Das Schweißtuch der Veronika mit dem geheimnisviollen Abdruck des Antlitzes Christi steht im Mittelpunkt der abendlichen Vesper- Liturgie zum 5. Fastensonntag im Petersdom.
Jedes Jahr am fünften Fastensonntag ereignet sich im Petersdom ein seltenes Ritual: die feierliche Präsentation des Schweißtuchs der Veronika. Nach der Vesper setzt sich eine Prozession in Bewegung. Der Erzpriester des Petersdoms, gefolgt vom Domkapitel, schreitet vom Kathedraaltar zur Vierung. Vor der monumentalen Statue der Heiligen Veronika, geschaffen von Gian Lorenzo Bernini, hält die Prozession an.
Hoch oben, auf einem Balkon über der Statue, treten in diesem Moment mehrere Domherren in Erscheinung. In ihren Händen halten sie die kostbare Reliquie: das Schweißtuch der Veronika, eingerahmt und in kostbarem Gold eingefasst. Langsam erheben sie es, damit es den Gläubigen sichtbar wird. Doch das Tuch wird nicht aus der Nähe gezeigt – es bleibt auf Distanz, als geheimnisvolles Zeugnis der Passion Christi.
Das Schweißtuch der Veronika gehört zu den eindrucksvollsten Reliquien der christlichen Überlieferung. Der nicht-biblischen Legende nach reichte eine Frau namens Veronika Jesus auf seinem Weg nach Golgota ein Tuch, um sein blutiges Gesicht zu reinigen. Als er es ihr zurückgab, hatte sich sein Antlitz wundersam auf dem Stoff eingeprägt. Eine Anspielung auf die Menschwerdung Gottes: nur ein menschgewordener Gott lässt sich auch abbilden. Christus ist das Bild des unsichtbaren Gottes, wie der Kolosserbrief hymnisch verkündet.
Seit dem 12. Jahrhundert ist diese Szene als sechste Station des Kreuzwegs fester Bestandteil der christlichen Frömmigkeit. Der Name Veronika wurde in der westlichen Tradition als „Vera Ikon“, „wahres Bild“, gedeutet – eine Anspielung auf die besondere Heiligkeit des Tuches.
Schon im 8. Jahrhundert soll sich das Schweißtuch in Rom befunden haben. Im Mittelalter war es die wohl meistverehrte Reliquie der Christenheit. Pilger aus ganz Europa kamen in die Ewige Stadt, um es zu sehen, und zahlreiche Kopien gelangten in andere Kirchen. Auch Dante erwähnt sie in der Divina Commedia.
Neben dem Schweißtuch bewahrt der Petersdom weitere bedeutende Passionreliquien auf, darunter eine Kreuzreliquie und die Heilige Lanze des Longinus, mit der Jesus durchbohrt wurde.
Die Präsentation des Schweißtuchs ist ein stiller, aber eindrucksvoller Moment. Die feierliche Erhebung der Reliquie geschieht in einer Atmosphäre tiefer Andacht. Viele der Anwesenden knien nieder, andere beten leise. Es ist ein Augenblick, in dem sich Geschichte und Glauben auf einzigartige Weise verbinden.
Diese Zeremonie erinnert nicht nur an das Leiden Christi, sondern auch an eine einfache, mitfühlende Geste – eine Frau, die inmitten des Kreuzwegs nur eines tat: helfen.
Dieses geheimnisvolle Bild inspirierte nicht nur Theologen und Pilger, sondern auch Schriftsteller. Die deutsche Autorin Gertrud von Le Fort widmete der Reliquie ihren Roman „Das Schweißtuch der Veronika“. Die Geschichte spielt kurz vor dem Ersten Weltkrieg in Rom und begleitet die junge Veronika, die zwischen den Einflüssen von Rationalismus und Glauben hin- und hergerissen ist. Die feierliche Präsentation des Schweißtuchs im Petersdom wird für sie zum Schlüsselmoment: In diesem Augenblick spürt sie eine tiefe spirituelle Wahrheit, die ihren Lebensweg prägen wird.
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