Kardinal Christoph Schönborn bei der Predigt zur Priesterweihe: "Die Liebe Christi drängt uns!"
Kardinal Christoph Schönborn bei der Predigt zur Priesterweihe: "Die Liebe Christi drängt uns!"
Die Predigt von Kardinal Christoph Schönborn im genauen Wortlaut:
Für Priester müsse das Evangelium stets das entscheidende Kriterium sein, das sie einfach und lebendig verkünden sollten, so Schönborn. Es gehe nicht um "Geschichten oder eigene Ideen, sondern darum, das Evangelium authentisch weiterzugeben".
Liebe Weihekandidaten, liebe Schwestern und Brüder,
„Caritas Christi urget nos“ – „die Liebe Christi drängt uns“. Was ist mit Paulus geschehen, dass er sagen kann: „Mit Christus bin ich gekreuzigt. Ich lebe, doch nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir. … Ich lebe im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat“ (Gal 2,20). „Für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn“ (Phil 1,21). Sein Leben ist von Christus ergriffen, erfüllt, er lebt für ihn, von ihm, mit ihm: „Er ist unser Friede“ (Eph 2,14). Ich könnte seitenlang Paulus zitieren. Überall geht es um seine Liebe zu Christus, um die Liebe Christi, die ihn drängt, die ihn erfasst hat, die ihn erfüllt.
Liebe Brüder, um nichts weniger geht es heute in Eurer Priesterweihe. Ich werde Euch nachher fragen, ob Ihr bereit seid, Euer Leben immer enger mit Christus zu verbinden. Und ich werde durch die Spendung des Weihesakraments Euch von Christus selber her immer mehr mit ihm verbinden. Er tut das. Und er bleibt seinem Bund treu! Ihr werdet sakramental „das Bild Christi“ tiefer eingeprägt bekommen. „Christus soll mich prägen“, sagt Paulus: sein Leiden, sein Leben, sein Sterben, seine Auferstehung.
Manchmal frage ich mich: Was wäre mein eigenes Leben geworden ohne Christus? Ohne ihn zu kennen? Eines weiß ich: Die Liebe Christi hat mich begleitet, geleitet, fasziniert. Es hat sich so gefügt, dass meine theologische Leidenschaft der Christologie galt. Durch die Jahrhunderte haben Theologen unermüdlich nachgedacht über Jesus, seine Gestalt, sein Wort, sein Wirken. Es war mein Glück, dass ich die 15 Jahre meiner Lehrtätigkeit in der Theologie vor allem der Christologie widmen durfte. Aber ich will nicht über meinen Weg reden, sondern über IHN, der heute in bleibender Weise Eurem Leben sein Siegel aufprägt.
Ihr werdet nie an ein Ende kommen mit der Betrachtung des Lebens Jesu. Macht es zu einem wesentlichen Teil Eures Dienstes. Denn Ihr tretet in den besonderen Dienst Christi und daher müsst Ihr ihn immer mehr kennen, mit ihm vertraut sein, Euch von ihm prägen lassen. Die liebende Betrachtung seines Lebens, seines Verhaltens, seiner Worte gibt Euch den Maßstab für Euer eigenes Wirken. Seine Art, mit den Menschen umzugehen, soll Euren Umgang mit den Menschen prägen.
Stellt ihm die Fragen, die Ihr im Herzen habt! Fragt ihn! Wir dürfen einen lebendigen, einfachen, direkten Umgang mit Jesus pflegen. Er hat uns seine Freunde genannt. Warum, Jesus, so dürfen wir ihn z.B. fragen, warum hast du deinen Eltern so einen Kummer bereitet? „Kind, warum hast du uns das angetan?“, fragt Maria. Was war das, dass du dann deinen Eltern sagen konntest: „Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ (Lk 2,49) Was war das für ein Wissen, für ein Bewusstsein von dem, der im Tempel in Jerusalem angebetet wurde und den du einfach „meinen Vater“ nennst?
Wie Maria dürfen wir all diese Worte im Herzen bewahren und erwägen! Ja, ich lade euch wirklich ein: Fragt Jesus! Alles dürfen wir ihn fragen! Wie hast du gebetet? Wie war das, wenn du zum Vater gesprochen hast? Wie ist das für dich, den Willen des Vaters zu erkennen und zu tun? „Dein Wille, Vater, nicht mein Wille!“ Wie hast du das gemacht? Ich habe ihn oft gefragt: Herr, du hast ehelos gelebt und doch so unverwechselbar geliebt. Du hast dich von menschlicher Not nicht abschrecken lassen, hast dich berühren lassen. Wie hast du das gemacht? „Als er die vielen Menschen sah, wurde er von Mitleid mit ihnen ergriffen; denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben“ (Mt 9,36). Das Mitleid Jesu soll Euch prägen. Sein Blick auf die Menschen soll Euer Blick werden. Nicht immer wird das eine einfache Antwort sein, die wir sozusagen eins zu eins aus dem Evangelium ablesen können. Die Aufgabe der Unterscheidung bleibt uns allen aufgetragen, das Eingehen auf die konkrete Situation, nicht mit fertigen Rezepten, die man aus der Tasche zieht, aber doch mit dem Prüfen der Geister, dem Unterscheiden der Zeichen der Zeit, wie Paulus es getan und uns vorgelebt hat.
Was heißt das etwa, wenn Paulus sagt: „Die Liebe Christi drängt uns, da wir erkannt haben: Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben“ (2 Kor 5,14). Was heißt das: „für alle“? Nicht nur für die Tausend, die hier im Dom mitfeiern oder über den Livestream mit uns verbunden sind, sondern auch für die 300.000 Menschen, die fast zur selben Zeit an der Regenbogenparade rund um den Ring teilnehmen. Wirklich: für alle! Mit derselben bedingungslosen Liebe! Was heißt das für Euch als Priester, für uns alle als Christen? Und was bedeutet das für die unfassbare Tragödie der Flüchtlinge, die zu Hunderten im Mittelmeer ertrunken sind? Was heißt das, dass Gott uns „den Dienst der Versöhnung aufgetragen“ hat, der uns zuerst „durch Christus mit sich versöhnt“ (2 Kor 5,18) hat?
In all dem hilft es uns, auf die Evangelien zu hören, sie zu betrachten und zu verkünden. Bitte, verkündet das Evangelium! Nicht Geschichten, nicht eure Ideen, sondern das Evangelium, einfach, lebendig! Aber zugleich geht es nicht nur um die Gestalt Jesu in den Evangelien, sondern um den Christus praesens, den Herrn, der jetzt bei uns ist und der gesagt hat: „Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Zeit“ (Mt 18,20).
„Die Liebe Christi drängt uns“ – jetzt, heute. Seine Gegenwart gibt unserem Leben etwas, das unvergleichlich ist. Der Pfarrer von Ars wandte sich immer wieder, wenn er predigte, zum Tabernakel und sagte: „Il est là!“ Der Herr ist da! Ihr habt dieses Privileg, in die eucharistische Gegenwart zu gehen, zum Gebet. Es tut so gut zu wissen, dass der Herr wirklich, wesenhaft real gegenwärtig ist.
Es gibt aber nichts Größeres, das Euch heute anvertraut wird, als das Geheimnis des Glaubens, die Feier der Eucharistie. Sie wird das Herz und die Mitte Eures Dienstes sein. Die Einfachheit der Messe, mit den schlichten Zeichen von Brot und Wein, ist die Art, wie Gott selber in seiner Menschwerdung unter uns gegenwärtig sein wollte. Die Eucharistie ist die Mitte der Gemeinde, des Leibes Christi. Mit den Menschen Messe feiern zu dürfen, wird für euch der tiefste Ausdruck und die konkrete Gestalt der Kirche sein. Zum Dienst der Eucharistie gehört untrennbar der Dienst der Versöhnung. Liebe Brüder, ich wünsche Euch, dass ihr den Dienst der Versöhnung oft ausüben könnt, in der Form der geistlichen Begleitung, vor allem aber im Bußsakrament. Fragt die Mitbrüder, die häufig den Beichtdienst ausüben: Es gibt kaum einen Dienst, der uns so sehr bewusst macht, was der Sinn des priesterlichen Dienstes ist: „Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! An Christi statt: Das heißt, mit den Augen Christi sehen, mit dem Herzen Jesu wahrnehmen. Gestern war das Herz Jesu Fest: Jesu Liebe zu den einfachen Menschen, zu den Kleinen, den Armen, den Kindern. Das heißt, liebe Brüder, zuerst: sie wahrnehmen! Ein Herz für sie haben! Ich kann euch garantieren: Ihr werdet viel Freude erleben! Echtes Mitgefühl: sich mit den anderen freuen – es gibt so viel Grund, sich zu freuen –, mit den anderen trauern! Euer Menschsein ist das „Werkzeug“, mit dem Jesus seine Gegenwart unter uns verwirklicht. Auch ihr seid Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug der Gegenwart Jesu, in eurem Menschsein.
Daher zum Schluss ein Wort des heiligen Papstes Gregor des Großen, das Papst Benedikt gerne zitiert hat: „Darum sollen alle, die ein Vorsteheramt ausüben, nicht auf ihre Amtsgewalt, sondern auf die Gleichheit schauen, die von Natur aus gegeben ist. Und sie sollen sich nicht daran erfreuen, dass sie ihren Mitmenschen vorstehen, sondern dass sie ihnen helfen können“ (nec praeesse se hominibus gaudeant, sed prodesse; Liber regulae pastoralis II,6). Nicht praesse, sondern prodesse; nicht vorstehen, sondern helfen, nützlich sein. Das soll euer Weg sein.
Und ein allerletztes Wort: Habt ein großes Vertrauen zur Muttergottes. Es ist in meinem Leben gewachsen, ist immer noch zu klein, aber sie ist die große Lehrerin für Euren Weg als Priester!