Der „giro delle sette chiese” gehört traditionell zum Programm für Rompilger. Für unsere Kollegin Claudia Schuler war er der krönende Abschluss eines Pilgerwegs zu Fuß nach Rom. Krönungen wollen freilich erkämpft werden.
„Warum tue ich mir das an?“
Wenn man sich auf eine Pilgerreise begibt, stellt man sich diese Frage immer wieder. Die Sinnfrage gehört dazu wie Blasen an den Füßen. Normalweise frage ich mich das aber während eines steilen Anstiegs mit schwerem Rucksack oder wenn ich durchnässt vom stundenlagen Regen dahinmarschiere.
Heute aber stelle ich mir die Frage schon vor dem ersten Schritt. Zusammen mit meinen zwei Begleiterinnen habe beschlossen alle sieben Pilgerkirchen in Rom am selben Tag zu besuchen – zu Fuß. Und das obwohl wir zuvor bereits rund 200 km auf dem Franziskusweg nach Rom gewandert sind. Warum jetzt also noch diese zusätzliche Zumutung, die in mir in erster Reaktion eher entmutigende als ermutigende Gefühle weckt?
Wir hätten sagen können: Wir haben den Stempel vom Petersdom in unserem Pilgerpass – Ziel erreicht! Aber unser Ehrgeiz hat den inneren Schweinehund niedergerungen, wir wollen die „Königsetappe“ schaffen, die früher traditionell am Ende jeder Rompilgerreise stand. Wer die Pilgerkirchen an einem Tag „erwandert“, gewinnt, übrigens nebenbei einen vollkommenen Ablass. Also gut, denke ich mir: Der Weg ist das Ziel!
Genau genommen startet die Route bei San Pietro und endet bei San Paolo fuori le Mura – man geht also von Petrus zu Paulus. Wir starten allerdings bei Santa Maria Maggiore, schlicht weil unsere Unterkunft in der Nähe liegt. Es ist nicht festgeschrieben in welcher Reihenfolge man die Kirchen besuchen muss, es macht aber Sinn sich an eine gewisse Abfolge zu halten, sonst sind alle sieben Destinationen an einem Tag nicht zu schaffen.
Die Wanderung ist von Anfang an eine Zumutung, denn man geht die komplette Strecke auf Asphalt. Schon jetzt weiß ich, dass ich heute meine Sünden Schritt für Schritt abbüßen werde. Zudem tickt die Uhr. Einige Kirchen haben begrenzte Öffnungszeiten. Auch dieser Faktor bestimmt die heutige Stadtwallfahrt mit.
Wir gehen also los und erreichen schnell Santa Maria Maggiore, eine der schönsten Kirchen, wie ich finde. Ein beglückender Beginn, zumal sich so früh am Tag noch nicht viele Touristen her verirrt haben. So können wir noch einen Moment der Einkehr zu finden. Wir zünden ein -wie in Rom üblich - elektrisches Kerzerl an und gehen danach kurz ins Gebet – das bleibt unser bewährtes Ritual in jedem Sakralraum.
Es ist eine kuriose Wallfahrt von einem Ort der Einkehr zum anderen, unterbrochen durch den, alles andere als kontemplativen, Kampf im römischen Großstadtdschungel. Dennoch kommen wir gut voran, so dass wir überall noch genug Zeit haben, den jeweiligen Sakralraum wirken zu lassen. Bis zur Mittagszeit werden wir neben Santa Maria Maggiore, San Lorenzo fuori le Mura, Santa Croce in Gerusalemme und San Giovanni in Laterano, die päpstliche Kirche, besucht haben. Auch die Scala Santa, die Heilige Stiege, nehmen wir auf unserer Route noch mit – die einzige Station, die wegen der vielen anderen Menschen, reine Attraktion bleibt und für mich zu einer Nervenprobe mutiert.
Nach unserer Mittagspause sind nur mehr drei Kirchen übrig, allerdings führt uns unser Weg immer weiter aus der Stadt hinaus. Laut Reiseführer hätte es eine Abkürzung durch einen schönen Park geben sollen. Dieser ist zumindest an diesem Tag nicht zugänglich und so müssen wir einen Großteil der Strecke nach San Sebastiano entlang der zwar geschichtsträchtigen, aber nichtsdestoweniger stark befahrenen Via Appia dahinlatschen. Und auch, wenn die Sonne jetzt im Mai noch nicht unbarmherzig heruntersticht, sie hellt meine Stimmung in diesem Moment auch nicht auf. Man hat viel Zeit sich bei dem gut eine Stunde dauernden Marsch seine Gedanken zu machen. Bringt mich diese Wanderung durch die römische Verkehrshölle dem Paradies wirklich näher?
Doch irgendwann verlassen wir dieses Fegefeuer aus Feinstaub und erreichen auch San Sebastiano fuori le Mura. In diesem Moment weiß auch wieder, warum ich mir das antue. Obwohl diese Kirche auf der heutigen Tour zu den eher schlichten Sakralräumen gehört, ist die Ankunft hier ein kleiner Höhepunkt für mich. An diesem Ort schöpfe ich wieder neue Kraft, um diese Wallfahrt weiterzumachen.
Zur Pauluskirche steht uns wieder ein rund einstündiger Fußmarsch bevor, allerdings ist der Weg durch die Vororte Roms recht beschaulich. Außerdem gönnen wir uns im Vorbeigehen ein kleines „Pilgerbrot“ in Form eines Gelatos. So kommen wir zu fortgeschrittener Tageszeit endlich am äußersten Etappenziel an: San Paolo fuori le Mura, einer, der schönsten Sakralbauten, die ich überhaupt kenne - und heute noch dazu fast menschenleer. Der Moment, in dem ich diese Kirche betrete, ist ein wunderbares Geschenk. Hier verschmelzen das Glück über die bereits erbrachte Leistung mit den Eindrücken des Prunks rund um mich herum. Dieses Gefühl ist überwältigend. Eine Weile stehe ich einfach fassungslos zwischen den Säulen des riesigen Quadriportikus‘ bis mich eine ankommende asiatische Reisegruppe wieder auf den Boden der touristischen Realität zurückholt.
Aber eine Kirche fehlt noch, und zwar die wortwörtlich zentrale: der Petersdom. Zugegeben, sie hätte laut Plan eigentlich die erste Station sein müssen, aber so war es für uns logistisch einfacher. Wir reisen zwar mit der U-Bahn in den Vatikan, wandern aber von dort wieder zu Fuß zurück in unsere Unterkunft, so kommen wir auch auf eine beachtliche Kilometeranzahl.
Davor setzt aber der Besuch von San Pietro den Schlusspunkt unter unsere innerstädtische Pilgerreise. Zuvor ist während unserer Verschnaufpause in der U-Bahn, die Erschöpfung auf mich hereingebrochen: Die Füße schmerzen, der Magen knurrt. Doch beim Anblick des Petersdomes rücken all die Beschwerden in den Hintergrund. Die Freude darüber alle sieben Kirchen besucht zu haben, mündet tatsächlich in eine kraftspendende Ermutigung!
Für diese Freude habe ich mir das heute angetan! Wanderschaft ist für mich die perfekte Metapher für meinen persönlichen Glauben: Höhen, Tiefen, Rückschläge und Erfolge – all das prägt auch mein alltägliches Glaubensleben. Eine Pilgerreise ist für mich also zwangsläufig auch eine Glaubensreise. Denn der Glaube ist es, der mich antreibt, der für mich sowohl Ermutigung als auch eben manchmal auch Zumutung ist.
Der Weg ist das Ziel. Ist das Ziel demnach unerreichbar? Vielleicht. Aber mein Glaube mutet mir zu, diesen Weg zu gehen. Und so wird aus Zumutung mutige Zuversicht!
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