"Die Klimakrise ist für mich eine Erfahrung der Abwesenheit Gottes: Der Horizont unserer Zukunftsaussichten verdunkelt sich", so Professor Markus Vogt.
"Die Klimakrise ist für mich eine Erfahrung der Abwesenheit Gottes: Der Horizont unserer Zukunftsaussichten verdunkelt sich", so Professor Markus Vogt.
Angesichts der Klimakrise würden wir handeln, als gäbe es keine Zukunft, kritisiert Professor Markus Vogt im Interview. Gefunden werden könne Gott unter den vielen Menschen, die bereits jetzt unter dem Klimawandel leiden. Zum Thema „Wo bleibt Gott in der Klimakrise?“ spricht er beim „Inspirationstag Laudato Si“ am 29. September. Anmeldungen sind noch möglich.
Herr Professor Vogt, der Klimawandel ist die bisher größte Herausforderung der Menschheitsgeschichte. Hält sich Gott aus all dem heraus, sodass das Problem uns Menschen allein überlassen ist? Oder wirkt Gott in der Klimakrise?
Die Klimakrise ist für mich eine Erfahrung der Abwesenheit Gottes: Der Horizont unserer Zukunftsaussichten verdunkelt sich. Die Achtlosigkeit, mit der wir die Schöpfung behandeln, ist zugleich eine Form der Leugnung Gottes. Es ist, als würden wir Christus erneut ans Kreuz nageln: den kosmischen Christus in der geschundenen Schöpfung. Denn die Schöpfung ist der Leib Gottes. Wir sind „Zukunftsatheisten“: Wir handeln als gäbe es keine Zukunft und keine Verantwortung für die nachfolgenden Generationen.
Ich glaube nicht, dass Gott direkt wie ein Akteur in die Geschichte intervenieren und uns vor den Folgen des Klimawandels schützen wird. Dennoch sind wir nicht allein mit den Problemen: Gott ist leidsensibel, er steht auf der Seite der Millionen von Menschen, die heute schon unter dem Klimawandel leiden. Wir müssen ihn dort entdecken, unter den Armen, Ausgeschlossenen und Geschundenen.
In der Bibel hat Gott uns einen Weg der Gerechtigkeit aufgezeigt, den es heute in Bezug auf die Herausforderungen der ökologischen Transformation zu konkretisieren und konsequent umzusetzen gilt. Wo Menschen sich für Klimaschutz einsetzten, wirkt Gott und kann der Schöpfungsglaube neu lebendig werden.
Der Inspirationstag ist interreligiös ausgerichtet, Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen denken gemeinsam über das Thema Schöpfungsverantwortung nach. Welche Rolle spielen die großen Weltreligionen in der Klimakrise bzw. welche Rolle könnten sie noch spielen?
Die Weltreligionen haben ein je unterschiedliches Charisma, das sie zur ökologischen Umkehr beitragen können: Im Hinduismus ist beispielsweise der Tierschutz sowie das auch auf die Natur angewendete Prinzip der Gewaltlosigkeit besonders ausgeprägt. Im Buddhismus sind (Konsum-)Askese und die meditative Konzentration auf das Wesentliche vorbildlich.
Im Islam bietet das Prinzip des auch auf ökologische Kollektivgüter anwendbaren Gemeinwohls (maslaha) Orientierung. Das Christentum fängt langsam an, sich wieder an die Naturliebe des Franz von Assisi zu erinnern, der 1979 zum Umweltpatron ernannt wurde und dessen Sonnengesang der Umweltenzyklika „Laudato si‘“ ihren Namen gab.
Am wichtigsten aber wäre es, die Stimme der indigenen Naturreligionen für eine grundlegende Transformation des Naturverhältnisses zu hören. Diese muss jedoch für einen Dialog mit heutigen Herausforderungen fruchtbar gemacht werden. Wegweisend ist für mich hier beispielsweise das Buch der indianischen Botanikprofessorin Robin Wall Kimmerer „Geflochtenes Süßgras. Die Weisheit der Pflanzen“.
Nicht nur die Erde wird heißer, sondern auch die Diskussionen rund um den Klimawandel werden hitziger (Stichwort: ‚Klimaleugner‘, Debatte rund um ‚Klimakleber‘ etc.). In welche Richtung müsste der gesellschaftliche Diskurs gehen, um nicht zu noch mehr Spaltung und Lagerdenken zu führen?
Zur kontroversen Debatte um die „Klimakleber“ der Letzten Generation, die sich genauer „Letzte Generation vor den Klimakipppunkten“ nennen, haben wir in München eine Kampagne unter dem Titel „Handeln statt kriminalisieren“ gestartet. Ich halte es für unsäglich, dass die Bayerische Staatsregierung diese als terroristische Vereinigung mit entsprechenden juristischen Konsequenzen einstuft. Das ist sachlich falsch (sie handeln gewaltfrei, bedrohen kein Menschleben und gründen ihre Einstellung auf Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung). Ich habe Respekt vor den mutigen jungen Menschen. Der zivilgesellschaftliche Widerstand ist ein wichtiges Mittel, um die Gesellschaft aus der Trägheit aufzurütteln.
Leider wächst die Zahl derer, die meinen, sie würden das Problem los, indem sie die Fakten leugnen. Hier wächst der Wissenschaft die Aufgabe einer Kommunikationsoffensive zu. Die Politik hat die schwierige Pflicht, Mehrheiten für die nötigen unbequemen Maßnahmen zu organisieren und die Abspaltung von Minderheiten zu verhindern. Da sie damit offensichtlich überfordert ist, muss das Recht ihr zu Hilfe kommen und einen verbindlichen Rahmen vorgeben. Dafür war in Deutschland das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom April 2021 wegweisend, das die überproportionale Verschiebung der Lasten des Klimaschutzes auf die Zeit nach 2030 als Verstoß gegen die Verfassung und gegen die Grundrechte der jungen Generation beurteilt hat.
Der Klimawandel verschärft bestehende soziale Ungerechtigkeiten. Besonders arme Regionen spüren die Auswirkungen bereits jetzt besonders. Was ist unser Auftrag als Christinnen und Christen dabei?
Die soziale Ungerechtigkeit im Klimawandel hat eine globale und eine nationale Dimension. Es ist hinlänglich bekannt, dass die Menschen im Globalen Süden, die historisch am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, am meisten unter ihm leiden. Die Studie „Drei Grad mehr“ geht davon aus, dass sich bei einer durchschnittlichen globalen Erwärmung um drei Grad – auf die der bisherige Kurs hinausläuft – viele Landgebiete um sechs oder mehr Grad erwärmen werden. Dadurch werden sich tödliche Hitzewellen massiv ausweiten und viele Regionen im Globalen Süden, z.B. in Afrika oder Indien, nicht mehr bewohnbar sein.
Das wird absehbar zu unvorstellbaren Migrationswellen und Konflikten führen. Im Wissen, dass es sich nicht einfach um Schicksal, sondern um eine der größten Ungerechtigkeiten der Menschheitsgeschichte handelt, werden die Menschen dies nicht friedlich hinnehmen. Es ist unser Auftrag als Christinnen und Christen, die Menschen in Predigten, Bildungsveranstaltungen, Zeichenhandlungen und öffentlichen Stellungnahmen aufzurütteln. Nach dem Prinzip der Menschheitsfamilie ist solidarisches Handeln mit den Menschen im Globalen Süden einzufordern und zu praktizieren.
nationaler Ebene ist das Gerechtigkeitsproblem besonders knifflig: Die einfachste und wirksamste Steuerung ist, den Umweltverbrauch teuer zu machen (z.B. durch eine CO2-Steuer). Da sich die Reichen aber leicht freikaufen können, wird dies die Armen weit härter treffen. Es braucht also eine wirksame soziale Abfederung der Maßnahmen, auch um der Akzeptanz willen und um soziale Spaltungen zu vermeiden.
Angesichts der enormen Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, fühlen sich viele ohnmächtig und hoffnungslos. Das Evangelium ist jedoch eine Botschaft der Hoffnung und Zuversicht. Was gibt Ihnen als gläubiger Mensch Hoffnung in der ganzen Thematik der Klimakrise?
Meine Hoffnung ist eine „durchkreuzte Hoffnung“: Ich glaube nicht, dass uns die Erfahrung des Kreuzes – von Abgründen des Leids, der Ungerechtigkeit und der Schuld – erspart bleibt. Für zahllose Menschen ist dies heute schon Realität. Menschheitlich sind wir immer noch dabei, den CO2-Ausstoß zu steigern. Es fehlt am kollektiven Willen, den Eintritt in den Wirkungsraum der klimatischen Kippunkte zu verhindern.
Persönlich begegne ich aber immer wieder Menschen, die sich mit aller Kraft für Klimaschutz und Solidarität einsetzen. Das gibt mir Hoffnung. Keiner weiß, wie die Zukunft genau aussehen wird. Auch wenn ich selbst nur kleine Dinge tun und bewirken kann, habe ich Freude daran, die Botschaft des Evangeliums ins Heute zu übersetzen. Auch der Klimawandel ändert nichts daran, dass ich (zumindest bisher) kaum Veranlagung zur Depression habe. Ich bin dankbar für die Schönheit der Schöpfung und will mir die Freude am Leben durch nichts verdrießen lassen.
Der „Interreligiösen Inspirationstag Laudato Si“ beleuchtet unter dem Motto „Gemeinsam für unsere Erde“ das Thema Schöpfungsverantwortung und Nachhaltigkeit aus dem Blickwinkel verschiedener religiöser Traditionen – mit einem Impulsvortrag, zwei Workshops und einem gemeinsamen Abendessen.
29. September, 15 - 21 Uhr, Kardinal-König- Haus, Kardinal König Platz 3, 1130 Wien.