Die unterschiedlichen "Ordenscharismen" seien vor allem dadurch entstanden, "dass Menschen konkrete Not wahrnehmen und sich ihr zuwenden", so Kardinal Schönborn.
Die unterschiedlichen "Ordenscharismen" seien vor allem dadurch entstanden, "dass Menschen konkrete Not wahrnehmen und sich ihr zuwenden", so Kardinal Schönborn.
Kardinal bei Wiener Vesper zum "Tag des geweihten Lebens": Charisma keine Garantie für Heiligkeit. Stärke der Orden, Not wahrzunehmen und sich ihr zuzuwenden.
Auf den mitunter schwierigen Umgang mit charismatischen Gründerfiguren jüngerer Ordensgemeinschaften hat Kardinal Christoph Schönborn am Freitagabend hingewiesen. Manchmal stelle sich im Nachhinein heraus, dass diese Personen "nicht dem entsprochen haben, was sie selbst als Vorbild leben wollten". Einige hätten schwer gesündigt, bis hin zu Missbrauch. Menschen, die diesen Persönlichkeiten vertraut haben, seien oft schwer enttäuscht worden und hätten neu lernen müssen, "was es heißt, einem Charisma zu folgen". Eine "schmerzliche Reinigung" sei hier unabkömmlich, sagte der Wiener Erzbischof. "Alle unsere Gemeinschaften brauchen immer wieder die Läuterung und Reinigung, damit das Gold und Silber dieses Charismas wirklich leuchten kann."
Bei einem "Charisma" im religiösen Sinn handelt es sich laut Schönborn um eine "geistgeschenkte Gabe, die Gott einem Menschen für den Dienst an andern verliehen hat". Zu hoffen sei, dass der Träger oder die Trägerin eines Charismas "dieser Gabe auch durch das persönliche Leben entspricht". Selbst wenn das nicht so sei, könne das Charisma "echt" sein, bemerkte der Kardinal, gelte doch: "Ein Charisma garantiert nicht die Heiligkeit." So sei erklärbar, dass nicht alle Ordensgründer Heilige seien. Heiligkeit hänge vielmehr von der Entfaltung dessen ab, was Gott bei der Taufe in einem Menschen grundgelegt habe. "Heilig werden wir, indem wir den Weg der Nachfolge gehen in dem Dienst und in der Begabung, die uns anvertraut sind", unterstrich Schönborn.
Der Kardinal äußerte sich im Rahmen einer Vesper im Wiener Stephansdom zum "Tag des geweihten Lebens", zu der mehrere hundert Ordensleute aus den Diözesen Wien und Eisenstadt gekommen waren. Auch Mitglieder von Säkularinstituten sowie geweihte Jungfrauen und Witwen waren zugegen bei dem Gebetstreffen, das von Schönborn gemeinsam mit dem Hochmeister des Deutschen Ordens und Leiter der Regionalkonferenz Wien-Eisenstadt, Frank Bayard, geleitet wurde. Im Rahmen der Feier erneuerten die Mitfeiernden ihre persönliche Hingabe an Gott. Die von Ordensfrauen musikalisch gestaltete Feier stand unter dem Motto "von Charismen geprägtes Vorangehen im Dienst bedrängender Not vieler".
Die unterschiedlichen "Ordenscharismen" seien vor allem dadurch entstanden, "dass Menschen konkrete Not wahrnehmen und sich ihr zuwenden", erklärte Schönborn. Als Beispiel nannte der Erzbischof den Gründer seiner eigenen Ordensgemeinschaft. Dominikus (1170-1221) habe als Priester auf der Reise durch Südfrankreich Angehörige der Katharerbewegung erlebt und deren Not in der von ihnen vertretenen "Irrlehre" erkannt - woraufhin er gleich bei ihnen blieb und fortan in sehr einfachen Verhältnissen als Missionar wirkte. Die vielen bis heute existierenden apostolischen Orden des 19. Jahrhunderts hätten hingegen auf Bildungs- und Gesundheitsnöte ihrer Zeit reagiert, sagte Schönborn. Der Sozialstaat habe deren Aufgabe inzwischen großteils übernommen, müsse damit jedoch auch als "Frucht dieses christlichen Einsatzes für Menschen in Bedrängnis" gesehen werden.
Bei anderen Gründergestalten aus der Ordenswelt sei es so, dass sie einen persönlichen Anruf Gottes verspürt hätten, "der dann auf andere Menschen ausgestrahlt hat", so der Kardinal, der dies am Beispiel der "Mönchsväter" Antonius und Benedikt von Nursia festmachte. Bei Ordens-Neugründungen der vergangenen Jahrzehnte sei der Impuls hingegen oft das Erleben einer Kirchenkrise nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) gewesen, die damals auch die traditionellen Ordensgemeinschaften erfasst habe. Die sogenannten charismatischen Gemeinschaften hätten "große Früchte für die Kirche" gebracht, betonte Schönborn, der an dieser Stelle zugleich auch auf das eben genannte Problem mancher Gründergestalten verwies.
Auch heute sei die Situation in den Ordensgemeinschaften und Säkularinstituten "nicht einfach, und es stellt sich die Frage: Was zeigst du uns dadurch, Herr?", befand Schönborn. Angebracht sei für Ordensleute jedenfalls, für das jeweilige Gründungscharisma zu danken, "das heute vielleicht in anderer Form als in der Gründerzeit wieder wirksam ist". Zugleich müsse das "Loslassens" gelernt werden. "Ein Charisma ist ein Geschenk für die Kirche, bei dem es aber keine Garantie gibt, dass es für immer gegeben ist", unterstrich der Erzbischof, der bei der Feier seines Eintritts im Dominikanerorden vor 60 Jahren gedachte.
Dankesworte an die versammelten Vertreter des geweihten Lebens für deren "Zeichenhaftigkeit" kamen von Hochmeister Bayard. Viele Ordensleute und Mitglieder von Säkularinstituten seien ihren einst abgelegten Gelübden schon sehr viele Jahre treu. Sie seien "Menschen, die mit strahlenden Augen und einem Lächeln von diesem Gott erzählen, der ein Gott des Lebens, der Liebe und der Güte ist". Viele trügen tagtäglich die Anliegen der Welt in ihrem Gebet vor Gott, und viele machten auch durch das geduldige Ertragen einer Krankheit oder des Alters den Menschen klar, "dass sie auch in dieser Hinfälligkeit und Krankheit von Gott getragen und gehalten sind", so der Generalabt des Deutschen Ordens.
In der Erzdiözese Wien leben 1.465 Ordensangehörige. Davon leben 579 Männer in 57 Ordensgemeinschaften und 886 Frauen in 48 Ordensgemeinschaften. In der Diözese Eisenstadt leben 98 Ordensleute, bzw. 29 Ordensmänner in 11 Ordensgemeinschaften und 69 Ordensfrauen in 5 Ordensgemeinschaften (Stand Ende 2019). Die Vorsitzenden sind Hochmeister P. Frank Bayard und Sr. Ruth Pucher von den Missionarinnen Christi.
Die Vesper auf YouTube nachschauen: