Die Neuorientierungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) haben das Gesicht der Kirche verändert und die Fenster zur Welt weit aufgestoßen - Einige Beschlüsse warten bis heute auf ihre Verwirklichung - Von Alexander Brüggemann.
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965), das am 11. Oktober 1962 und somit vor 60 Jahren eröffnet wurde, leitete die katholische Kirche eine umfassende Erneuerung ein. Dies sind die wichtigsten Inhalte der insgesamt 16 Konzilstexte:
Kirchenverständnis: Die Konstitution "Lumen gentium" (1964) legt das neue Selbstverständnis der römisch-katholischen Kirche dar. Sie definiert Kirche als die Gemeinschaft der Gläubigen, als "Volk Gottes" auf dem Weg durch die Zeit. In dieser ständig zu reformierenden Kirche wird das "gemeinsame Priestertum" aller Gläubigen betont, das bei Priestern und Laien in unterschiedlichen Formen verwirklicht wird. Das Bischofskollegium wird aufgewertet. Es leitet, wie eine ergänzende Erklärung von Papst Paul VI. feststellt, die Kirche "mit und unter Petrus".
Liturgie: Die Konstitution "Sacrosanctum Concilium" (1963) fordert mehr Einsatz der jeweiligen Landessprache im Gottesdienst. Die Gläubigen sollen als Gemeinde aktiv ins liturgische Geschehen einbezogen werden; die Zentrierung auf den Priester tritt zurück. Die Konzilsväter betonen den Wert der Bibelverkündigung und der Kirchenmusik im Gottesdienst. Das neue römische Messbuch von 1969/70 geht weiter und ersetzt die alte Tridentinische Messe, bei der die Priester das Messopfer mit dem Rücken zur Gemeinde feiern. Zahlreiche Traditionen und Riten wie etwa die Kanzelpredigt oder die "Stillen Messen" werden abgeschafft.
Religionsfreiheit: Die Erklärung "Dignitatis humanae" (1965) über die Religionsfreiheit verweist auf die unverbrüchliche Menschenwürde jedes Einzelnen und spricht allen Menschen das bürgerliche Recht zu, ihre Religion frei nach dem eigenen Gewissen zu wählen. Gleichwohl betont das Konzil die Überzeugung, dass die "einzig wahre Religion" verwirklicht sei "in der katholischen, apostolischen Kirche".
Ökumene: Die Konzilsväter vollziehen eine grundlegende theologische Öffnung gegenüber Orthodoxen und Protestanten. Das Dekret "Unitatis redintegratio" (1964) ist ein Meilenstein der ökumenischen Dialogbereitschaft der römischen Kirche. In einer gemeinsamen Erklärung am vorletzten Tag des Konzils heben Papst Paul VI. und der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Athenagoras, die 1054 von ihren Vorgängern sanktionierte gegenseitige Exkommunikation auf.
Judentum und andere nichtchristliche Religionen: Die Erklärung "Nostra aetate" (1965) klärt das Verhältnis der römischen Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. Mit einer klaren Absage an den traditionellen Antijudaismus beginnt eine Aussöhnung der Kirche mit dem Judentum. Das Dokument betont das Verbindende mit den anderen Religionen, ohne den eigenen Wahrheitsanspruch zu schmälern. Die katholische Kirche, so heißt es, lehne nichts von dem ab, was in den Religionen "wahr und heilig" sei. Christen, Juden und Muslime werden ermuntert, gegenseitig Missverständnisse im Dialog auszuräumen.
Kirche und Welt: Die Konstitution "Gaudium et spes" (1965) versucht eine umfassende Positionsbestimmung der "Kirche in der Welt von heute", deren Erarbeitung für heftige Diskussionen unter den Konzilsvätern sorgte. Wichtige Themen waren das Verhältnis von Rüstung, Angriffskrieg und Selbstverteidigung, eine Verurteilung des kommunistischen Atheismus sowie eine Verbindung von wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Fortschritt mit gelebter Solidarität.
Bibel und Offenbarung: Die Konstitution "Dei Verbum" (1965) über die göttliche Offenbarung bahnt mit der Zulassung der historisch-kritischen Auslegung einem neuen wissenschaftlichen Umgang mit der Bibel den Weg. Das Dokument versucht, ein ausgewogenes Verhältnis von Heiliger Schrift, kirchlicher Tradition und kirchlichem Lehramt zu schaffen. Offenbarung wird als Selbstmitteilung Gottes in Worten und Taten verstanden.
Bischofsamt: Das Konzil wertet nicht nur die Stellung der Laien gegenüber den Priestern und Bischöfen auf. Im Dekret "Christus Dominus" (1965) über das bischöfliche Hirtenamt in der Kirche stärkt es auch die Lehr- und Leitungsfunktion des Bischofs in seiner Diözese gegenüber der römischen Kirchenzentrale und das aufkommende Instrument der nationalen Bischofskonferenzen. Die Betonung der bischöflichen Kollegialität schafft ein Gegengewicht zur Definition des päpstlichen Primats beim Ersten Vatikanum (1870/71).
Geistliche Berufe und Laienapostolat: In mehreren Dekreten entwirft das Konzil Richtlinien für eine zeitgemäße Form christlichen Lebens und Dienstes in geistlichen Berufen für Priester, Ordensleute und Laien. Die Bedeutung der Berufung von Laien wird betont, die Priesterausbildung neu geordnet. Die Missionstätigkeit der Kirche erhält im Dekret "Ad gentes" eine neue theologische Grundlage.
Medien: Das Konzilsdokument "Inter mirifica" (1963) ermuntert Katholiken, sich Medienkompetenz anzueignen, diese weiterzugeben und so christlichen Positionen auch über die Medien gesellschaftlich Gehör zu verschaffen.