Der "Jahrtausendpapst" würde nun 100 Jahre alt - Von Ludwig Ring-Eifel
Vor 15 Jahren starb Johannes Paul II. am 2. April 2005 nach schwerer Krankheit. Tags darauf feierte sein langjähriger Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano einen Gottesdienst auf dem Petersplatz und erinnerte in einer emotionalen Predigt an den verstorbenen Papst. Im vorbereiteten Predigttext ging er so weit, ihn als "Johannes Paul der Große" zu bezeichnen. Dieser Ehrentitel ist bislang nur ganz wenigen zuteil geworden: Die epochemachenden Päpste Leo I. (gestorben 461) und Gregor I. (gestorben 604) sind als erste mit diesem Beinamen in die Geschichte eingegangen; die Latte lag also hoch.
Am 18. Mai wäre Johannes Paul II. 100 Jahre alt. Um zu beurteilen, ob der einzige Papst aus Polen tatsächlich den Titel "der Große" verdient hat, wird man noch viele Jahre warten müssen. Erst dann kann man sehen, ob die Anstöße, die er gegeben und die Entwicklungen, die er beeinflusst hat, auch aus der Sicht späterer Generationen als epochal gelten. Dennoch kann man schon jetzt, im Abstand von zwei weiteren Pontifikaten, deutlicher erkennen, welche seiner Taten, Worte und Gesten wohl in die Geschichtsbücher eingehen und welche nicht.
Drei Faktoren waren entscheidend für die herausragende Stellung, die der Mann aus Wadowice einnimmt. Der eine ist die schiere Länge seines Pontifikats: Mehr als ein Vierteljahrhundert, von 1978 bis 2005, war er Haupt und Gesicht der katholischen Kirche.
Frühere Päpste hätten in einem solchen Zeitraum Kathedralen, Universitäten und Bibliotheken gestiftet. Johannes Paul II. hat in seinem Vierteljahrhundert anderes hinterlassen: Rastlos hat er die Welt bereist und vor Milliarden Gläubigen gepredigt. Er hat den Vatikan modernisiert. Er hat ein neues Gesetzbuch für die Kirche erlassen und im neuen Katechismus der Katholischen Kirche den Stand der Glaubenslehre am Ende des 20. Jahrhunderts festgehalten. Und er hat in 14 Enzykliken die katholische Dogmatik insbesondere in Fragen der Gesellschafts- und Morallehre weiterentwickelt.
Herkunft und Kairos
Neben der Dauer des Pontifikats, das der Papst mit so großem Arbeitseifer ausfüllte, gab es zwei weitere entscheidende Faktoren. Der eine ist seine Herkunft, der andere der geschichtliche Moment, in dem er wirkte. Weil er als Pole Papst wurde und weil die katholische Kirche in Polen im Ostblock-Imperium die einzige gesellschaftliche Gegenmacht von einer gewissen Stärke war, konnte er hier einen politischen Hebel ansetzen: Er konnte den polnischen Widerstand ideell und materiell so stärken, dass der Ostblock in Polen Anfang der 1980er Jahre den ersten tiefen Riss bekam. Bis zum Einsturz des großen Völkergefängnisses dauerte es dann nur wenige Jahre, und der Beitrag des Papstes aus Polen wird auch von jenen anerkannt, die mit ihm nur wenige Überzeugungen teilen.
Die Herkunft des Papstes aus dem Süden Polens ist auch der Schlüssel zu einer weiteren bleibenden Leistung: der Annäherung der Kirche an die Juden, die er mit dem Wort eines polnischen Dichters als "die älteren Brüder im Glauben" bezeichnete. Schon in Wadowice hatte der junge Wojtyla das friedliche Miteinander von Katholiken und Juden praktiziert. Als junger Mann rettete er einer aus dem Todeslager Auschwitz befreiten Jüdin das Leben. Der erste Besuch eines Papstes in einer Synagoge (1986) und an der Tempelmauer in Jerusalem (2000) - das sind Gesten, die Jahrhunderte überdauern.
Während diese historischen Leistungen Johannes Pauls II. unumstritten sind, polarisierte sein Wirken innerhalb der katholischen Kirche schon zu Lebzeiten, und es polarisiert weiter. Wieder sind die Faktoren Zeit und Herkunft entscheidend. Für die einen war es seine Stärke, dass er aus der polnischen Kirche stammt, die noch nicht von postmoderner Beliebigkeit befallen war. Aus ihrer Sicht hat er es wegen dieser Verwurzelung geschafft, die nach den Veränderungen der 1960er und 70er Jahre tief verunsicherte katholische Kirche wieder auf Kurs zu bringen.
Für die anderen ist genau das seine größte Schwäche: Weil er aus Polen kam, hat er die Chancen und Herausforderungen der Kirche in der pluralen Gesellschaft nicht verstanden und ein konservatives Rückzugsdenken eingeleitet, das nun mit einer neuen Reformanstrengung überwunden werden soll. Kritiker werfen Johannes Paul II. auch vor, dass er in der Missbrauchskrise versagt habe, die in der Spätphase seines Pontifikats in den USA und in Irland bereits massiv ausgebrochen war.
Dieser Schatten und die anhaltenden Diskussionen um sein theologisches Erbe schmälern nicht die historischen Verdienste des Papstes aus Polen. Doch sie zeigen, dass die Kirche mit gutem Grund vor der Heiligsprechung eines Verstorbenen lange Zeiträume des Wartens und des Forschens verlangt.