Die Perspektive zu wechseln und den Horizont zu erweitern tut uns Menschen einfach immer gut und bringt uns auch dem Glück und der Zufriedenheit ein entscheidendes Stückchen näher.“
Die Perspektive zu wechseln und den Horizont zu erweitern tut uns Menschen einfach immer gut und bringt uns auch dem Glück und der Zufriedenheit ein entscheidendes Stückchen näher.“
In ein Museum zu gehen, eine Kirche zu besichtigen und dabei etwas Neues für mich zu entdecken, kann mich rundum zufrieden machen. Vor allem, wenn mir gefallen hat, was ich sehe, aber genauso, wenn mir das, was ich gesehen habe, nicht gefallen hat. Aber warum ist das so?
Ein Gespräch mit Ordensfrau, Kunsthistorikerin und Kirchenpädagogin Ruth Pucher über die Schönheit von Kirchenräumen, die Freiheit der Kunst und die Frage, warum es uns gut tut, unseren Horizont zu erweitern.
Kirchen – und dabei vor allem ihre „Innenansicht“ – faszinieren mich. Der Formen- und oft auch Farbenreichtum, die vielen Figuren, Säulen und Bilder haben es mir angetan. Irgendwie immer schon.
„Gelernt“ habe ich das von meinen Eltern, die mit mir in vielen, vielen Urlauben, unzählige Kirchen besichtigt haben. Ich erinnere mich daran, wie ich in all diesen Kirchen mit meiner Mutter mit großer Freude und großem Eifer unseren „Familienheiligen“, den hl. Antonius, gesucht und ganz oft auch gefunden habe, oder eine Kerze angezündet habe. Und ich weiß noch, dass ich schon als Kind fasziniert davon war, wie unterschiedlich Kirchenräume sein können.
Mittlerweile haben mein Mann und ich es uns zur Gewohnheit gemacht, im Urlaub mit unserem Sohn in – fast – jede Kirche hinein zu gehen, an der wir vorbeikommen. Ich mag es, gemeinsam mit den beiden den Kirchenraum zu entdecken, ihn auf uns wirken zu lassen, nach Heiligenfiguren zu suchen, die wir besonders mögen, oder eine Kerze anzuzünden.
Es erfüllt mich jedes Mal mit einer tiefen inneren Ruhe. Ja man kann wohl sagen, dass es mich so richtig zufrieden – vielleicht sogar glücklich – macht, in eine Kirche hinein zu gehen, dort eine Zeit lang zu sein und ihre Schönheit(en) zu entdecken.
Aber ist es tatsächlich manchmal so einfach? Macht uns das Betrachten und die Auseinandersetzung mit Schönem allein schon glücklich und zufrieden? Und wenn ja, warum ist das so?
Zur Klärung diese Fragen, treffe ich Sr. Ruth Pucher. Sie ist Ordensfrau bei den Missionarinnen Christi, Kunsthistorikerin und Kirchenpädagogin und versucht seit vielen Jahren Interessierten Kunst – spirituelle wie auch weltliche – näher zu bringen.
„Ein Kunstwerk zu betrachten, sich damit auseinander zu setzen, hineingezogen zu werden, das kann glücklich machen“, zeigt sie sich überzeugt: „Ich denke, das hat sehr viel damit zu tun, dass ein Kunstwerk ja eine Neuschöpfung ist und eine Neuschöpfung ist immer irgendwie ein Erlebnis.“
Kunst, das sei außerdem immer eine Reise in eine andere Welt: „Wenn ich Kunst aus anderen Jahrhunderten vor mir habe – das kann ein Gemälde an der Wand sein, eine Skulptur oder eben auch ein Kirchenraum, dann gehe ich in eine andere Welt. Das ist faszinierend. Die restliche Welt verschwindet dann irgendwie.“
Ob sie als Kunsthistorikerin einen Tipp habe, wie man ein Kunstwerk in all seinen Facetten erfassen kann? Das kommt natürlich immer darauf an, worum es sich handelt, sagt Sr. Ruth Pucher: „Bei einem Kirchenraum würde ich zunächst vorschlagen: Bleiben Sie einmal hinten stehen. Geben Sie dem Auge Zeit, sich an die neuen Lichtverhältnisse zu gewöhnen.
Warten Sie, bis Sie den Raum wahrnehmen, sich alle Sinne auf ihn eingestellt haben. Stellen Sie sich dann die Frage: Wohin führt mich der Raum? Führt er mich den Mittelgang entlang? Wo laden mich Sessel und Bänke ein, mich hin zu setzen? Schauen sie dann genau, ob Sie ein Platz besonders anzieht? Gehen Sie dorthin und versuchen Sie die Kirche von dort aus weiter zu entdecken. Was sehen Sie? Und, ganz wichtig: Überfordern Sie sich nicht – Sie müssen ja nicht alles gesehen haben.“
Eine gute Möglichkeit könne es auch sein, sich drei Adjektive für den Kirchenraum zu überlegen, die ihn für mich am besten beschreiben. Und wenn mir da die Worte fehlen? „Dann kann ich mir Hilfsmittel suchen – kann mir etwa in einem Kirchenführer Sprache ,ausborgen‘ oder im Gespräch mit anderen zu stimmigen Ergebnissen kommen.“
„Ein Kirchenraum spricht alle meine Sinne an“, sagt Sr. Ruth Pucher: „Er hat viele unterschiedliche Arten von Räumen, es gibt verschiedene Lichtsituationen, die Temperatur ändert sich, je nachdem, wo im Raum ich mich befinde. Und das wirkt dann auf mich.“ Dadurch sei eine Kirche auch oft vielseitiger als etwa ein Museum, in dem eine konstante Temperatur und Lichtsituation angestrebt werden.
Nicht zuletzt reihe man sich in einem Kirchenraum in eine Reihe von Jahrhunderten ein. „Viele Menschen haben in einer Kirche schon vor mir etwas gesucht und wohl auch gefunden, viele haben schon vor mir hier gebetet. Oft sehe ich auch noch ihre Spuren – abgetretene Schwellen etwa, Gedenktafeln, alte Brandspuren von Kerzen, oder Huthalter in den Bänken“, so Sr. Ruth Pucher.
Klar sei: Kirchenräume möchten anderen Menschen die Begegnung mit dem Heiligen ermöglichen und Künstler haben dafür geeignete Methoden gesucht. „Das sind manchmal Methoden, die jeder als schön ansieht, unter Umständen aber auch Methoden, die nicht jeder gleich schön findet.“
Schön sei allerdings beim Thema Kunst oft auch eine falsche Kategorie. „Jede Kunst ist geistgewirkt. Das heißt nicht, dass sie immer harmonisch, immer gefällig ist“, sagt Sr. Ruth Pucher: „Ohne diesen Geist – wo auch immer er herkommt –, ist keine Kunst möglich. Selbst Künstler, die nicht an Gott glauben, kommen, wenn sie beschreiben, was sie tun, meistens an einen Punkt, an dem sie nicht mehr benennen können, was weiter passiert ist. Irgendwann ist Kairos da, dieser ,rechte Moment’, der das, was man ausdrücken kann, übersteigt.“
In einem Kunstwerk sei manches sichtbar und manches unsichtbar, da liege ein Prozess dahinter und nicht immer erschließe sich dieses „Dahinter“ sofort. „Manchmal ist es Arbeit, zu versuchen, diesen Prozess nachzuvollziehen und dabei beschäftige mich dann vielleicht mit Fragen, mit denen ich mich bisher nicht beschäftigt habe“, sagt Sr. Ruth Pucher: „Bei meinen Kunstbetrachtungen sage ich den Teilnehmerinnen und Teilnehmern oft, dass sie sich bewusst machen sollen, dass sie sich gerade über Fragen austauschen, die sie sich vorher noch nie gestellt haben.
Und manchmal steht dann da vielleicht schon auch die Frage: Soll ich mir das überhaupt antun? Und die Antwort ist eigentlich immer: Ja!
Die Perspektive zu wechseln und den Horizont zu erweitern tut uns Menschen einfach immer gut und bringt uns auch dem Glück und der Zufriedenheit ein entscheidendes Stückchen näher.“
Serie Auf der Suche nach dem Glück
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