Im Darm steuert ein großes Nervensystem größtenteils unabhängig vom Gehirn die Verdauung.
Im Darm steuert ein großes Nervensystem größtenteils unabhängig vom Gehirn die Verdauung.
„Dass das Hirn auf den Bauch etwa bei Stress wirkt, ist bekannt“, sagt Peter Holzer, Professor für Experimentelle Neurogastroenterologie an der Medizinischen Universität Graz. „Aber umgekehrt gibt es einen riesigen Informationsstrom vom Magen-Darm-Trakt zum Gehirn.“ Ein "SONNTAG"- Interview
Wie kommunizieren Darm und Hirn miteinander?
Peter Holzer: Es sind sensible Nerven, die den Magen-Darm-Trakt durchziehen, auf chemische und mechanische Reize empfindlich sind und die Information über die Nervenbahnen an das Gehirn liefern.
Dazu kommen weitere Informationsschienen: Der Darm produziert eine große Zahl von Hormonen, die auf dem Blutweg ins Gehirn kommen, dort Appetit, Hunger, Sattheitsgefühl mitbestimmen.
Aber, wie wir seit kurzem wissen, auch Emotionen und Stimmungslagen mitbeeinflussen können. Es gibt ein riesiges Immunsystem im Darm, deren Existenz auch schon länger bekannt ist.
Man hat sich immer wieder gefragt, warum gibt es das?
Wir wissen, dass im Darm so viele Mikroben, Bakterien, Pilze im ganz normalen, gesunden Leben vorhanden sind. Es ist klar, dass ein Immunsystem da sein muss, um die doch fremden Organismen, obwohl sie in einer Symbiose mit uns leben, in Schach zu halten.
Kann es zu Kommunikationsproblemen kommen?
Peter Holzer: Wenn es in der Kommunikation zwischen Darm, Mikrobiom und Immunsystem Unstimmigkeiten gibt, wird das Immunsystem aktiviert und setzt Immunmediatoren ab, die über den Blutweg ebenfalls ins Gehirn gelangen können.
Wenn der Darm selbst bei Stress durchlässiger wird, gehen Dinge im Inneren des Darms leichter in die Darmwand.
Es können Metaboliten, also Stoffe, die diese Mikroben im Darm produzieren, quasi selbst Informationsträger sein, die ins Gehirn gelangen und dort die Funktion des Gehirns beeinflussen und verändern können.
Bei diesen Hypes, die wir zurzeit in dieser Forschung haben, sieht man, dass bei vielen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen Veränderungen in diesem Darmmikrobiom vorkommen.
Man hypothesiert, dass das Mikrobiom auch etwas mit der Krankheit ursächlich zu tun haben könnte. Der Beweis steht in den meisten Fällen noch aus.
Beeinflusst unsere Nahrung das Mikrobiom und kann die richtige Ernährung zu einer idealen Zusammensetzung von Bakterien führen?
Peter Holzer: Die Qualität der Ernährung beeinflusst ganz offensichtlich, welche einzelne Bakterienarten vorhanden sind. Es kommen bis zu Tausend verschiedene in unserem Darmmikrobiom vor. Je mehr Arten, je mehr Diversität, desto gesünder, so glauben wir, ist es. Dabei ist noch sehr viel Forschung im Gang.
Aber die Ernährung kann das Mikrobiom sehr deutlich beeinflussen – und das geht oft rasch. Es gibt Untersuchungen, wenn man zu einer anderen Ecke der Welt mit anderer Kost, Kultur, Umgebung fährt, dann sieht man innerhalb einer Woche eine Umstellung im Mikrobiom. Das kann zum Guten oder Schlechten führen, wie manche Reisende miterleben müssen.
Mit der Ernährung kann man Mikrobiom sicher in der Weise steuern, dass eine naturnahe gemischte Kost sicher gut ist.
Ein gesünderes Darmmikrobiom wirkt sich positiv auf das Gehirn, auf die emotionale Situation und die Stimmungslage, unter Umständen sogar auch auf kognitive Vorgänge aus.
Wir wissen es nicht genau, aber Ernährung ist sicher der erste Ansatzpunkt, auf das Mikrobiom Einfluss auszuüben.
Ist der Darm das Fenster zum Gehirn? Können Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer im Darm nachgewiesen werden?
Peter Holzer: Das wird von manchen Medien relativ hochgespielt. Bei Parkinson und Alzheimer: ja und nein.
Ich würde nicht wagen zu behaupten, sie sind in erster Linie vom Darm bestimmt. Wir können das momentan noch nicht sagen.
Es gibt einzelne Versuche, bei Parkinson beispielsweise, auch bei der Multiplen Sklerose, bei denen man die Übertragung des Mikrobioms eines gesunden Menschen auf den Patienten gemacht und gefunden hat, dass sich die Symptome verbessert haben.
Das sind einzelne Fälle. Wir können daraus noch nicht schließen, dass das wirklich eine therapeutische Option ist.
Der andere Ansatz sind natürlich Probiotika, die auch in aller Munde sind. Bestimmte lebende Bakterien, die man schluckt und hofft, dass sie auch über die Magenbarriere in den Dickdarm gelangen und dort quasi zu einer Verbesserung der Zusammensetzung des Mikrobioms und damit der ganze Situation führen.
In manchen Fällen gibt es eine Verbesserung, aber die wissenschaftliche Beweislage ist in vielen Fällen noch sehr wackelig.
Was ist die Ursache von Reizdarm?
Peter Holzer: Der Reizdarm ist eine Krankheit, die nach wie vor aus hypothetischen Gebilden erklärt wird.
Eine Erklärung ist, dass die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn in beiden Richtungen nicht richtig funktioniert, gestört ist, dass die Informationen, die vom Darm ins Gehirn gelangen, dort gewissermaßen überbewertet werden und dass wieder Signale vom Gehirn an den Darm gehen und zu einer Störung der Darmfunktion führen.
Das sind alles Erklärungsmodelle. Auch hier wird diskutiert, ob das Darmmikrobiom eine Rolle spielt.
Das Problem beim Reizdarm ist, dass es bis jetzt keine gut greifende Therapie gibt. Probiotika sind auch schon verwendet worden. Manchen Patienten helfen sie, bei anderen hat es kaum einen Effekt.
Das ist sicher ein Problem. Patienten sind durchwegs sehr arm in ihrem Leidensweg, der meist schon lange dauert, wo man nur sozusagen stufenweise diverse Dinge probieren kann, um die Situation zu verbessern.
Ist der Bauch das Zentrum des Wohlbefindens und der Gesundheit?
Peter Holzer: Es ist ein essentielles Organ keine Frage. Wir brauchen es zum tagtäglichen Überleben, weil wir nicht selbst das Sonnenlicht verwertende Organismen auf andere organische Stoffe angewiesen sind, uns zu ernähren, und die wir finden müssen.
Deshalb die enge Zusammenarbeit zwischen Darm und Gehirn. Aber der Mensch ist was er tut und denkt durch das Gehirn definiert.
Darm ist sehr wichtig, ich würde mich nicht durch den Darm definieren. Es besteht ein wichtiges Informationssystem zwischen Gehirn und Darm. Es ist ein großes Nervensystem da, das die Verdauung steuert. Es kann zum größtenteils unabhängig vom Gehirn, vom Kopf agieren kann.
Aber soll die Kirche schon noch im Dorf lassen. Es ist ein wichtiges unterstützendes Nervensystem. Aber was uns dann Probleme macht emotionell, kognitiv und stimmungsmäßig oder Leiden spielt sich im Kopf und im Gehirn ab.
Univ.-Prof. Mag.rer.nat. Dr.phil. Peter HOLZER
Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie
Center of Biomarker Research in Medicine
Forschungseinheitsleiter Forschungseinheit für Translationale Neurogastroenterologie
Initiative Gehirnforschung Steiermark
Email: peter.holzer@medunigraz.at
Tel: +43/316/ 380-4500
Ein Überblick von Prim. Dr. Michael Häfner,
Krankenhaus St. Elisabeth Wien
Bei Kindern und jungen Erwachsenen sind entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa häufig. Sie basieren auf einer überschießenden Reaktion des Immunsystems und äußern sich in Bauchschmerzen, schleimigen und blutigen Durchfällen. Bei schweren Verläufen muss der Dickdarm entfernt oder Medikamente eingesetzt werden, die das Immunsystem drosseln.
Durchfallerkrankungen sind meist virale, seltener bakterielle Infektionen. Virale sind nach ein paar Tagen vorbei. Bei Bakterien sind sie hingegen langwierig, und der Patient braucht Antibiotika.
Im vorgerückten Alter können sich die Divertikel, sog. Ausstülpungen aus der Darmwand entzünden. Das führt zu Schmerzen im linken Unterbauch. Wenn Fieber auftritt, ist eine Antibiotikatherapie angesagt.
Eine Erkrankung, bei der man nichts spürt, sind die Darmpolypen. Der Darmkrebs, der daraus entstehen kann, ist mittlerweile eine der drei häufigsten Krebsarten. Ab dem 50. Lebensjahr wird eine Vorsorgedarmspiegelung empfohlen. Bei 30 Prozent aller Gesunden entdeckt man dabei bereits erste gutartigen Veränderungen, die man endoskopisch entfernt.
Darmkrebs erscheint häufig nach dem 70. Lebensjahr, denn die Polypen brauchen 15 bis 20 Jahre Zeit, um bösartig zu werden. Wenn Symptome auftreten, ist die Krebserkrankung bereits fortgeschritten, bei Schmerzen besteht die Gefahr, dass auch schon Absiedelungen in die Leber gelangt sind. Dann muss operiert und mit einer Chemotherapie je nach Stadium kombiniert werden.
Bei der Zöliakie kommt es zu einer allergischen Reaktion gegen das im Getreide vorkommende Gluten. Die Darmschleimhaut wird geschädigt, sodass Nährstoffe nicht mehr aufgenommen werden. Eisenmangel, erhöhtes Osteoporose-Risiko, erhöhtes Risiko für Fehlgeburten und ein Tumor des blutbildenden Systems im Dünndarm sind möglich. Man muss lebenslang eine glutenfreie Diät halten.
Bei Laktoseintoleranz können 20 Prozent der Österreicher Milchzucker als Erwachsene nicht spalten. Beschwerden sind Blähungen, Bauchkrämpfe und Durchfall.
Fruchtzuckerunverträglichkeit ist harmlos, kann aber sehr lästig sein.
von Dr. Corinna Geiger, Assistenzärztin im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern Wien
So individuell jeder Mensch ist, so individuell ist auch unser Darm.
Insofern lässt sich die Frage nach einer gesunden Ernährung für den Darm weder einfach noch schnell beantworten. Gerade Menschen mit chronischen Erkrankungen sollten das Thema Ernährung ausführlich mit ihrem Arzt besprechen.
Einige Tipps gibt es aber dennoch:
• Ballaststoffe: Eine ballaststoffreiche Ernährung hilft, den Darm in Bewegung zu halten und damit Verstopfung vorzubeugen (Richtwert für Frauen: 25g Ballaststoffe/Tag, Richtwert für Männer: 38g Ballaststoffe/Tag). In einigen Studien wurde außerdem entdeckt, dass Menschen, die mehr Ballaststoffe zu sich nehmen, ein reduziertes Risiko für verschiedene Erkrankungen, insbesondere für Herz-Kreislauferkrankungen haben.
• Wasser: Eine ausreichende Trinkmenge (1,5-2 Liter/Tag) erhält unsere Stoffwechselfunktionen und wirkt einer Verstopfung entgegen. Menschen, die unter einer Herzinsuffizienz oder Leberzirrhose leiden, sollten dies jedoch mit ihrem Arzt besprechen, da eine Trinkmenge von 2 Litern bereits zu viel sein kann.
• Bewegung: Bei jedem Schritt, den wir tun, bewegt sich unser Darm mit.
• Darmflora: Eine gesunde Darmflora ist wichtig für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Da die Darmflora individuell sehr unterschiedlich ist, weiß man noch nicht genau, wie die gesunde Darmflora eigentlich aussieht. Man weiß jedoch, dass eine gesunde Ernährung mit viel Gemüse und Vollkornprodukten eine gesunde Darmflora fördert. Ebenso gibt es bestimmte Bakterien, denen eine positive Wirkung auf unseren Darm zugesprochen wird.
Dennoch kann derzeit keine generelle Empfehlung für die Einnahme eines Probiotikums (sog. „guten Darmbakterien“) ausgesprochen werden. Wer ein Probiotikum einnehmen möchte, sollte auf folgendes achten: ausreichende Dosierung: mind. 1 Milliarde lebender Keime pro Einnahme (siehe Packungsbeilage)
und keine Mischpräparate: In Mischpräparaten werden verschiedene Bakterienstämme mit potenziell positiven Eigenschaften in ein Präparat zusammengemischt. Man weiß jedoch noch zu wenig über die Wechselwirkungen zwischen den Bakterien, um eine Wirkung zuverlässig vorherzusagen. Mit einzelnen Bakterienstämmen ist das einfacher und zuverlässiger.
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