Schönborn schloss sich der Einschätzung von Papst Franziskus an, beim Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine handle es sich um ein "himmelschreiendes" Unrecht.
Schönborn schloss sich der Einschätzung von Papst Franziskus an, beim Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine handle es sich um ein "himmelschreiendes" Unrecht.
Wiener Kardinal in ORF-"Pressestunde": Für Friedensverhandlungen nach Waffenstillstand wäre Wien "ein guter Boden". Verteidigung der Ukraine und Waffenlieferungen dafür legitime Notwehr. Kritik an "raunzigen" Österreichern beim Umgang mit Corona-Krise.
Die ganze freie Welt hätte schon 2014 nach der Invasion Russlands auf der Halbinsel Krim deutlicher reagieren müssen. Die damaligen Versäumnisse seien für Präsident Putin "nicht entmutigend" gewesen, nun in viel brutalerer Form völkerrechtswidrig gegen einen souveränen Staat vorzugehen, sagte Kardinal Christoph Schönborn am Palmsonntag in der ORF-"Pressestunde". Eine Lösung für ein mögliches Ausstiegsszenario aus dem Konflikt wisse er nicht, aber: "Jeder Krieg endet einmal", wies der Wiener Erzbischof hin. Sein Appell an die Kontrahenten nach einem davor erforderlichen Waffenstillstand: "Setzt euch sofort zu Friedensverhandlungen zusammen!" Wien wäre nach Überzeugung des Kardinals "ein guter Boden dafür".
Themen des TV-Interviews Schönborns mit Fragen von Regina Pöll (ORF) und Andreas Koller ("Salzburger Nachrichten") waren neben dem Ukrainekrieg auch die davon ausgelöste Flüchtlingswelle, die Corona-Krise und Reformen in der Katholischen Kirche.
Schönborn schloss sich der Einschätzung von Papst Franziskus an, beim Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine handle es sich um ein "himmelschreiendes" Unrecht. Es sei legitim, dass sich die Ukraine gegen den "Aggressor" Putin verteidigt und dafür auch Waffenlieferungen aus dem Westen erfolgen. Dies sei auch aus Sicht der kirchlichen Lehre "ein klarer Fall von Notwehr", erklärte der Kardinal.
An der Linie des Moskauer Patriarchen Kyrill, der den Angriffskrieg moralisch rechtfertigte, übte Schönborn Kritik und verwies dazu auch auf viele orthodoxe Stimmen weltweit, die Anstoß an dieser "Fusion" einer christlichen Kirche mit der Gewaltpolitik eines autoritären Staates nahmen. Er habe mit Kyrill früher bei einem Symposion zu tun gehabt und auch mit dem Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats und ehemaligen russischen Bischof in Wien, Metropolit Hilarion (Alfejew), gute Kontakte gepflegt. Jüngste Versuche, die Kommunikation mit beiden wieder aufzunehmen, seien bisher nicht gelungen, berichtete Schönborn. Er setze aber Hoffnung in Initiativen des Papstes und ein etwaiges Treffen zwischen beiden Kirchenoberhäuptern.
Österreichs Rolle in dem Konflikt könne keine "moralische Neutralität" sein, vor allem keine "Neutralität gegenüber dem Leid" der ukrainischen Kriegsopfer, betonte der Kardinal. Es gelte Hilfe gegenüber den Heimatvertriebenen ebenso zu leisten wie Hilfe vor Ort. Auch wenn heute die Situation eine andere sei als 2015, als vorwiegend junge Männer aus Syrien nach Österreich flohen und nicht Frauen mit Kindern wie jetzt, gelte für ihn der Grundsatz: "Flüchtling ist Flüchtling", und niemand verlasse freiwillig seine Heimat. Zugleich wies Schönborn auf die Tatsache hin, dass es vor allem Nachbarländer sind, die die Last von Fluchtbewegungen zu tragen hätten.
Sorge äußerte er mit Blick auf ein längeres Andauern der Kampfhandlungen in der Ukraine, dass - ähnlich wie 2015 - die Stimmung in Österreich gegenüber Flüchtigen "kippen" könnte und sich die jetzt schon feststellbaren Verwerfungen in der Gesellschaft durch Migration verstärken. Schon allein die demographische Entwicklung in Österreich und das Wohlstandsgefälle gegenüber osteuropäischen Ländern müssten laut dem Kardinal zu einer differenzierten Haltung gegenüber Zuwanderung und Arbeitsmigration führen: "Wer arbeitet denn in Österreich als Erntehelfer oder Pflegerin?" Und auch in Österreich selbst sei es lange Zeit üblich gewesen, dass Arbeit fern der Heimat und damit ein besseres Leben gesucht wurde.
Kritische Worte fand Schönborn auch in Bezug auf den Umgang mit der Corona-Pandemie in Österreich. Er teile aber nicht das "Herumnörgeln" am vermeintlichen Zickzack-Kurs der Regierung, denn letztlich sei es das Virus einschließlich Varianten, das einen Zickzack-Kurs fahre. Ihn ärgere oft, "wie raunzig wir Österreicher sind", obwohl es im Land ein vergleichsweise vorbildliches Gesundheitssystem gebe. Die Kritik an der Politik, die in der Pandemie eine enorme, kaum zu schulternde Verantwortung zu tragen hatte, hält er für überzogen, ließ Schönborn erkennen.
Viel Kritik habe ihn auch wegen der Haltung der Bischöfe zu Impfungen erreicht, die eine Impfpflicht - "keinen Impfzwang" - als Ultima-Ratio-Maßnahme der Regierung akzeptiert hatten und dafür auch aus Kirchenkreisen gescholten wurden. Die Radikalisierung in dieser Frage mit Vertretern teils "krauser Ideen" bereite ihm Sorge, so der Kardinal. Die Spaltung gehe quer durch Familien, einem "Weltbild der Verschwörung" sei schwer beizukommen. Schönborn wiederholte seine mehrfach geäußerte Überzeugung, dass das Thema Impfen "keine Glaubensfrage" sei und er die eindeutige Mehrheit der wissenschaftlichen Community für vertrauenswürdig halte, ohne selbst ein virologischer Experte zu sein.
Ein „Sager“ von Kardinal Schönborn sorgt für Aufregung, nachdem er in der „Zeit im Bild“ außerhalb des Kontextes gebracht und einseitig auf Impfgegner bezogen wurde: „Lieber Gott, lass Hirn regnen!“. Tatsächlich ging es aber um die durch das Impfthema ausgelöste Spaltung. Kardinal Schönborn sagte in der „Pressestunde“, aus der die ZiB dann zitierte, wörtlich: „Die Spaltung in der Impffrage, die geht quer durch die Familien – ich habe das in der eigenen Familie: Er ist für die Impfung, sie ist gegen die Impfung. Bis hin zu Anspannungen, die die Ehe belasten. Weil die Fragen so wahnsinnig emotionalisiert werden. Ich sage manchmal: Lieber Gott, lass Hirn regnen! Also: ein bisschen mehr Vernunft, ein bisschen mehr Maß.“ Im Bezug auf Impfgegner sprach der Kardinal dann über ihr seiner Ansicht nach mangelndes Vertrauen in die wissenschaftliche Community.
Zu den Corona-Folgen für die Katholische Kirche sagte Schönborn, der Gottesdienstbesuch sei durch die Versammlungseinschränkungen zwar "dramatisch zurückgegangen", zugleich hätten Übertragungen in TV oder Internet aber beeindruckende Einschaltquoten erzielt und seien inzwischen fixer Programmbestandteil nicht nur im ORF. Den Hinweis auf den jüngst durch eine OGM-Studie festgestellten Vertrauensverlust der Katholischen Kirche reagierte der Kardinal mit dem Hinweis auf den ungebrochen großen Ansturm auf katholisch geführte Schulen und auf das große Vertrauen, das der Caritas als kirchlichen Hilfsorganisation entgegengebracht werde.
Freilich: Institution und Haltung müssten korrelieren - sprich: Es müsse das, was an Christlichem gesagt wird, auch gelebt werden. Dass Zeichen zu setzen wichtiger sei als schöne Worte, unterstrich Schönborn beim Thema Kirche und deren Umgang mit Homosexualität bzw. der Queer-Kultur: 2017 habe er im Stephansdom gemeinsam mit Aktivist Gery Keszler am Welt-Aids-Tag erstmals für einen konfessionsübergreifenden Gedenkgottesdienst im Wiener Stephansdom gesorgt. Damals wurde der rund 36 Millionen Menschen gedacht, die bis dato an Aids verstarben.
Auf das Frauenpriestertum und den Zölibat als weitere "heiße Eisen" der kirchlichen Reformdebatte ging Schönborn zeitbedingt nur mehr knapp ein. Die Frauenordination sei eine tief in der Kirchengeschichte verwurzelte Frage, die sich für die Weltkirche insgesamt stelle und wo auch "etwas in Bewegung" geraten sei; und erst tags zuvor habe er gemeinsam mit dem Generalvikar der katholischen Ostkirchen in Österreich, dem verheirateten Priester Yuryi Kolasa, zehn Krankenwagen gesegnet, die in den kommenden Tagen in die Ukraine überstellt werden.