Bischöfe und kirchliche Vereinigungen stemmten sich vor 50 Jahren mit aller Kraft gegen die sich abzeichnende Freigabe der Abtreibung - und blieben dabei letztlich erfolglos.
Nie hat die katholische Kirche Österreichs in der Zweiten Republik dermaßen ihr gesellschaftliches Gewicht in die Waagschale gelegt wie vor 50 Jahren: Als 1973 die Straffreiheit für Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten beschlossen wurde, galt die Kirche als stärkste Gegenstimme gegen die Pläne der alleinregierenden SPÖ. Auf allen Ebenen wurde gegen die Entscheidung im Zuge der Familien- und Strafrechtsreform mobilisiert. Der Einsatz blieb vergeblich, und eine Aussöhnung von Befürwortern der Abtreibung mit jenen des Lebensschutzes steht bis heute aus. Das Datum 29. November 1973, an dem die Fristenregelung beschlossen wurde, blieb als Symbol einer "offenen Wunde".
Allen Versuchen einer Änderung der Abtreibungsbestimmungen gelte es ein "unbedingtes Nein" entgegenzusetzen, erklärte die Bischofskonferenz schon zuvor im Juni 1973 zur damaligen Regierungsvorlage. Diese sei unannehmbar "in jeder Variante". Denn: "Die Fristenlösung sieht nicht mehr das ungeborene Leben, sondern das Leben und die Gesundheit der Mutter als zu schützendes Rechtsgut an. Die mehrfach aufgestellte Behauptung, dass es nur bei der sogenannten Fristenlösung möglich wäre, abtreibungswillige Frauen zu Beratungsstellen zu bringen und damit den Schwangerschaftsabbruch als Massenerscheinung einzudämmen, ist unzutreffend", so die Bischofskonferenz.
Bereits an der Begrifflichkeit stießen sich die Kirchenvertreter. "Gerade weil gesellschaftliche Mängel, die als Begründung oder Vorwand für die Einführung der Fristenlösung ins Treffen geführt werden, behoben werden können, ist die Fristenlösung keine Lösung", hieß es in der Stellungnahme. Die Fristenlösung würde die "faktische Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs" bedeuten, ungeborenes Leben rechtlos machen und der schon bis dahin laxen Handhabung der Gesetze nur noch weiter Vorschub leisten. Parallel zu ihrer Eingabe an den Nationalrat verfügten die Bischöfe, man möge fortan in allen Kirchen Österreichs bei den Gottesdiensten Fürbitten zum Schutz des menschlichen Lebens beten.
Auch andere setzten sich in Bewegung, wie etwa die Ärzteschaft. Österreichs Gynäkologen sprachen sich in einer geheimen Briefabstimmung zu 89 Prozent "gegen den freien Abortus" aus. Die Frauenkliniken Wien, Graz, Innsbruck und Salzburg warnten in einem Memorandum an die Nationalrats-Mitglieder eindringlich vor der Fristenreglung - aus medizinischen Gründen und wegen negativer Erfahrungen in anderen Ländern. "Es ist nicht nur eine Frage der christlichen Moral, wenn Sie, Herr Bundeskanzler, die Öffentlichkeit glauben machen wollen, es geht hier um die Frage der menschlichen Existenz und Freiheit, um die Frage von Recht und Wahrheit. Als Mensch und Kinderarzt beschwöre ich Sie, besinnen Sie sich!", schrieb der Rektor der Universität Innsbruck, Heribert Berger, in einem offenen Brief an Bruno Kreisky.
Eine wichtige Rolle spielte in der Debatte die überkonfessionelle "Aktion Leben", deren Unterschriftenaktion sich 823.000 wahlberechtigte Österreicher anschlossen. Gefordert wurde die "Gewährleistung des strafrechtlichen Schutzes des ungeborenen Lebens". Weiters gelte es dabei "schwerwiegende Konfliktsituationen" zu berücksichtigen, bei gleichzeitiger Verwirklichung "weitreichender sozialpolitischer Maßnahmen, durch die Müttern und Kindern wirksame Hilfe geleistet werden sollte".
Die Abtreibungsfrage war dann auch Thema der "Österreich-Synode", bei der eine Resolution verfasst und auf Geheiß der Bischöfe am 16. November 1973 bei allen Gottesdiensten verlesen wurde. "Eine Gesellschaft, die den Anspruch des Menschen auf sein Leben infrage stellt, ist unmenschlich", hieß es darin. Jedes Vergehen gegen menschliches Leben "auf jeder Entwicklungsstufe" sei ein Übel und enthülle ein "Versagen des Einzelnen und der Gemeinschaft". Vor dem Beschluss einer Fristenlösung wurde gewarnt, angesichts "weitreichender Folgen", wobei auch eine stimmenmäßig knappe Beschlussfassung "verhängnisvolle Polarisierungen" nach sich zu ziehen drohe. Die Kirche forderte stattdessen ein "positives Gesetz", welches das "Recht jeder Mutter, ihr Kind zur Welt zu bringen und ein menschenwürdiges Leben zu führen" unterstreichen solle.
Eine Umstimmung der absoluten regierenden SPÖ, von deren Langzeit-Justizminister Christian Broda der Gesetzesentwurf für die Fristenlösung stammte, versuchte der Katholische Familienverband in einem Schreiben an die roten Landesparteivorstände. Ersucht wurde darum, die Partei möge bei der Abstimmung in der Fristenlösungs-Frage den Klubzwang aufheben und ihren Abgeordneten die Entscheidung freistellen. Wer gegen die Parteilinie votiere, möge keine Nachteile erleiden. Die Hoffnung lag dabei vor allem bei den Tiroler Funktionären, deren Obmann Herbert Salcher sich kritisch gegenüber der Fristenregelung ausgesprochen hatte. Auch von der Katholischen Jungschar, Arbeiterbewegung und Lehrerschaft waren ähnliche Forderungen vernehmbar.
Angesichts immer härterer Fronten steuerte alles auf den Showdown zu - in Wien und schon zuvor in den Bundesländern. So erlebte am 11. November Dornbirn die größte Demonstration seiner Geschichte, als Uniprofessoren und die Schriftstellerin Gertrud Fussenegger an der Spitze von laut Berichten 10.000 Menschen im Schweigemarsch für Ungeborene durch die Stadt zogen. Ähnlich in Salzburg, wo es im Festspielhaus eine Kundgebung mit Erzbischof Karl Berg und Landeshauptmann Hans Lechner gab. In Graz sagte Diözesanbischof Johann Weber vor versammelter Menschenmenge: "Wir können nicht einfach zuschauen, wenn in unserem Vaterland menschliches Leben nicht mehr geschützt wird."
20.000 kamen schließlich am 24. November zur Demo in Wien, unter ihnen auch Kardinal Franz König, die Diözesanbischöfe Franz Zak und Stefan Laszlo, Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym und die Weihbischöfe Jakob Weinbacher, Karl Moser und Alois Wagner. "Ja zum Leben - Nein zum Töten" lautete das Motto am Hohen Markt nach einem Schweigemarsch durch die Innenstadt. Gestärkt waren die Teilnehmenden durch eine "Kurier"-Umfrage vom Vortrag, wonach damals nur 23 Prozent der in Österreich Lebenden eine Fristenlösung und nur sieben Prozent die völlige Straffreiheit für Abtreibung befürworteten.
Einen letzten verzweifelten Versuch unternahm Kardinal Franz König dann am 25. November, als er in einer TV- und Radioansprache nochmals darlegte: "Der Mensch kann nicht über das Leben des Menschen verfügen. Wir haben die Todesstrafe für Verbrecher abgeschafft, wir sollen sie sozusagen einführen für die Wehrlosesten und Unschuldigsten, für die noch nicht geborenen Menschen?" Der Schutz ungeborenen Lebens "darf in diesem Land nicht als eine Marotte der Christen abgetan werden", sondern sei aus verschiedenen Sichtweisen wohlbegründet.
Weiters erklärte der Kardinal, die Fristenlösung sei "zutiefst gegen eine echte Emanzipation der Frau". Statt deren Befreiung bewirke sie vielmehr "ihre Auslieferung an all jene Kräfte, die an ihr nur als Produktionsfaktor interessiert sind", mahnte König. Die Frau werde damit dem Druck ihrer Umwelt zur Abtreibung ausgesetzt und die "Entwicklung eines humanen Sexualverhaltens, das einer verantwortungsvollen persönlichen Bindung entspricht" verhindert.
Dennoch zeigte sich der Kardinal grundsätzlich gesprächsbereit: Die Kirche rufe "nicht nach Kerker und Strafe" und sei weder an Polarisierung noch an Kulturkampf interessiert. Auch wolle man "Brücken, die in der Vergangenheit mühsam aufgebaut wurden, nicht abbrechen". Jedoch hätte sich, so Königs Credo, "ein Weg finden lassen müssen, der das prinzipielle Recht des ungeborenen Kindes auf Leben schützt, dabei aber bei jenen Frauen, die aus nachweisbar auswegloser Situation handeln, die Strafe aussetzt".
Wie schon zuvor abzusehen war, standen dann am 29. November die insgesamt 88 ablehnenden Stimmen von ÖVP und FPÖ jenen 93 SPÖ-Mandataren gegenüber, welche auf den Passus in der neuen Familien- und Strafrechtsreform bestanden. Schon unmittelbar vor der Beschlussfassung hieß es vonseiten der "Aktion Leben", die SPÖ habe bisher "zwar die Fristenlösung mit Eifer betrieben, es bezüglich der notwendigen positiven Maßnahmen aber bei bloßen Ankündigungen gelassen und überdies kein umfassendes und überzeugendes Gesamtkonzept für die Bekämpfung der Abtreibung mit anderen als strafrechtlichen Mitteln vorgelegt".
In Kraft trat das neue Gesetz ein gutes Jahr später am 1. Jänner 1975, erfuhr die Fristenregelung doch am 6. Dezember plangemäß Einspruch im ÖVP-dominierten Bundesrat, woraufhin sie von der SPÖ im Nationalrat mittels Beharrungsbeschluss - mit 92 zu 89 Stimmen - durchgesetzt wurde.
Ein im November 1975 gestartetes Volksbegehren der "Aktion Leben" zum besseren Schutz ungeborenen Lebens - es erreichte 895.665 Unterschriften - wurde von den Bischöfen erst im letzten Moment unterstützt. Kardinal König begründete dies bei einer Rede am Katholikentag - an dem auch Bundespräsident Rudolf Kirchschläger und Kanzler Bruno Kreisky waren - damit, dass man "im Bewusstsein unserer Verantwortung für den inneren Frieden unseres Volkes" gezögert, lange überlegt und gewartet habe "auf ein kleines Zeichen des Entgegenkommens, das dieses Volksbegehren nicht notwendig gemacht hätte". Dieses Zeichen sei jedoch nicht gekommen. Zeitlebens bezeichnete König die Fristenlösung als "offene Wunde".