob den Text seiner Vergebungsbitte in eine Spalte zwischen den antiken Steinquadern.