Teil der Helnwein Installation im Stephansdom.
Teil der Helnwein Installation im Stephansdom.
Kirchenzeitungen geben Argumenten des Innsbrucker Bischofs Glettler und des Wiener Theologen Tück breiten Raum. Glettler: Kunst kann "vor kirchlicher Sonderwelt oder Wohlfühl-Spiritualität" schützen. Tück: Für Sakralräume gelten andere Kriterien als für Museen.
"Passt provokante Kunst in Kirchen?" Zu dieser - auch durch die Fastentücher Gottfried Helnweins im Stephansdom ausgelösten - Frage liefern sich nun Bischof Hermann Glettler und Dogmatikprofessor Jan-Heiner Tück ein "Pro" und "Contra" in aktuellen Kirchenzeitungsausgaben. Der in der Österreichischen Bischofskonferenz für Kunst zuständige Innsbrucker Bischof erwartet sich von Gegenwartskunst in Sakralräumen Anstöße für einen "heilsamen Dialog" und einen "Frischeimpuls": "Lebendigkeit statt kirchlicher Sonderwelt" lautet der Titel über seinen Argumenten. "Provokante Kunst gehört ins Museum", befand dagegen Theologe Tück, der sich auch kritisch zu den Helnwein-Arbeiten geäußert hatte.
Kunst und Kirche verbinde seit langem "eine prickelnde Hassliebe", leitete die Kooperationsredaktion der Kirchenzeitungen den doppelseitigen Meinungsaustausch über folgende Fragen ein: "Gehört zeitgenössische Kunst in eine Kirche? Oder stören Kunstwerke?"
"Provokation ist nicht das Kriterium", stellte Bischof Glettler eingangs klar. Es gehe vielmehr um Lebendigkeit, Tiefe, Weite und existenzielle Relevanz. Auch qualitätsvolle Kunst erzeuge immer "Reibungsenergie", weiß der studierte Kunsthistoriker, der auch selbst immer wieder künstlerisch tätig ist und in seiner Diözese auf Präsenz moderner Kunst in Kirchen Wert legt. Er wolle zeitgenössische Kunst "nicht heiligsprechen", und Provokation um ihrer selbst willen sei "lächerlich". Zugleich wandte sich Glettler gegen "die reflexartige Beurteilung, dass alles provokant oder sogar blasphemisch sei, was nicht dem eigenen Geschmack entspricht".
Der Bischof bedauerte die "Gewöhnung", die mit alter Kirchenkunst und den vielen Kreuzdarstellungen in Kirchen verbunden sei. "Wir müssen von Neuem das Schauen erlernen - und das Staunen. Auch das heilsame Erschrecken." Glettler erinnerte an die erste Kreuzdarstellung der Christenheit: ein spöttisches Graffito aus dem 3. Jahrhundert, das den Gekreuzigten mit einem Eselskopf zeigt. "Man machte sich lustig über diese verrückte Religion, die einen am Kreuzpfahl Gehängten anbetet", so Glettler.
Heute könnten Kunst-Interventionen eine neue Sensibilität und Dialogfähigkeit anstoßen. Gelungen sei dies im Vorjahr, als Christian Eisenberger in der Innsbrucker Servitenkirche eindringliche Klagebilder über die großen Wunden der Gegenwart zeigte - "für viele schockierend", wie Glettler anmerkte. Erst im Laufe der Fastenzeit hätten sich die Leute darauf eingelassen, "das Beten wurde solidarischer".
Die Überzeugung des kunstsinnigen Bischofs: "Kirche darf sich nicht selbst genügen." Glettler argumentierte mit der in der Karfreitag-Liturgie zu hörenden Klage über die falschen Propheten, "die dem Volk nach dem Maul reden", statt "zur Umkehr zu provozieren". Kunst müsse "gelegentlich diesen Job wahrnehmen", vor allem - wie Glettler festhielt - "als Schutz vor einer kirchlichen Sonderwelt oder Wohlfühl-Spiritualität, die mit dem Evangelium Jesu wenig zu tun hat".
Der an der Uni Wien Dogmatik lehrende Jan-Heiner Tück erklärte eingangs, die heute von religiösen Vorgaben emanzipierte Kunst und deren Freiheit sei "ein hohes Gut, sie religiös zu domestizieren, wäre falsch". Er sehe auch keinen Grund, warum zeitgenössische Kunst Glaubensartikel nicht in Frage stellen dürfe; Persiflage, Umkehrung und Verfremdung seien "geläufige Stilmittel". Tück: "Im Museum setze ich mich gerne kühnen Provokationen aus." In Sakralräumen sei dies jedoch anders. Es sei zu hinterfragen, ob Helnweins Fastentuch, das den Christus des Turiner Grabtuchs kopfüber darstellte, überhaupt in den Stephansdom gehört.
Tück erinnerte an die "teils aggressiv" vorgetragenen Vorbehalte gegen die Installation: "Die einen hielten das für eine gelungene Illustration der Entäußerung, andere sahen hier eine 'blasphemische Verdrehung' am Werk." Dompfarrer Toni Faber, der das Kunstprojekt eingefädelt hatte, und Künstler Helnwein "sahen sich an den Pranger gestellt". Das ist laut Tück genauso schlecht wie Reflexe, "die jede Kritik als kunstfeindlich oder 'rechtskatholisch' abtaten". Er selbst habe theologische Einwände gegen Helnweins deklarierte Absicht, den Abstieg Christi in das Reich der Toten zu veranschaulichen: Seiner Darstellung fehle die in der christlichen Ikonographie erkennbare Symbolik der Hoffnung, sei doch der Höllenabstieg Christi ein Akt der Solidarität mit den Verstorbenen.
Der Dogmatiker zog aus dem Konflikt die Lektion, dass die Vergabe des Fastentuchs über ein Gremium erfolgen sollte, dem Theologen, Kunstexpertinnen und praktizierende Mitglieder der Dompfarre angehören und das auch darüber zu befinden habe, ob das Kunstwerk "theologisch stimmig" sei.
Gegen das Ostertuch Helnweins, das den Auferstandenen als Knaben mit Wundmalen zeigen sollte, habe das Domkapitel sein Veto eingelegt - zurecht, wie Tück befand: "Kinder, Blut, Gewalt - das passt zu einem Künstler, der die Mechanismen der Skandalerzeugung kennt." Es stelle sich die Frage, ob die in der Osternacht doch nicht enthüllte Darstellung Leid nur sichtbar macht oder ob es nicht unterschwellig auch die Lust an der Gewalt bedient oder aber einer "Retraumatisierung" von Missbrauchsbetroffenen Vorschub leistet. Dass er Helnweins Bild im Altarraum der Wiener Hauptkirche als unpassend erachtet, rücke ihn in die Nähe von "Rechtskatholiken", beklagte Tück. "Eine synodale Gesprächskultur, die den anderen zu hören sucht, sieht anders aus."