Rund 500 Marienbildnisse, von den Römern liebevoll „Madonnelle“ genannt, zieren die Fassaden der Ewigen Stadt. Sie sind stille Zeugen jahrhundertealter Frömmigkeit und verbergen faszinierende Geschichten, die Kunst, Glauben und Alltagsleben vereinen.
Wer Rom besucht, braucht nur den Blick zu heben, um an Hauswänden, Palazzi oder Straßenecken auf Madonnelle zu stoßen. Mal wirken sie eher schlicht, dann wieder beeindrucken sie durch kunstvolle Rahmen, flankiert von Putten, Säulen oder Baldachinen. Viele sind gemalt – in Fresko oder Öl – andere aus Ton, Marmor oder Mosaik.
Einst spendeten diese Bildnisse nachts sogar Licht: Bis ins frühe 20. Jahrhundert hängten die Anwohner Öllampen oder Kerzen davor auf, um die oft dunklen Gassen zu erhellen. Darüber hinaus demonstrierten sie damit ihre Verehrung für die Gottesmutter. Spenden aus der Nachbarschaft ermöglichten die Pflege und den Erhalt der Schreine, die so zu einem festen Bestandteil des römischen Stadtbilds wurden.
Licht, Wunder und Legenden
Neben ihrer praktischen Funktion als Straßenbeleuchtung ranken sich um etliche Madonnelle wundersame Erzählungen. Im Jahr 1796, als Rom eine französische Invasion fürchtete, sollen mehrere Marienbilder plötzlich ihre Augen bewegt haben. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und Papst Pius VI. ließ ganze 26 Bildnisse untersuchen. Fünf davon, darunter die Madonna della Pietà im Vicolo delle Bollette, wurden offiziell als wundertätig anerkannt.
Auch die Geschichte eines erbosten Kartenspielers macht die Runde: Er warf in seiner Rage einen Stein auf eine Madonnella in der Via Giulia und erlitt daraufhin 40 Tage lang eine Lähmung im Arm – bis er Reue zeigte. Sogar von unaufhörlich brennenden Kerzen während einer Überflutung ist in alten Berichten die Rede. Solche Legenden verliehen den Madonnelle einen geradezu mythischen Status: Für die Römer sind sie nicht nur hübsche Wanddekoration, sondern Orte gelebter Frömmigkeit und Zeichen himmlischen Beistands.
Eine lebendige Tradition
Auch heute sind die Madonnelle weit mehr als historische Relikte. Viele Menschen kümmern sich liebevoll um ihre „Hausmadonna“, stellen Blumen oder Lichter davor und halten bei Bedarf eine kleine Andacht. Wer durch die Viertel Roms spaziert, kann solche Momente stiller Begegnung mitverfolgen – vom schicken Centro Storico bis ins volkstümliche Trastevere.
Ob beim nächtlichen Pilgergang zum Santuario del Divino Amore am römischen Stadtrand oder während der traditionellen „Festa de’ Noantri“ in Trastevere: Die Marienverehrung ist in Rom tief verwurzelt. Der römische Dichter Trilussa brachte es einst in einem Gedicht auf den Punkt: Selbst der größte Zweifler hält vor einer Madonnella kurz inne und haucht ein leises „Ave Maria“.
So erlebt man inmitten der modernen Großstadt ein uraltes Gefühl von Glaube, Schutz und Zuversicht – und entdeckt womöglich in einer unscheinbaren Nische ein kleines Kunstwunder.
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