Der Berliner Theologe Essen referierte beim "Dies facultatis" an der Universität Wien: Zukunft der Theologie an Unis steht auf dem Spiel. Der Rückzug in kirchliche Hochschulen ist keine Alternative. Zukunftsmodell besteht in disziplinübergreifenden Kooperationen.
Sinkende Studierendenzahlen, die demografische Entwicklung, eine "selbstverschuldete Kirchenkrise" und eine damit einhergehende schwindende gesellschaftliche Relevanz: Dies sind dem Berliner Theologen Prof. Georg Essen zufolge die Momente, die aktuell die theologischen Fakultäten im deutschen Sprachraum unter wachsenden Reformdruck setzen. Noch sei das Zeitfenster offen, um Reformen im Bereich etwa verstärkter disziplinübergreifenden Kooperationen und auch im Blick auf das wissenschaftliche Selbstverständnis anzugehen. Das betonte Prof. Essen bei einem Vortrag am Dienstagabend an der Universität Wien. Der Vortrag stand im Zentrum des heurigen "Dies facultatis", mit dem die Katholisch-Theologische Fakultät (KTF) traditionell das Wintersemester eröffnet.
Traditionell habe die Theologie ihre Legitimation als Universitätswissenschaft aus dem Bildungsauftrag für die kirchlichen Berufe und Religionslehrerinnen und -lehrer gezogen. In der öffentlichen Wahrnehmung werde jedoch zunehmend die "gesellschaftliche Relevanz" der Theologie insgesamt infrage gestellt. Noch nehme er in den Rektoraten einen umsichtigen Umgang mit der Theologie als eigenständiges Fach an den Unis wahr, so Essen. Die Bereitschaft, Theologie zu stärken, gehe jedoch mit der Forderung einher, "dass die Fakultäten sich reformieren, weiterentwickeln und zum Teil neu aufstellen sollen". Er sei diesbezüglich der Überzeugung, "dass das Modell der Zukunft in institutionellen Kooperationen zu sehen ist, mit denen disziplinübergreifend die theologische und nicht-theologische Religionsforschung gebündelt werden sollte", so Essen.
Zu widerstehen gelte es der Versuchung, in der Gründung kirchlicher Hochschulen einen Ausweg zu suchen. Je mehr die Theologie ihre kirchliche Identität zu schützen suche, indem sie sich "selbstreferentiell auf sich selbst zurückzieht", desto mehr verliere sie den Anschluss an andere Wissenschaften und desto mehr verliere sie aus den Augen, dass ihre Identität in ihrer gesellschaftlichen Relevanz besteht. "Worin denn sonst?", so Essen.
Zugleich riet Essen der eigenen Disziplin, sich neu über den "Begriff der Theologie" und ihr Bildungsverständnis im Klaren zu werden: "Was bedeutet es für das Verständnis unseres Faches, wenn uns die große Erzählung eines Universalzusammenhangs der Weltgeschichte abhanden kommt? Was heißt es dann eigentlich noch, dass es an der Theologie sei, die Welt unter dem Blickwinkel der Ewigkeit Gottes zu deuten, wenn wir schon daran scheitern, unsere Welt unter dem Blickwinkel der Zeitlichkeit zu begreifen?" Angesichts dieser "Relativierung und Pluralisierung von Wirklichkeitsinterpretationen" könne ein zukünftiges und zeitgemäßes theologisches Selbstverständnis nur darin bestehen, Menschen zu befähigen, mit dem sich permanent ändernden religiösen Bewusstsein umzugehen.
Dem "Dies facultatis" war ein Gottesdienst in der Wiener Schottenkirche vorausgegangen, dem der Wiener Generalvikar Nikolaus Krasa vorstand. In seiner Predigt unterstrich Krasa die Bedeutung einer christlichen Existenz, die ganz aus der Liebe zu Christus lebt. "Christsein bedeutet nicht, durch Interesse, Freundschaft oder in Wertschätzung Jesus anzuhängen, sondern 'in ihm zu sein' und 'er in uns'", so der Generalvikar unter Verweis auf das Tagesevangelium.
Grußworte zum Auftakt des "Dies facultatis" sprachen die Vizerektorin der Uni Wien, Prof. Christa Schnabl, und die Dekanin der Fakultät, Prof. Andrea Lehner-Hartmann. Schnabl gab dabei Einblicke in die jüngste Leistungsvereinbarung und künftige besondere Herausforderungen, die auch die theologische Fakultät treffen - so etwa die Frage nach dem Aufweis gesellschaftlicher Relevanz, die Erhöhung der Prüfungsaktivitäten bzw. Absolventenzahlen und die Reform des Lehramtsstudium (Verkürzung auf fünf Jahre).
Lehner-Hartmann verwies auf die besondere Situation und auch die Chancen, die in der Angliederung des Instituts für Islamisch-Theologische Studien an die KTF bestehen. Es gelte, voneinander zu lernen und einander in "dialogischer Offenheit" zu begegnen - ohne zugleich das eigene Profil aufzugeben. "Die Auseinandersetzung mit anderen Weltdeutungen, Religionen und Weltanschauungen bedeutet Lernmöglichkeiten, der eigenen Identität nachzugehen", so Lehner-Hartmann.
Im Rahmen des "Dies facultatis" wurden außerdem herausragende Abschlussarbeiten und Dissertationen prämiert.
Die KTF der Universität Wien ist die älteste Theologische Fakultät im heutigen deutschsprachigen Raum. Derzeit studieren hier rund 730 Studierende. Im heurigen Wintersemester haben rund 100 Studierende ihr Studium an der Fakultät aufgenommen.
Das Studienangebot umfasst verschiedene theologische und religionswissenschaftliche Studienrichtungen aller akademischer Grade. Etwa 70 Forschende sind aufgeteilt auf sieben Institute und fünfzehn Fachbereiche. Zuletzt wurde eine eigene "Doctoral School of Theology and Research on Religion" (VDTR) an der Universität Wien gegründet, die theologische und religionswissenschaftliche Forschung fördern soll.
Direkt an der Fakultät angesiedelt ist das Forschungszentrum "Religion and Transformation in Contemporary Society", sowie die gemeinsame Fachbereichsbibliothek Katholische und Evangelische Theologie, die mit rund 400.000 Bänden und 800 Zeitschriften zu den größten theologischen Bibliotheken Mitteleuropas gehört.
Infos: https://ktf.univie.ac.at