Es war einige Tage vor dem Osterfest als sie in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage und Betanien am Ölberg, schickte Jesus zwei seiner Jünger voraus. Er sagte zu ihnen: Geht in das Dorf, das vor uns liegt; gleich wenn ihr hineinkommt, werdet ihr einen jungen Esel angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet ihn los, und bringt ihn her! Und wenn jemand zu euch sagt: Was tut ihr da?, dann antwortet: Der Herr braucht ihn; er lässt ihn bald wieder zurückbringen.
Da machten sie sich auf den Weg und fanden außen an einer Tür an der Straße einen jungen Esel angebunden, und sie banden ihn los. Einige, die dabeistanden, sagten zu ihnen: Wie kommt ihr dazu, den Esel loszubinden? Sie gaben ihnen zur Antwort, was Jesus gesagt hatte, und man ließ sie gewähren.
Sie brachten den jungen Esel zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Tier, und er setzte sich darauf. Und viele breiteten ihre Kleider auf der Straße aus; andere rissen auf den Feldern Zweigen von den Büschen ab und streuten sie auf den Weg. Die Leute, die vor ihm hergingen und die ihm folgten, riefen: Hosanna! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn! Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt. Hosanna in der Höhe!
Markus 11, 1-10
von Kardinal Schönborn
Sieht so der Einzug eines Mächtigen aus? Auf einer jungen Eselin kommt er geritten. Leute jubeln ihm zu, streuen zweige auf seinen Weg, legen Kleider auf die Straße, damit er darüber reitet. So in etwas beschreiben die Evangelien den „triumphalen“ Einzug Jesu in Jerusalem. Ist das der neue König David, der verheißene große Herrscher?
Mir kommen Bilder von Militärparaden in den Sinn. Aufnahmen von Hitlers Einzug in Wien nach dem „Anschluss“ im März 1938. Oder die Fotos und Filme der großen Machtdemonstrationen der Sowjetarmee auf dem Roten Platz in Moskau... Wie anders sah das damals im besetzten Jerusalem aus! Die Armee der Römer ließ keinerlei Wiederstand aufkeimen. Die zahlreichen Osterpilger in Jerusalem wurden sorgfältig beobachtet. Was immer nach Anfang eines Aufstandes aussah, wurde sofort mit brutaler Gewalt niedergeschlagen. In diesem Galiläer, in Jesus von Nazareth und seinen Begleitern, sahen die Römer eine ernste Gefahr.
Und doch „inszenierte“ Jesus seinen Einzug in Jerusalem wie ein König. Er nimmt die Worte eines Propheten zum Vorbild: „ Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist sanftmütig, und er reitet auf einer Eselin – auf einem Fohlen, dem Jungen eines Lasttiers“. Deshalb lässt er sich einen Esel holen und zieht, auf ihm reitend, in Jerusalem ein. Und die ihn begleitende Menge versteht, was er damit ausdrücken will. Sie jubeln ihm zu, nicht als einem militärischen Machthaben, sondern als dem, „der kommt im Namen des Herrn“.
Aber was erhoffen sie von ihm? Sie sagen es selber: „das Reich unserer Vaters David, das nun kommt“. Zu groß war die Sehnsucht nach einer weltlichen Befreiung, zu stark der Wunsch, endlich wieder Herr im eigenen Haus zu sein, die Fremdherrschaft loszuwerden. Umso größer musste die Enttäuschung sein, als alle sahen, dass Jesus nicht der erhoffte König würde. Es ist ja auch wirklich nicht leicht, Jesus als König zu sehen, wenn sein „triumphaler Einzug“ in Jerusalem schließlich am Kreuz endete.
„Wie viel Divisionen hat der Papst?“ – soll Stalin spöttisch gefragt haben. Wie viel Divisionen hat Christus? Welche Macht hat er wirklich? Seine Botschaft scheint ohnmächtig gegenüber den großen Mächten dieser Welt. Und doch, wer versucht, ihm ehrlich nachzufragen, kann etwas anderes erleben.