Antworten von Kardinal Christoph Schönborn in der Tageszeitung HEUTE am 8. November 2024
Österreich hat gewählt. Die USA haben gewählt. Die Wahlen verliefen recht normal, ohne gewaltsame Zwischenfälle. Nicht alle waren zufrieden mit dem Ergebnis. So ist das in demokratischen Ländern. Es gibt Gewinner und Verlierer. Bei der nächsten Wahl kann sich das Blatt wenden. Auch das gehört zur Demokratie. Wer das Vertrauen der Mehrheit bekommt, hat nicht die Garantie, dass das so bleibt. Macht darf nicht zum Monopol werden. Dazu gibt es Wahlen, denn Macht braucht Kontrolle.
Die Demokratie lebt freilich nicht nur von Wahlen. Sie braucht ein solides gemeinsames Fundament. Der deutsche Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde hat das so formuliert: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Das klingt recht kompliziert, ist aber leicht verständlich. Die Demokratie kann nur gelingen, wenn wir alle gewisse Grundhaltungen haben. Dazu gehören Fairness, Bereitschaft, auch andere Ansichten gelten zu lassen, auf den politischen Gegner zuzugehen. Das kann der Staat nicht garantieren, auch nicht erzwingen. Das können wir nur selber einbringen. Es kommt auf jeden von uns an, ob auch nach den Wahlen ein gutes Miteinander gelingt.