13 Organisationen schilderten bei Zusammentreffen mit Bundeskanzler Nehammer Realität armer Menschen in Österreich. Nehammer: "Es gibt Armut in diesem Land, das ist auch zu benennen", aber Österreich ist kein armes Land.
Vertreterinnen und Vertreter von Hilfsorganisationen haben am Freitag bei einem Zusammentreffen mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) Maßnahmen zur Verringerung von Armut in Österreich eingefordert. Auslöser der Veranstaltung im "Schutzhaus Zukunft" im 15. Bezirk in Wien war ein an die Öffentlichkeit gespieltes Video, in dem der Bundeskanzler u.a. die hohe Teilzeit-Quote von Frauen beklagte und meinte, dass in Österreich niemand hungern müsse, indem er auf Fast-Food-Preise verwies. Nehammer betonte zu Beginn des Austauschs die Wichtigkeit des Zusammentreffens mit den Organisationen, er wolle dieses nutzen, "um ein paar Dinge ins rechte Licht rücken".
"Es gibt Armut in diesem Land, das ist auch zu benennen", so der Bundeskanzler, aber Österreich sei kein armes Land, im Gegenteil, es werde viel unternommen, um Armen zu helfen. Wenn man das Gegenteil behaupte, bereite man den Nährboden für politische Extreme, zeigte sich der Bundeskanzler überzeugt. "Österreich ist eines der bestorganisierten Länder, wenn es um Hilfe für Betroffene geht." Es werde aber immer individuelle Fälle geben, "wo es zu wenig gibt", hier sei es wichtig, dass Hilfsorganisationen einspringen.
Das "Mc Donalds-Beispiel" sei nicht das beste gewesen, gab Nehammer zu. Aber, "ich bin ein christlich-sozialer Politiker, dazu gehört auch Eigenverantwortung", verteidigte der Kanzler seine intendierte Grundaussage. Falsch sei der Vorwurf, er habe armutsgefährdeten Frauen mit Betreuungspflichten nahegelegt, "einfach" mehr zu arbeiten, das sei "manipulativ zusammengeschnitten worden", verteidigte sich der Bundeskanzler. Im Gegenteil, er erkenne die Leistung von Pflegenden und Alleinerziehenden an.
Die Hilfsorganisationen richteten im Laufe des Gesprächs konkrete Forderungen an den Kanzler. "Die Sozialhilfe in Österreich muss armutsfest gemacht werden", forderte Tamara Majnek von der Caritas Österreich. Dafür brauche es in erster Linie eine umfassende Reform der Sozialreform anstatt andauerndes Stückwerk. Ebenso brauche es eine signifikante Anhebung der Ausgleichszulagen-Richtsätze sowie "armutsfeste Familienmaßnahmen", betonte Majnek.
Martina Polleres-Hyll von der Caritas betonte die schwierigen Rahmenbedingungen für Kinder und Jugendliche. Der Kanzler habe mit seiner Aussage recht, dass Eltern Verantwortung für ihre Kinder haben, der Alltag in den Caritas-Lerncafes zeige aber: "Die Eltern wollen nur das Beste für die Kinder." Die erste Frage der Kinder am Nachmittag sei trotzdem fast immer die nach der Jause. Es sei oft die erste Mahlzeit der Kinder, so die Caritas-Vertreterin. In den Lerncafes würden derzeit über 1.000 Kinder auf einen freien Platz warten.
Willi Raber von der Stadt-Diakonie Wien stellte die Frage nach dem Umgang der Politik mit Armutsbetroffenen. "Wie sprechen wir über und mit armutsbetroffenen Menschen?" Hier herrsche Aufholbedarf in der Kommunikation, so der Diakonie-Vertreter in Hinblick auf das Video. Man müsse mit und nicht über Armutsbetroffene sprechen. In der Realität der Betroffenen brauche es flächendeckende Hilfe, plädierte der Diakonie-Vertreter für einen "Mindestsicherung als tragfähiges soziales Netz".
Die St. Elisabethstiftung der Erzdiözese Wien unterstützt alleinerziehende Frauen, berichtete Iva Müller-Uri von der Stiftung. Alleinerziehende seien bereits zu 50 Prozent armutsgefährdet. Dieses Problem gelte es anzuerkennen und es müssten Maßnahmen dagegen ergriffen werden.
Auch die katholische Frauenbewegung stellte Kinderarmut als Folge von Frauenarmut ins Zentrum ihres Beitrags. Es gehe darum, als Regierung flächendeckend Bewusstseinsarbeit in dieser Hinsicht zu starten.