Ein kaum bekannter Brauch der Ehrerweisung: Die Medizinische Universität Wien gedenkt jedes Jahr in einem ökumenischen Gottesdienst der Verstorbenen, die ihren Körper der Anatomie überlassen haben. Auch heuer findet diese Feier kurz vor Allerheiligen (27. Oktober, 18.00 Uhr) in der Votivkirche statt.
Erstmals seit Beginn der Pandemie lädt die Medizinische Universität Wien am Donnerstag, dem 27.10.2022, um 18.00 Uhr wieder in die Votivkirche (Rooseveltplatz, 1090 Wien) zum ökumenischen Gottesdienst im Gedenken an die Menschen, die ihren Körper der medizinischen Wissenschaft überlassen haben.
Der zur Tradition gewordene Gottesdienst findet seit Jahrzehnten in der Votivkirche statt, nachdem die Karl-Borromäus-Kirche auf dem Wiener Zentralfriedhof aufgrund des Andrangs zu klein geworden war, so Ao. Univ.-Prof. Dr. Michael Pretterklieber, Anatomieprofessor an der Medizinischen Universität Graz und bis vor wenigen Jahren Organisator des Gottesdienstes. Diese Feier sei einerseits Dank an die Verstorbenen, aber auch eine Gelegenheit für Angehörige, Wissenschaftler und Studierende, der Verstorbenen zu gedenken und ihnen die gebührende Ehre zu erweisen.
P. Simon De Keukelaere, Seelsorger der Katholischen Hochschulgemeinde, der dem Gottesdienst gemeinsam mit Katharina Payk, Pfarrerin der evangelischen Hochschulgemeinde vorsteht, sieht darin eine gelungene Zusammenarbeit und Begegnung von Religion und Wissenschaft.
Die erste Leichenöffnung in Wien fand am 14. Februar 1404 im Spital der Brüder zum hl. Geist vor den Toren Wiens (etwa im Gebiet des heutigen Resselparks), dem Verbot des Wiener Dompropstes zum Trotz, statt. Hintergrund der Auseinandersetzung war die Sorge um die Unversehrtheit des menschlichen Körpers. Anfang des 15. Jahrhunderts hatte man theologisch noch Schwierigkeiten, die Auferstehung des Leibes mit einer Leichenöffnung in Einklang zu bringen. Die Brüder des Hl. Geistes, die sich hauptsächlich der Krankenpflege widmeten, nutzten ihre rechtliche Unabhängigkeit vom Wiener Domkapitel, um dennoch der Wissenschaft Raum zu geben. Gut 300 Jahre später ermöglichten die Jesuiten 1749 mit dem „teatrum anatomicum“ an der Universität Wien (heute Akademie der Wissenschaften) den Beginn eines international renommierten anatomischen Wissenschaftsbetriebes in Wien.
Die Zahl der Menschen, die daran interessiert sind, ihren Körper post mortem der Anatomie zur Verfügung zu stellen, ist anhaltend groß, obwohl damit seit 2004 ein Kostenbeitrag verbunden ist. Der Entschluss kann zu Lebzeiten von der interessierten Person widerrufen werden, Angehörige haben allerdings kein Mitspracherecht. Gerade auch für sie ist somit die Feier in der Votivkirche ein wichtiger Moment des Gedenkens und des Abschiednehmens.
Ihre letzte Ruhe finden die Verstorbenen in einem Gräberfeld auf dem Wiener Zentralfriedhof. Am 26.Oktober findet dort auch zusätzlich eine Kranzniederlegung in aller Stille statt.