Antworten von Kardinal Christoph Schönborn in der Zeitung HEUTE am 28.10.2022.
In den kommenden Tagen gehen viele Menschen auf die Friedhöfe. Sie besuchen die Gräber ihrer Lieben. Es tröstet, auf diese Weise den Verstorbenen nahe zu sein. Aber nicht alle, die sterben, werden in einem Grab oder einer Urne beigesetzt. Manche vermachen ihren Körper der Wissenschaft. Ich war überrascht zu lesen, wie viele eine solche Verfügung treffen. In Wien sollen es etwa 40.000 Menschen sein, so viele wie sonst nirgends auf der Welt.
Gestern Abend fand in der Votivkirche der jährliche Gedenkgottesdienst für die Personen statt, die ihre sterblichen Überreste der medizinischen Forschung gewidmet haben. Am Leichnam lernen die Studierenden die Anatomie des Leibes. Wissenschaftler können neue Erkenntnisse über Krankheiten gewinnen.
Lange war es umstritten, ob Leichen seziert werden dürfen. Religiöse Gründe sprachen dagegen. Der Leib soll unversehrt bleiben. Doch setzte sich die Überzeugung durch, dass es dem Wohl der Lebenden dient, wenn am Körper von Verstorbenen geforscht werden darf. Die zahlreichen Teilnehmer am gestrigen Gottesdienst haben ihren Dank zum Ausdruck gebracht. Medizin und Religion – beide dienen dem ganzen Menschen, Leib und Seele.