Erzbischof Lopez macht in Rede bei Neujahrsempfang von Bundespräsident Van der Bellen auf globale Spannungen zwischen Demokratien und autoritären Regimen aufmerksam. In mehr als 70 Länder mit rund 4 Milliarden Menschen werden 2024 nationale Wahlen abgehalten.
2024 wird für die Demokratie weltweit ein entscheidendes Jahr. Das hat Nuntius Erzbischof Pedro Lopez Quintana betont. In seiner Rede beim Neujahrsempfang von Bundespräsident Alexander Van der Bellen für das diplomatische Corps in Wien, sprach der Nuntius u.a. von bislang nicht gekannten Spannungen zwischen Demokratien und autoritären Regimen. Kriege und Konflikte hätten ein globales Ausmaß angenommen, so der Erzbischof. Der Empfang, bei dem der Nuntius als Doyen des Diplomatischen Corps das Wort ergriff, fand am vergangenen Dienstag statt, der Wortlaut der Rede wurde Kathpress von der Nuntiatur am Freitag zur Verfügung gestellt.
In mehr als 70 Ländern mit rund 4 Milliarden Menschen würden 2024 nationale Wahlen abgehalten. Das bedeute, dass in etwa der Hälfte des Planeten Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen stattfinden, so der Nuntius. Er warnte vor Angriffen auf die Meinungsfreiheit und zeigte sich angesichts der Künstlichen Intelligenz besorgt über mögliche manipulativen Ein- und Angriffe auf Wahlen und Wahlprozesse. Neue technologische Fortschritte vervielfachten die Möglichkeiten, Botschaften zu verbreiten, die darauf abzielten, falsch zu informieren, zu verwirren, zu polarisieren oder sogar Hass zu schüren.
Die Diplomatie sah der Erzbischof gefordert, Antworten auf die sich abzeichnenden Probleme zu geben und globale Mechanismen zu entwickeln, die in der Lage seien, die Herausforderungen zu bewältigen. Diplomatische Arbeit dürfe nicht nur auf die Verhütung und Lösung von Konflikten abzielen, sondern müsse auch die friedliche Koexistenz und die menschliche Entwicklung der Völker festigen, die Achtung der Menschenwürde fördern, die unveräußerlichen Rechte eines jeden Menschen verteidigen und Modelle einer ganzheitlichen wirtschaftlichen und menschlichen Entwicklung fördern, so Erzbischof Lopez.
Ein besonderes Anliegen war dem Nuntius das Schicksal der Flüchtlinge und Migranten. Die Zahl der Menschen auf der Flucht sei wieder gestiegen, hielt er fest: "Häufig fliehen die Menschen vor Gewalt und Konflikten, vor den Auswirkungen des Klimawandels, vor der Missachtung grundlegender Menschenrechte und Freiheiten sowie vor Armut." Die unantastbare Würde der Migranten müsse in der Migrations- und Asylpolitik der unaufgebbare moralische Kompass sein. Es brauche Empathie und den politischen Willen zu sachlichen Lösungen statt einfacher Slogans, vermeintlich schneller Lösungen oder schierer Gleichgültigkeit.
Besorgt zeigte sich der Erzbischof auch ob des Klimawandels und der Zerstörung der natürlichen Umwelt. Dies bringe für die schwächsten Mitglieder der menschlichen Familie die größten negativen Auswirkungen mit sich. Im Blick auf die jüngste UN-Klimakonferenz in Dubai und deren Ergebnisse zeigte sich Lopez vorsichtig optimistisch.
Der Nuntius kritisierte in seiner Ansprache auch einmal mehr den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, zeigte sich entsetzt über den Terror der Hamas, forderte die Freilassung aller israelischen Geiseln, zugleich aber auch ein Ende der israelischen Militäroperationen mit ihren entsetzlichen Folgen für die palästinensische Zivilbevölkerung. Es brauche dringend mehr Hilfe für die Menschen in Gaza. Der Konflikt im Heiligen Land könne nur durch einen aufrichtigen und beharrlichen Dialog gelöst werden, zeigte sich der Nuntius überzeugt. Hier sei auch die Internationale Staatengemeinschaft gefordert.
Schließlich kam der Nuntius auch auf die anstehende Nationalratswahl in Österreich im heurigen Jahr zu sprechen und rief zur politischen Zusammenarbeit auf.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen sah in seinen Ausführungen beim Neujahrsempfang die "ernste Gefahr" einer Ausweitung des Nahost-Konflikts auf andere Länder in der Region. Generell werde 2024 weitere Herausforderungen bringen, die "an Zahl und Komplexität zunehmen könnten", sagte Van der Bellen. An die Botschafterinnen und Botschafter appellierte er deshalb, den Dialog und den "Weg des Miteinander" fortzusetzen.
Die Ereignisse vom 7. Oktober, als die Terrorgruppe Hamas Israel angriff, mehr als 1.000 Menschen tötete und Hunderte als Geiseln nahm, hätten die Welt "bis in ihre Grundfesten" erschüttert. "Israels Recht, sich gegen die Hamas zu verteidigen, darf nicht in Frage gestellt werden", betonte der Bundespräsident. Österreich stehe in "unverbrüchlicher Solidarität an der Seite Israels", wann immer dessen Existenz bedroht sei.
Der Krieg habe aber auch "enormes Leid" über die Zivilbevölkerung in Gaza gebracht. Die Antwort darauf müsse in der "uneingeschränkten Achtung des humanitären Völkerrechts, dem umfassenden Schutz der Zivilbevölkerung und einem raschen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe für die Bevölkerung liegen", so Van der Bellen.
"Unverbrüchlich" stehe Österreich auch an der Seite der Ukraine, der der Bundespräsident ein "entscheidendes Jahr" prophezeite. Die Ukraine brauche "unsere volle Unterstützung, unsere ukrainischen Freunde verteidigen nicht nur ihr Land, sie verteidigen letztendlich unsere Freiheit, unsere Art zu leben und unsere Werte". Der russische Botschafter war, wie bereits im Vorjahr, nicht zum Neujahrsempfang geladen.
Angesichts der zahlreichen bevorstehenden Wahlen und der wachsenden Herausforderungen wie etwa dem Klimawandel rief auch Van der Bellen zu Zusammenarbeit, Respekt und Dialog auf. Man müsse auch an den Tag nach der Wahl denken, "wenn wir zusammenarbeiten und einander in unseren täglichen Bemühungen, die Probleme unseres Landes und der Welt zu bewältigen, die Hände reichen und an einem Strang ziehen müssen", erinnerte der Bundespräsident.
Der Apostolische Nuntius ist in Doppelfunktion Gesandter des Papstes bei einer Ortskirche und zugleich Botschafter bei einem Staat oder einer öffentlichen Autorität. Als persönlicher Vertreter des Papstes soll er die Verbindung zwischen dem Heiligen Stuhl und der Kirche seines Gastlandes halten und stärken. Zudem soll er nach den Normen des internationalen Rechts das Verhältnis zwischen dem Vatikan und den Staatsautoritäten pflegen, Staat-Kirche-Fragen behandeln und etwa durch Konkordate oder andere Vereinbarungen regeln.
In Österreich und vielen anderen Ländern ist der Papstbotschafter aufgrund völkerrechtlicher Regeln auch Doyen des Diplomatischen Corps. In dieser Ehrenfunktion spricht er bei offiziellen Anlässen - in Wien etwa beim traditionellen Diplomaten-Neujahrsempfang des Bundespräsidenten - als Vertreter der in einem Land akkreditierten Diplomaten und vertritt insbesondere die Interessen der kleineren Staaten. Dieses Ehrenrecht eines Nuntius geht auf den langen Streit der Staaten darüber zurück, wem der erste Platz einzuräumen sei. Man löste dies durch das völkerrechtliche "Wiener Abkommen", in dem man dem Vertreter des Papstes dieses Vorrecht einräumte.