Empfehlung: Mit den begehrten Pilgerpässen geht man ein und aus in St. Peter (Mindestanforderung 80 km "per pedes apostolorum")
Empfehlung: Mit den begehrten Pilgerpässen geht man ein und aus in St. Peter (Mindestanforderung 80 km "per pedes apostolorum")
"... und es geht weiter! Das entdeckt man nur gehend" meint unsere Kollegin Claudia Schuler.
„Du kannst mir nicht sagen, dass er nicht auf uns schaut!“
Meine Mama schaut mich durchdingend an. Ihr Blick ruht erwartungsvoll auf mir.
Wir sitzen in Spoleto, Umbrien, in einer kleinen Trattoria. Um uns herum geht die Welt unter: Blitz, Donner und wolkenbruchartige Regengüsse lassen uns zusammen unter dem schutzbietenden Sonnenschirm zusammenrücken. Auch meine Cousine ist dabei und hat gerade die zweite Karaffe Wein für uns bestellt. Das Unwetter scheint anzudauern…
An diesem Tag liegen bereits 15 km Fußmarsch hinter uns, eine vergleichsweise kurze Etappe auf unserem Pilgerweg nach Rom. Vor gut einer Woche haben wir uns in Florenz getroffen. Innerhalb der nächsten zwei Wochen wollen wir in die „Ewige Stadt“ gehen, einen Teil zu Fuß, einen Teil werden wir fahren: drei Frauen, drei Generationen.
Solch eine „Mehrgenerationenwallfahrt“ habe ich bereits vor drei Jahren gemacht, damals zusammen mit meinem Bruder, seinem Sohn, Mama… und Papa… Wir sind damals die Via Sacra nach Mariazell gepilgert, angetrieben von euphorischer Dankbarkeit darüber, dass mein Vater einen Herzstillstand nicht nur überstanden hat, sondern fast vollständig genesen ist. Ein Wunder auf Zeit…
Jetzt drei Jahre später wandern wir unter anderen Vorzeichen. Statt meinem Bruder und meinem Neffen kommt meine Cousine mit. Und Papa? Der fehlt auch… Er fehlt…
Mein Vater ist vor gut zwei Monaten verstorben. Diesen Verlust tragen wir dieses Mal als Extraballast mit uns. Wie ein schwerer Tropfen hängt die Trauer am Herzen, sie fällt aber nicht und nicht ab. Doch es ist nicht das Gefühl der Trauer, das dominiert, sondern eher das der Demut. Demut vor dem Tod, aber auch vor dem Leben. Denn der Begriff „Leben“ ist erfüllt von so vielen Aspekten: Erfahrungen, Erinnerungen, Emotionen.
Um über das Leben im Allgemeinen, aber auch über sein eigenes Sein im Speziellen zu reflektieren, das ist der Kern einer Pilgerreise. Das ist auch unser Antrieb. Das Geschehene zu verarbeiten, aber euch Neues zu erleben. Das passiert über die körperliche Herausforderung der langen Tagesetappen genauso wie beim üppigen Abendessen oder aber im stillen Gebet. Diese Mischung ist es, die das Pilgern für uns so reizvoll und bereichernd macht.
Wir starten in La Verna, dem Ort, wo der Hl Franziskus seine Stigmata erhalten haben soll. Über den Geburtsort Michelangelos (Caprese Michelangelo), wandern wir jeweils drei Etappen in der Toskana, in Umbrien und schließlich in Latium nach Rom. Dazwischen kürzen wir mit Bus, Zug oder Privattaxis unsere Route ab.
Egal, wo wir hinkommen: Die italienischen Gastgeber nehmen uns gastfreundlich auf, bewirten uns fürstlich und zum Teil verhätscheln sie uns übertrieben. Besonders spannend für mich ist die Tatsache, dass die Sprachbarriere dabei kaum eine Rolle spielte. Meine Cousine ist von uns dreien die Einzige, die ein wenig Italienisch spricht. Aber oft reichen ein, zwei Floskeln, um den Italienern guten Willen zu zeigen und schon öffnen sich neue Türen.
Die Tagesetappen gestalten sich unterschiedlich herausfordernd. Steile Olivenhänge sind genauso wiederkehrende Teilstücke wie vielbefahrene Asphaltstraßen, doch oft gehen wir einfach durch satte Wälder, entzückende Dörfer oder eindrucksvolle mittelalterliche Städtchen wie Assisi.
Die regelmäßige Einkehr ist wichtiger Bestandteil der Reise. Egal, ob in den kleinen Dorfkirchen, in den prachtvollen Kathedralen der großen Städte oder einfach irgendwo am Wegesrand – wir zünden Kerzen an oder lassen den Text eines Psalms auf uns wirken. Damit ist die Seele gestärkt für den weiteren Weg.
Gut zwei Wochen leben wir in diesem Wechsel aus physischer Anstrengung und psychischer Entspannung – ein reinigender Wellengang, der uns bis nach Rom trägt. Innerhalb der „ewigen Stadt“ gehen wir noch die letzte Etappe und besuchen alle sieben Pilgerkirchen an einem Tag - zu Fuß! Einen Tag später liegen gut 200 km Fußweg hinter uns. Stolz nehmen wir die offizielle Pilgerurkunde im Petersdom entgegen. Wir verbringen noch ein paar Tage in Rom und genießen einfach das Leben.
Was mich zurück nach Spoleto bringt. Das Gewitter um uns herum in Kombination mit dem Wein haben uns in die richtige Stimmung versetzt, um offen über unseren Verlust zu sprechen. Meine Cousine, die ihren Vater bereits vor ein paar Jahren verloren hat, wirkt sensibel und ausgleichend, wenn Mama oder ich einmal zu emotional zu werden drohen. Es ist einer, dieser schrecklich-schönen Momente, die sich einfach manchmal ergeben, die man niemals vergisst, weil sie so überraschend und eindrücklich sind.
Mamas durchdringender Blick ruht immer noch auf mir.
„Ja, du hast recht! Er schaut auf uns. Papa schaut auf uns!“
Am Herzen hängt dieser schwere Trauer-Tropfen, aber das Herz ist gestärkt durch viele schöne lebensbejahende Fragmente, es hält das Gewicht aus, die uns begleitende Demut verwandelt sich in eine Kraftvolle. Papa ist ganz nah! Er schaut auf uns! Er geht mit uns!
Buon Camino!