Wenn Papst Franziskus also in Zeiten der Corona-Pandemie zu einem gemeinsamen Gebet aller Religionen aufruft, so bewegt er sich auf den Pfaden, die Johannes Paul II. als Erster beschritten hat.
Wenn Papst Franziskus also in Zeiten der Corona-Pandemie zu einem gemeinsamen Gebet aller Religionen aufruft, so bewegt er sich auf den Pfaden, die Johannes Paul II. als Erster beschritten hat.
Dogmatiker Niewiadomski: "Dass man im 21. Jahrhundert die Frömmigkeit und das Sozialengagement nicht mehr gegeneinander ausspielen kann" ist Erbe des Pontifikats von Karol Wojtyla.
Die bedeutende Rolle von Johannes Paul II. für die christliche Soziallehre hat der Theologe Jozef Niewiadomski betont. Der 2014 heiliggesprochene Papst habe diese mit seinen drei Sozialenzykliken "aus dem Winkel der katholischen Tradition ins Zentrum gerückt". Es sei "das Erbe dieses Pontifikates, dass man im 21. Jahrhundert die Frömmigkeit und das Sozialengagement nicht mehr gegeneinander ausspielen kann", so der aus Polen stammende frühere Dekan der Katholisch-Theolgischen Fakultät der Universität Innsbruck. Er würdigte am Freitag im Interview der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen und einem Beitrag in der Wochenzeitung "Die Furche" die anhaltend wirkmächtigen Spuren von Johannes Paul II., der am kommenden Montag 100 Jahre alt geworden wäre.
So verdanke die Kirche dem "polnischen Papst" auch den Grundsatz, dass Menschenrechte den Weg des Evangeliums anzeigen, schilderte Niewiadomski. Johannes Paul II. habe damit aber nicht die "bürgerliche Mentalität, die Rechte für sich reklamiert", gemeint, sondern die Bereitschaft, sich für Rechte anderer einzusetzen.
Insgesamt habe Johannes Paul II. der Kirche ein bleibendes Erbe hinterlassen, das gleichzeitig den entscheidenden roten Faden seiner mit den Jahren von 1978 bis 2005 ein Vierteljahrhundert umfassenden Amtszeit darstelle, so der Theologe weiter. "Es ist dies die durchaus moderne christologische Fundierung der im Konzil begonnenen und durch sein Pontifikat Wirklichkeit gewordenen Revolution im Verständnis dessen, was Katholizität in einer globalisierten Welt bedeuten kann."
Das von Johannes Paul II. im Jahr 2000 gesprochene Schuldbekenntnis für die historischen Verfehlungen der Kirche sei "unter dogmatischer Rücksicht" genauso eine Revolution im Verständnis dessen, was Kirche ist, wie das vom Papst 1986 einberufenen interreligiöse Weltfriedenstreffen in Assisi. Mit der Einladung zu dem Gebetstreffen etwa, zu dem christliche wie nichtchristliche Vertreter ins italienische Assisi kamen, habe sich Johannes Paul II. damals "wahnsinnig weit" vorgewagt, es sei in der Kirche "ein Schock für viele" gewesen, erinnerte der Theologe.
Niewiadomski verwies dazu auf eine Zusammenschau der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) über die Religionsfreiheit (Dignitatis humanae) und die Kirche in der Welt von heute (Gaudium et Spes), an denen Karol Wojtyla als damaliger Krakauer Erzbischof intensiv mitgearbeitet hatte. Demnach kann es etwa für Christen keine Grenze für den Dialog und für das gemeinsame Zeugnis in Sachen Frieden und Gerechtigkeit, Menschenrechte und Gewaltverzicht geben.
"Logische Folge" dieser konziliaren Glaubensgrundsätze seien auch die Besuche Johannes Pauls II. in der römischen Synagoge (1986) und an der Klagemauer (2000), aber auch das Küssen des Koran in der Umayyaden-Moschee in Damaskus (2001) gewesen. Wenn Papst Franziskus also in Zeiten der Corona-Pandemie zu einem gemeinsamen Gebet aller Religionen aufrufe, "so bewegt er sich auf den Pfaden, die Johannes Paul II. als Erster beschritten hat", hielt Niewiadomski fest.
Auch anderswo erkennt der Theologe eine große Verbundenheit zwischen den beiden Päpsten. So bewertet Niewiadomski das Thema Barmherzigkeit für entscheidend: "Wenn Franziskus heute permanent sagt, dass man an die Ränder gehen soll, ist das nichts anderes als das, was wir in den 1950er Jahren bereits bei Wojtyla finden: 'Ich gehe den Armen nach!'"
Auch sei die "Jahrhundertpersönlichkeit" Johannes Paul II. ein "hochpolitischer Mensch und frommer - sich von der mystischen Erfahrung angezogen fühlender - Zeitgenosse" gewesen. "Die Bedeutung seiner Erkenntnis, dass absolut gesetzte Gerechtigkeit zur Barbarei führen kann, die Gerechtigkeit deswegen auch immer in der viel größeren Barmherzigkeit aufgehoben werden muss, verdankte er der Mystik", erklärte Niewiadomski. Auch in dieser Hinsicht sei der lateinamerikanische Papst Franziskus ein "treuer Schüler" des polnischen Pontifex.