Weihbischof Turnovszky: „Pfarre gibt es, weil es um Jesus geht.“
Weihbischof Turnovszky: „Pfarre gibt es, weil es um Jesus geht.“
Ein echter Mutmacher-Tag: der Vikariatstag für Pfarrgemeinde- und Vermögensverwaltungsräte am 9. September in Hollabrunn.
Von Stefan Kronthaler
An eine dramatische Luftnummer aus der Welt des Zirkus erinnerte der langjährige Innsbrucker Dogmatikprofessor Jozef Niewiadomski in seinem fulminanten Vortrag beim Vikariatstag für Pfarrgemeinde- und Vermögensverwaltungsräte am 9. September in Hollabrunn. Dieser Tag des Nord-Vikariats stand unter dem Thema: „Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet Euch nicht.“ (Jesaja 35,4)
Ein Akrobat, der sogenannte „Flieger“, wechselt im Zirkus im freien Flug zum sogenannten „Fänger“. „Der Flieger fliegt, der Fänger fängt“, zählte Niewiadomski auf. Es gehe darum, sich dem „göttlichen Fänger anzuvertrauen“. „Unsere Haupt- und Ehrenamtlichen haben, ausgehend von der Macht soziologischer Prognosen und statistischer Daten, das Vertrauen in den göttlichen Fänger verloren“, sagte er. Christlicher Glaube werde medial oft wie „Schnee von gestern“ suggeriert, nach dem Motto: „Die Kirche stirbt.“
Niewiadomski erinnerte an ein Wort der deutschen Erziehungswissenschaftlerin Marianne Gronemeyer, wonach durch die Abschaffung der Ewigkeit das Leben zur „letzten Gelegenheit, etwas zu leisten und zu erleben“ geworden sei. An die Stelle der Gelassenheit seien die Ängste getreten. Niewiadomski zitierte auch ein äußerst pessimistisches Wort des aus Rumänien gebürtigen Philosophen Emil Cioran: „Wie recht man hatte, einst den Tageslauf mit einem Gebet, einem Hilferuf zu beginnen! Da wir nicht wissen, an wen wir uns wenden sollen, werden wir uns schließlich vor der nächstbesten verrückten Gottheit in den Staub werfen.“
„Die heutigen Gottheiten heißen Trends. Es gibt auch den Trend, aus der Kirche auszutreten“, betonte Niewiadomski: „Und auch die Ängste werden zu Trends.“ Der „himmlische Fänger“, Gott, rufe den Menschen zu: „Habt Mut! Lasst euch nicht von den Ängsten überwältigen!“ Die Menschen sollten an Noah und die biblische Sintflut, an die Jahre der Trockenheit in Ägypten, an die Dürre in der Zeit des Propheten Elija, und vor allem an das Volk Israel im Babylonischen Exil denken. Der Glaube, dass Gott sie nicht fallenlässt, habe dem Judentum damals eine Zukunftsperspektive eröffnet.
Niewiadomski zitierte den Religionssoziologen Franz-Xaver Kaufmann: „Wer nur noch an das Sterben der Kirche glaubt, wird dieses Sterben auch erleben. Soll dein Glaube zukunftsfähig sein, so glaube, bete, öffne Dich für die Worte der Bibel und wähle aus dem Schatz der christlichen Tradition, was Dich anspricht. Und handle mit diesem Kompass nach Deiner Vernunft.“
Mut mache auch das Gedicht „Das Ganze ahnen“ von Jan Twardowski: „Wir beten, weil andere nicht beten, wir glauben, weil andere nicht glauben, wir lieben, weil anderen das Herz erkaltet ist, Ungleiche brauchen einander … sie ahnen das Ganze.“ Es sei fatal, dass die Kirche der sogenannten „Welt“ signalisiere, dass die Kirche der Welt „gleich ist“. Niewiadomski nüchtern: „Die Gleichen brauchen einander nicht.“ Und: „Gibt es einen Unterschied zwischen uns und den anderen?“, fragte der Dogmatikprofessor: „Glauben wir, dass Gott, der himmlische Fänger, uns auffangen wird?“ Der vermeintliche „Schnee von gestern“ sei das „lebensspendende Wasser von morgen“.
Niewiadomski warnte auch vor der Reduzierung der Religion auf Ethik. „Der eigentliche Wert des Glaubens und der Religion wird erst dort sichtbar, wo der Mensch versagt.“ Er erinnerte an die „Versuchung der Sündenbockjagd“ und die damit verbundenen „Säuberungen“. Niewiadomski konkret: „Die Gläubigen kennen den Neuanfang aus der Kraft der geschenkten Vergebung. Und Gott, er steigt herab in den menschlichen Dreck. Wir glauben daran, dass Gott selber in seinem Sohn mit uns – den versagenden Menschen – geht. Und uns auch so vor der Selbstverachtung bewahrt.“
Der Appell des Dogmatikprofessors: „Je weniger die Ethik unseren Alltag strukturiert, umso mehr wird der christliche Glaube wichtig.“ Der Blick auf den „göttlichen Fänger“ meine: „Es gibt keinen Grund, verzagt zu sein. Weil wir aufgefangen werden, sind wir nicht nur modern, deswegen müssen wir nicht modern.“ Daher, so sein Appell: „Wir sind besser als unser Ruf.“ Und an die Pfarrgemeinderäte und Vermögensverwaltungsräte gerichtet: „Ihr seid die Flieger und auch die Fänger, damit ihr fliegen und zugleich auffangen könnt.“
In ihrem Impuls-Vortrag erinnerte Jugend-Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP), sie ist auch in der Bundesregierung für den Bereich „Ehrenamt“ zuständig, daran, dass sie selbst Jungscharkind und Jungschargruppenleiterin und Ministrantin in ihrer oberösterreichischen Heimatpfarre gewesen sei. Plakolm sieht die Pfarren als „große Vorreiter im Bereich des Ehrenamts“. Pfarren mit ihrem vielfältigen Engagement seien „der Inbegriff für Solidarität und Gemeinschaft“, sie böten auch der Jugend „Stabilität und Sicherheit“.
Die Staatssekretärin begrüßte den Appell von Kardinal Christoph Schönborn Anfang September bei den „Kommunalen Sommergesprächen“ im steirischen Bad Aussee, „die Kirchen offenzuhalten“. Die Bundesregierung werde das „Ehrenamt“ stärken, um den Ur-Gedanken, das Engagement für Andere, noch sichtbarer zu machen. „Das Engagement in Kirche und Gesellschaft tut gut“, so die Staatssekretärin. Plakolm erinnerte auch an den großen und wichtigen Beitrag der Familien beim Hineinwachsen in den Glauben.
Bei dem anschließenden Podiumsgespräch klagte Bischofsvikar und Weihbischof Stephan Turnovszky, dass zunehmend ein „Fordern“ in der Politik vorherrsche. „Synodalität“ im Sinne von Papst Franziskus sei hingegen „der Verzicht auf Forderungen zugunsten des Zuhörens“. Jozef Niewiadomski erinnerte, dass „religio“ eine „Bindung an etwas“ bedeute. Das jüdische Volk erfahre seit Jahrtausenden, dass es „von Gott begleitet“ werde, die Christen wissen um einen Gott, der sogar „in den Dreck“ herabsteigt. Der Innsbrucker Dogmatikprofessor kritisierte, dass die sogenannte „Letzte Generation“ zu sehr mit dem „Motiv der Angst“ arbeite. Jugend-Staatssekretärin Plakolm unterstrich, dass es auch Aufgabe der Kirche sei, den Jungen „Mut zu machen, dass sie wieder an das Morgen denken und dementsprechend handeln“.
In seinen Mutmacher-Schlussimpulsen für die mehr als 500 Teilnehmenden erinnerte Bischofsvikar Turnovszky, dass „Jesus nicht nur Vorbild, sondern realer Freund an meiner Seite“ sei, Jesus sei „der Weg zu Gott“. „Stille“, eine „stille Gebetszeit am Beginn eines jeden Tages“, ist dem Weihbischof wichtig. Er fühlt sich im Alltag durch den Heiligen Geist, durch Ideen und durch Menschen geführt. Hinsichtlich der Bewältigung von Schuld nannte Turnovszky die Beichte „ein Fensterputzen für die Seele“. Durch die häufige Mit-Feier der heiligen Messe würden die Gläubigen „vertrauter und verbundener mit Jesus“. Auch würden heute „Wunder geschehen, gar nicht so selten“, ist der Bischofsvikar überzeugt. Durch Jesus lerne er auch, „mit einem unbefangeneren Blick auf andere Menschen zu schauen“. Und er rechnet immer wieder damit, dass „Gott mir etwas durch andere Menschen sagen will“. Im Blick auf Jesus halte er „manches leichter aus“. Und: Er hoffe auf die Auferstehung und habe damit „nicht den Druck, in diesem Leben alles erlebt haben zu müssen“. Turnovszky rechnet mit dem „Gericht“, zugleich sei der christliche Glaube „ernst-froh“. Die Wochentage würden den „Alltag mit Jesus strukturieren“. „Am Sonntag feiere ich, am Freitag faste ich“, betonte der Bischofsvikar: „Pfarre gibt es, weil es um Jesus geht.“ Auch wenn sich in den nächsten Jahren im Weinviertel und Marchfeld vieles verändern werde, so sei es Jesus, „der uns fängt“.
Diözesane Dienststellen und Fachausschüsse präsentierten mit Info-Ständen ihre Materialien und Unterlagen. Elmar Ballanda sorgte mit seiner Bauchrednerkunst für zauberhafte Momente.