Wiener Erzbischof entschuldigt sich in ORF-"Pressestunde" für letztjährigen Corona-Sager und appelliert zum "Blick nach vorne statt zurück". Kirche muss heute neue Antworten auf Suche nach Sinn und Gemeinschaft finden.
Kardinal Christoph Schönborn hat sich für seinen Corona-Sager im Vorjahr entschuldigt. Sein am Palmsonntag 2022 in der ORF-Pressestunde getätigten Ausspruch: "Gott, lass es Hirn regnen" tue ihm leid, denn er habe damit "viele verstimmt, verärgert, enttäuscht und auch verletzt" sagte der Wiener Erzbischof genau ein Jahr später in derselben Sendung. Viele hätten es so verstanden, als ob er sich "auf der Seite jener sähe, die Hirn haben, und die Kritiker als jene betrachte, die kein Hirn haben". Heute würde er es so formulieren: "Lieber Gott, lass es für uns alle genügend Hirn regnen", denn: "Wir brauchen genügend Hirn und Herz, um mit dieser Krise fertigzuwerden."
Zum Handeln der Kirche in Österreich in den Zeiten der Corona-Lockdown stehe er nach wie vor, sagte Schönborn. Die Bischöfe hätten ebenso wie auch die Bundesregierung in der jeweiligen Verantwortung das getan, was man für das Richtige gehalten habe. Rückblickend sei man immer gescheiter und sähe, welche Maßnahme man besser anders gemacht hätte. "Doch man soll nicht so tun, als wäre es in der kritischen Situation nicht notwendig gewesen, Entscheidungen zu treffen", betonte der Wiener Erzbischof.
Alle Religionsgemeinschaften hätten sich vor Beginn des ersten Lockdowns 2020 bereit erklärt, die Maßnahmen der Regierung mitzutragen. "Dass die Kirche diese Maßnahmen mitgetragen hat, halte ich für selbstverständlich." Es sei damals für ihn auch gar nicht denkbar gewesen, dass ein Bischof die von der Regierung als notwendig erachteten Gesundheitsmaßnahmen etwa als "zu undifferenziert" zurückweise.
Kardinal Schönborn appellierte, angesichts der damaligen Dramatik "nicht aufzurechnen, was hätte anders gemacht werden können". Niemand habe zu Beginn der Pandemie abschätzen können, wohin sich die Mutationen des CoV19-Virus entwickeln würden. Weil das Virus einen Zickzack-Kurs gemacht habe, habe es auch einen Zickzack-Kurs in der Politik gegeben, erinnerte der Kardinal.
Zugutehalten müsse man der damaligen Regierung, dass sie gezwungen gewesen sei, Entscheidungen zu treffen und über Maßnahmen zu verfügen, was naturgemäß auch Fehler zutage gebracht habe. Statt einer "großen Fehlerkorrektur im Nachhinein" und ständigem Zurückkommen auf die "Coronageschichten" gelte es nun, "nach vorne zu schauen, wie wir mit der jetzigen Situation umgehen".
Konfrontiert mit dem laut Umfragen durch die Corona-Krise beschleunigten Rückgang der Religiosität bestätigte Schönborn, dass sich viele Menschen während der Lockdowns den sonntäglichen Kirchgang abgewöhnt hätten. Er sehe dieses Phänomen, das europaweit zu beobachten sei, mit einer "gewissen Gelassenheit, weil es eben so ist". Zugleich hoffe er darauf, dass hier eine Änderung durchaus möglich sei, auch da die "Sinnsuche" der Menschen ungebrochen anhalte.
Als besonders beachtenswert bezeichnete der Kardinal in diesem Zusammenhang jedoch die hohe Teilnahme an den Gottesdienstübertragungen. 800.000 Menschen in Österreich verfolgten jeden Sonntag den ORF-Radiogottesdienst, 200.000 die von zwei TV-Sendern übertragenen Gottesdienste. "Das sind mehr als in Österreich am Sonntag in der Kirche den Gottesdienst besuchen", bemerkte Schönborn.
Dass es in Österreich parallel zu den steigenden Kirchenaustritten auch immer mehr Menschen ohne Religionsbekenntnis gebe, nannte Schönborn ebenfalls eine "nicht nur europaweit, sondern weltweit" zu beobachtende Entwicklung des "Schwächelns traditioneller Formen der Religion", auch infolge sich verändernder Lebensformen. Schrecken jage ihm dieser Wandel nicht ein, denn: "Jeder Mensch hat in seinem Inneren eine Seele, die Sehnsucht hat, sich nach Sinn, Gemeinschaft und Liebe sehnt." Freilich sagten viele Menschen heute, sie würden die Kirche dazu nicht mehr brauchen.
Aufgrund dieser "Übergangssituation" sah Schönborn selbst Kirchenreformen wie etwa die vom "Synodalen Weg" in Deutschland vorschlagenen nicht als dafür geeignet, Menschen wieder in die Kirchen zurückzubringen. Anziehend wirke vielmehr "eine Gemeinde, die lebt", so der Kardinal, der als Beispiel ein von einer Wiener Pfarre veranstaltetes Iftar-Fastenbrechen nannte, welches er vor wenigen Tagen besucht habe. Menschen bräuchten die Erfahrung, willkommen zu sein.
Zurückhaltend äußerte sich der Wiener Erzbischof auch zu den Themen Frauenpriestertum und Zölibat. Die Notwendigkeit einer Aufwertung der Stellung der Frau habe sich im Rahmen des derzeit laufenden weltkirchlichen "Synodalen Prozesses" auf allen Kontinenten gezeigt, und er selbst sei "zuversichtlich, dass sich etwas ändern wird" in der Kirche. Dies könne jedoch nur erfolgen im Rahmen eines "intensiven gemeinsamen Hinhörens und Hinschauens, was eigentlich der Wille Gottes ist". Es sei gut, dass um die Fragen gerungen werde, und er sei persönlich zuversichtlich, dass sich etwas ändern werde.
Zur Frage der verpflichtenden Ehelosigkeit für römisch-katholische Priester verwies Schönborn auf laufende Gespräche und Entwicklungen. Dass Papst Franziskus den Zölibat kürzlich als "revidierbar" bezeichnet habe, sei nichts Neues, und auch er selbst habe dasselbe schon zuvor immer gesagt. "Die Frage ist nur das Wie, das Wann und das Wo", auch werde es sich selbst bei einer Änderung nicht um die "Lösung für die großen Fragen unserer Zeit" handeln, gab der Kardinal zu bedenken.
Erleichtert äußerte sich Schönborn darüber, dass es Papst Franziskus nach der Spitals-Einlieferung wegen Bronchitis diese Woche inzwischen wieder besser geht. Er hoffe, dass dem Kirchenoberhaupt noch ein langes Leben beschieden sei und er auch so lange weiter im Amt bleiben könne. "Wir brauchen ihn, und ich glaube, er tut uns gut", so der Kardinal. Würde sich Franziskus wider Erwarten aus dem Amt zurückziehen, würde er dies wohl auf andere Weise als sein Vorgänger Benedikt XVI. tun, vermutete Schönborn. Denkbar wäre etwa, dass Franziskus dann "ganz einfach unter den Leuten lebt und seinen Dienst leistet", wie dies ursprünglich für die Zeit nach der Emeritierung als Erzbischof von Buenos Aires vorgesehen habe.
Über seine eigene Zukunft sagte der Wiener Erzbischof, Papst Franziskus habe trotz seines Rücktrittsgesuchs 2020 - Schönborn reichte diesen damals ordnungsgemäß mit Vollendung seines 75. Lebensjahres ein - "offensichtlich vor, dass ich bei den beiden Synoden 2023 und 2024 noch dabei bin". Da er kurz darauf bereits den 80er erreiche, werde es spätestens dann soweit sein, zurückzutreten. "Kardinal König ist mit 80 zurückgetreten und war dann noch 18 Jahre sehr intensiv aktiv", bemerkte Schönborn. Wen der Papst als Nachfolger vorziehe, werde er nicht sagen, "da es nicht an mir liegt, Entscheidungen zu treffen".
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