60 Jahre nach „Gaudium et spes“ stellt sich die Frage, ob die Kirche als gastliche Institution den Herausforderungen der modernen Gesellschaft gewachsen ist oder ein umfassendes Update braucht.
Vor 60 Jahren veränderte das Zweite Vatikanische Konzil die katholische Kirche grundlegend. Mit dem Dokument „Gaudium et spes“ legte das Konzil damals den Grundstein für eine neue Sicht auf das Verhältnis von Kirche und Welt. Doch wie steht es heute um diese visionären Ideen? Bei einer Tagung in Salzburg diskutierten rund 50 Expert, ob diese Leitlinien noch zeitgemäß sind oder ob die Kirche ein „Update“ braucht.
Einer der Hauptredner, der Grazer Theologe Prof. Bernd Hillebrand, stellte klar: Die Kirche steckt fest. Sie präsentiert sich nach wie vor als „perfekte Institution“, die wenig Raum für Veränderung lässt. „Gaudium et spes“ aber forderte eine gegenseitige Lernbereitschaft zwischen Kirche und Gesellschaft. Laut Hillebrand müsste die Kirche heute als „gastliche Institution“ gedacht werden, die den Menschen dient, ohne sie zu vereinnahmen. Es gehe darum, die Sorgen und Wünsche der Menschen ernst zu nehmen und ihnen Raum zu geben, ohne sie sofort in feste kirchliche Strukturen zu pressen. Nur so könne die Kirche wirklich zeitgemäß und relevant bleiben.
Auch Prof. Michael Quisinsky aus Karlsruhe sieht Handlungsbedarf. Das Konzil habe zwar wichtige Grundlagen gelegt, aber viele Fragen der heutigen Zeit blieben unbeantwortet. Er plädiert dafür, alte Denkmuster aufzubrechen und zentrale Konzilstexte wie „Gaudium et spes“ und „Lumen gentium“ neu zusammenzudenken. Nur so könnten frische Antworten auf drängende Fragen wie die Rolle der Kirche in der Welt oder das Verständnis von Sakramenten und Ämtern gefunden werden.
Quisinsky warnte, dass die Kirche Gefahr laufe, nur oberflächliche Reformen durchzuführen, wenn sie die Konzilsbeschlüsse nicht umfassender in den Blick nimmt. Das Motto des Konzils, „Aggiornamento“ (Erneuerung), sei bis heute nicht vollständig umgesetzt.
Der Pariser Theologe Prof. Christoph Theobald sieht in „Gaudium et spes“ ein starkes Zukunftspotenzial. Besonders der Auftrag, die „Zeichen der Zeit“ zu erkennen, sei eine Einladung, sich offen und flexibel auf die gesellschaftlichen Herausforderungen einzulassen. Für ihn steckt darin eine prophetische Kraft: Die Kirche muss bereit sein, sich zu verändern, um den Menschen wirklich zu begegnen.
Der Salzburger Theologe Hans-Joachim Sander ging noch weiter und betonte, dass die Kirche sich stärker relativieren müsse. Er sagte, es komme nicht auf die Kirche selbst an, sondern darauf, die „Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen“ in den Mittelpunkt zu stellen. Das Christentum solle den Mut haben, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Die Menschen, nicht die Institution.
Die Tagung beeindruckte nicht nur durch kluge Reden, sondern auch durch innovative Projekte. So wurde beispielsweise das Wiener „Maturasegen“-Projekt „Be blessed“ vorgestellt, bei dem Jugendliche am Ende ihrer Schulzeit gesegnet werden, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Auch die Licht-Klang-Performance „Holy Hydra“, die junge Menschen in Sakralräume lockt, zeigte, wie die Kirche sich für neue Zielgruppen öffnen kann.