Kapelle der Katholische Seelsorge in der Justizanstalt Wien-Josefstadt.
Kapelle der Katholische Seelsorge in der Justizanstalt Wien-Josefstadt.
Neuer leitender Anstaltsseelsorger der Justizanstalt Josefstadt, Jonathan Werner, im Interview über Missverständnisse und Vorurteile gegenüber Justizanstalten und Häftlingen.
Gitterstäbe, Regulierungen und keine Freiheiten: "Der Alltag in österreichischen Justizanstalten ist kein Urlaub",wie der leitende Anstaltsseelsorger für Österreich, Jonathan Werner, im Interview betont. Ein Gefängnis sei trotzdem weder "die Hölle", noch die Häftlinge Monster, räumt der Theologe und leitende Anstaltsseelsorger der Justizanstalt Josefstadt mit gängigen Missverständnissen auf: "Der Mensch ist mehr als seine Tat." Werner ist seit Juni Nachfolger des langjährigen Leiters der katholischen Gefängnisseelsorge Christian Kuhn sowie leitender Anstaltsseelsorger der Justizanstalt Josefstadt.
"Die Gefangenenpastoral ist die Ur-Instanz aus der alle Betreuungsdienste entstanden sind. Lange, bevor es psychologische Dienste gegeben hat, hat es Seelsorger gegeben", so Werner. Dieses Bewusstsein sei auch bei den Justizwachebeamten vorhanden, wobei die jüngere Generation kritischer gegenüber den Seelsorgern und der Kirche sei.
"Eine funktionierende Gefängnisseelsorge ist für den Vollzugsalltag wichtig", sagt Werner. Man helfe etwa mit, dass Häftlinge die Strukturen, die sie in eine Justizanstalt bringen, hinter sich lassen können. "Es geht um eine ganzheitliche Befreiung des Menschen", so der promovierte Theologe. Wichtig sei dabei die Zusammenarbeit der Seelsorgerinnen und Seelsorger mit Justizwache, Psychologischem Dienst und sonstigen Verantwortlichen.
"Häftlinge gehen gerne und oft in den Gottesdienst, auch deshalb, weil es eine Abwechslung in ihrem Alltag ist", gibt Werner einen Einblick in die spirituelle Motivation der Häftlinge. Dies habe zwar weniger mit der Religiosität der Menschen zu tun, als mehr mit dem Wunsch nach Auszeit; trotzdem gebe es viele Gespräche. Der Großteil sei auch hierbei nicht "typsiche religiös geprägt", auch wenn spirituelle Themen oft mitschwingen würden.
Die Seelsorgerinnen und Seelsorger können in den Gefängnissen nur innerhalb der Reglementierungen arbeiten, wie Werner erläutert. "Im Rahmen dessen muss man versuchen, das Beste daraus zu machen." Seine Aufgabe als leitender Seelsorger sei es folglich, Grenzen "achtsam auszuweiten" und zu vernetzen.
Die Herausforderung als Seelsorger sei, das eigene "vermeintliche Wissen" über andere ständig zu hinterfragen, so Werner. "Konkret heißt das, Vorurteile hinten anzustellen und Menschen Fragen zu stellen. Die Häftlinge empfinden das einerseits als respektvoll, andererseits ermöglichen vorurteilsfreie Fragen einen Raum für Kontakt." Denn nur die Insassen würden darüber entscheiden, ob sie mit Seelsorgern sprechen wollen oder nicht, erläutert Werner.
Taten hätten einen Kontext, den die meisten nicht kennen würden, stellt er klar. Er spreche daher nicht mehr von Mörder, sondern von Menschen, die einen Mord begangen haben. "Damit subsumiere ich nicht die gesamte Persönlichkeit unter einer Tat, sondern lasse einen Spielraum offen". Letzteres ermögliche in der Begegnung mit Häftlingen Kommunikation und Vertrauen.
In Österreich haben Insassen ein Recht auf spirituelle Betreuung, nicht die Religionen auf spirituelle Betreuung von Betroffenen. "Die Initiative muss vom Insassen ausgehen", erklärt Werner, der zuvor in der Justizanstalt in Garsten (OÖ) tätig war.
Als aktuelle Problemfelder bezeichnet der promovierte Theologe die Frage nach der Sterbehilfe im Strafvollzug. Viele Insassen - vor allem jene mit schweren Straftaten - würden unter ihrer Schuld leiden und sich als Belastung für die Gesellschaft fühlen. "Sterbehilfe könnte für Betroffene eine Art Ausweg sein, es sich und der Gesellschaft einfacher zu machen", mahnt Werner. Ähnlich wie bei alten, schwer kranken Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen würden, wollten auch Häftlinge keine Bürde sein.
Kritisch betrachtet der Theologe zudem die Tendenz, bei Justizanstalt-Neubauten auf sakrale Räume zu verzichten. Mehrzweckräume könnten keine Kirchen oder Kapellen ersetzen: "Hier stellt sich die Frage, ob wir uns als Kirche genug einbringen, und sagen 'Wir brauchen aber Räume, die einen sakralen Charakter haben und den anderen Tätigkeiten entzogen sind'?" Sogenannte "heilige Räume" seien etwa für die Aufbewahrung der Eucharistie wichtig. Christliche Seelsorger hätten bei Neubauten die Aufgabe, auch "heilige Räume und heilige Zeiten" einzufordern, da das Selbstverständnis für religiöse Bedürfnisse nicht mehr automatisch vorhanden sei.
Seelsorger - egal welcher Religion - seien in ihrer Rolle auch Brückenbauer zu anderen sozialen oder psychologischen Dienststellen sowie den Vollzugsbeamten. "Seelsorger sind nicht die besseren Menschen. Das Bild 'Wir sind die Gute, die Justizwachebeamten sind die Bösen' stimmt nicht. Wir alle arbeiten zusammen an der Verwirklichung der Vollzugsziele", sagt Werner. Zu den Vollzugszielen gehört der Vollzug der Freiheitsstrafe, die Resozialisierung sowie der Schutz der Bevölkerung. Die Ziele würden für die Insassen völlig ausreichen, meint Werner: "Man muss die Haft nicht schwerer machen als sie ist, da der Freiheitsentzug bereits Strafe genug ist."
Respekt zollt Werner den Justizwachebeamten, die für die Gefängnisinsassen meist die ersten Ansprechpartner seien. "Sie benötigen ein hohes Maß an Menschlichkeit und Professionalität", so der katholische Seelsorger.
Österreichweit sind in den 28 Justizanstalten insgesamt 31 haupt-oder nebenamtliche katholische Anstaltsseelsorger tätig, davon 5 in der Justizanstalt Josefstadt. Zudem engagieren sich ehrenamtliche Mitarbeitende in den Gefängnissen. Neben der katholischen Seelsorge gibt es auch Seelsorger aller in Österreich anerkannten Religionsgemeinschaften und Kirchen.
Gefangenenseelsorge ist Sache der einzelnen Diözesen und Pastoralämter. Ferner gibt es die "Arbeitsgemeinschaft der Katholischen Gefangenenhausseelsorger Österreichs", dessen langjähriger Vorsitzender Christian Kuhn im Juni sein Amt niederlegte. Als seine Nachfolgerin wurden im Juni im Anschluss an die 69. Tagung der Gefangenenseelsorge Österreichs, Bayern und der Schweiz die Referentin für Gefängnisseelsorge der Diözese Linz, Beatrix Hofer und als ihre Stellvertreterin Alexandra Keisler-Dite von der Justizanstalt Josefstadt gewählt. Die 70. Tagung der Gefängnisseelsorger Österreichs, Bayerns und der Schweiz findet im Juni 2024 in Puchberg bei Wels statt.
Auf internationaler Ebene ist die katholische Gefangenenseelsorge Österreichs Mitglied des ICCPPC (International Commission of Catholic Prison Pastoral Care).