Trauergottesdienst im Stephansdom für Österreichs erste Bundeskanzlerin - Kardinal Schönborn in Predigt: Über Brigitte Bierlein zu sprechen heißt, "über Recht, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit zu sprechen"
Zu einem "Pakt der Mitmenschlichkeit" für Österreich hat Kardinal Christoph Schönborn aufgerufen. Der Wiener Erzbischof leitete am Freitag im Wiener Stephansdom das Requiem für Brigitte Bierlein, Österreichs erste Bundeskanzlerin, die am 3. Juni kurz vor ihrem 75. Geburtstag verstorbenen ist.
In seiner Predigt würdigte Schönborn einmal mehr die Verdienste Bierleins um Österreich. Über Brigitte Bierlein zu sprechen heiße, "über Recht, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit zu sprechen". Sie habe in herausragender Weise diese Worte verkörpert und vergegenwärtigt, so der Kardinal. Ihr Dienst für und an Österreich möge Vorbildcharakter für das politische Miteinander haben, so Schönborn, auch in Anspielung auf den anstehenden Wahlkampf.
Der Kardinal sagte in seiner Predigt wörtlich: "Heute ist in gewisser Weise Österreich um den Sarg seiner ersten Bundeskanzlerin versammelt. Wäre es nicht der richtige Moment, dass wir alle von hier, von diesem Dom, der doch in gewisser Weise das Herz unseres Landes ist, mit dem festen Entschluss weggehen, in den kommenden Monate bis zur Wahl und natürlich darüber hinaus, im Gedenken an unserer eigenen Vorläufigkeit und Vergänglichkeit einander mit Respekt und Achtung zu begegnen, auf Hasspostings, auf das verächtlich Machen der anderen zu verzichten, kurz, einen Pakt der Mitmenschlichkeit zu schließen?"
Brigitte Bierlein habe vorgelebt, "dass klare Positionen, eine aufrechte Haltung, eine deutliche Sprache mit Wertschätzung anderer Sichtweisen vereinbar ist".
Vertreter der Religionsgemeinschaften
Neben Kardinal Schönborn konzelebrierten u.a. der Salzburger Erzbischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Franz Lackner, und der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler sowie die Mitglieder des Wiener Domkapitels, darunter Bischofskonferenz-Generalsekretär Peter Schipka, Domkustos Michael Landau und Dompfarrer Toni Faber. Auch der Apostolische Nuntius in Österreich, Erzbischof Pedro Lopez Quintana, nahm am Requiem teil. Die Ökumene war an erster Stelle vom armenisch-apostolischen Bischof und Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Tiran Petrosyan, vertreten. Weiters waren etwa auch der evangelische Bischof Michael Chalupka, der methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs und der rumänisch-orthodoxe Bischofsvikar Nicolae Dura gekommen.
Anteilnahme aus Politik und Justiz
Das offizielle Österreich wurde an erster Stelle von Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Gattin Doris Schmidauer, Bundeskanzler Karl Nehammer und Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka vertreten. Gekommen war weiters Vizekanzler Werner Kogler, und zahlreiche Ministerinnen und Minister, unter ihnen Susanne Raab, Alma Zadic, Karoline Edtstadler, Leonore Gewessler, Norbert Toschnig, Johannes Rauch, Alexander Schallenberg und auch Staatssekretärin Andrea Mayer sowie Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Auch Altbundespräsident Heinz Fischer mit Gattin, die früheren Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Christian Kern, wie auch die frühere steirische Landeshauptfrau Waltraud Klasnic erwiesen Brigitte Bierlein die letzte Ehre. Die Justiz wurde an erster Stelle von Verfassungsgerichtshofpräsident Christoph Grabenwarter vertreten.
"Politik ist immer ein Feld des Vorläufigen"
Statt Gerechtigkeit herrsche in der Welt immer wieder Unrecht, Gewalt, Korruption und Machtmissbrauch, so Kardinal Schönborn weiter in seiner Predigt. Doch die Sehnsucht nach Gerechtigkeit sei das starke Zeugnis dafür, "dass in jedem Menschen der Sinn für und die Sehnsucht nach Gerechtigkeit vorhanden ist und wohl nie ganz verloren gehen kann", so der Kardinal.
Diesem Sinn für Gerechtigkeit habe Bierlein in den verschiedenen Positionen ihrer beeindruckenden Laufbahn gedient, als Staatsanwältin, im Verfassungsgerichtshof und schließlich in Regierungsverantwortung. Schönborn: "Sie hat alle diese Tätigkeiten als Dienst verstanden. Nur so kann man dem Recht gerecht werden."
Freilich: Alle irdischen Bemühungen um Gerechtigkeit seien immer nur vorläufig und nie perfekt. "Die Politik ist immer ein Feld des Vorläufigen. Das Wissen um die Vorläufigkeit alles Irdischen ist eine Voraussetzung für gegenseitigen Respekt, Toleranz und die Fähigkeit, verschiedene Sichtweisen nicht als Bedrohung, sondern als Ergänzung zu sehen."
Das Christentum habe von Anfang an Gehorsam und Respekt vor den weltlichen Autoritäten gelehrt, führte Schönborn in seiner Predigt weiter aus. Das Christentum habe zugleich aber immer auch gelehrt, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. Franz Jägerstätter und viele andere hätten gezeigt, "dass das Gewissen über dem Staat steht". Keine staatliche Macht könne den Anspruch des absoluten Gehorsams stellen. In dieser Spannung stehe die Demokratie. Der demokratische Rechtsstaat lebe von Voraussetzungen, die er sich selbst nicht geben könne, so Schönborn: "Der Staat genügt sich nicht selbst. Er bedarf des Unbedingten, das nicht demokratisch entschieden wird, sondern vorausgesetzt werden muss." Und dies sei die unbedingte Würde jedes Menschen.
Der Trauergottesdienst wurde musikalisch von der Wiener Dommusik mit dem Requiem in d-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart gestaltet. Am Ende der Trauerfeier würdigten Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Karl Nehammer und Verfassungsgerichtshofpräsident Christoph Grabenwarter das Leben und Wirken von Brigitte Bierlein.