"Niemals wieder" ist in Österreich zur hohlen Parole geworden, so die Evangelische Pfarrerin Elke Petri bei ökumenischem Gottesdienst im Rahmen von "Mechaye Hametim" in Wiener Ruprechtskirche.
Zur "mutigen Intoleranz" gegenüber dem Antisemitismus hat die evangelische Pfarrerin Elke Petri am Samstagabend beim Gedenken an die Novemberpogrome des Jahres 1938 aufgerufen. Die Worte "Niemals wieder" seien angesichts der erstarkten Judenfeindlichkeit in Österreich zu einer "hohlen Parole" geworden. Jüdische Menschen könnten in Wien nicht mehr "frei, sicher und sichtbar leben", Hakenkreuze und Nazi-Hassparolen fänden sich wieder auf Hausmauern, beklagte Petri bei einem Gottesdienst im Rahmen der "Bedenktage"-Reihe "Mechaye Hametim" in der Wiener Ruprechtskirche.
Der Appell der Pfarrerin an alle Christinnen und Christen: Dämonisierende Darstellungen von Jüdinnen und Juden seien nicht zu tolerieren. "Keine Toleranz für Intoleranz", zitierte die Pfarrerin das Toleranz-Paradoxon des Philosophen Karl Popper.
Petri leitete gemeinsam mit P. Alois Riedlsperger, dem Rektor der Ruprechtskirche, und der Hochschulseelsorgerin Katharina Payk den ökumenischen Gottesdienst anlässlich des 86. Jahrestags der Novemberpogrome. Im Zentrum stand das Gedenken an die Jüdinnen und Juden, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ermordet wurden. Auch auf den Gazakrieg und die heutige Diskriminierung jüdischer Menschen wurde in Gebeten, Liedern und Texten Bezug genommen. "Wir möchten Gott mit Blick auf die kriegerischen Auseinandersetzungen um Frieden bitten", sprach Riedlsperger im Eingangsgebet.
Immer mehr Jüdinnen und Juden müssten heute in Angst leben, erklärte die evangelische Hochschulseelsorgerin Katharina Payk und rief in den Fürbitten dazu auf, alles dafür zu tun, um dieser Angst ihre Grundlage zu nehmen: "Gott, stärke unsere Widerstandskraft gegen jede Form des Antisemitismus und hilf beim Aufbau einer Gesellschaft, in der für Hass gegen Menschen kein Platz ist."
Vorgelesene Auszüge aus jüngsten Medienberichten lenkten den Fokus auf Jüdinnen und Juden, die aktuell in europäischen Städten "buchstäblich verfolgt und gejagt werden". "Wir dürfen nicht zulassen, dass das mitten in unserer Gesellschaft geschieht", mahnte ein Chormitglied und verwies etwa auf die "Hetzjagd" auf jüdische Fußballfans, die am Donnerstag (7. November) beim Europa-League-Spiel Ajax Amsterdam gegen Maccabi Tel Aviv misshandelt und mit Feuerwerkskörpern beworfen wurden.
"Schafft die Bilder der fremden Götter fort", griff Petri das zuvor gelesene Bibelplädoyer auf. In ihren Gedenkworten sprach die Pfarrerin über "Bilder, die nicht unges(ch)ehen zu machen sind" und nahm Bezug auf die Glasfenster in der evangelischen Pauluskirche in Wien-Landstraße. Die darauf abgebildeten Darstellungen aus dem Leben Jesu und des Apostels Paulus wurden in den 1960er-Jahren vom NS-Künstler Rudolf Böttger gestaltet. Problematisch sei, dass die Mädchen auf den Bildern so aussehen, "als kämen sie direkt aus dem Bund Deutscher Mädel". Jesus und seine Familie würden "arisch blond" gezeigt, Jüdinnen und Juden hingegen dämonisierend, so Petri.
Seit 2023 verhüllen halbtransparente Textilien die Fenster. Dennoch wirkten die antisemitischen Bilder weiter. Um den Antisemitismus nicht weiter "zur Schau zu stellen", sollen sie aus der Pauluskirche entfernt werden. "Es geht nicht um ein Wegsehen, sondern um ein bewusstes Hinschauen", erklärte Petri. Angesichts des wieder erstarkten Antisemitismus dürften die verletzenden Darstellungen von Jüdinnen und Juden nicht mehr gezeigt und toleriert werden, vielmehr gehe es darum, "uns als christliche Gemeinde unserer jüdischen Wurzeln und unserer Schuldgeschichte zu erinnern".
Petri rief die Kirchengemeinde zur "mutigen Intoleranz" und sogar zum Riskieren eines Streits auf, wenn "unseren jüdischen Geschwistern gedroht wird". Brandanschläge auf jüdische Einrichtungen, verbale und körperliche Angriffe auf jüdische Menschen und Hakenkreuze auf Hauswänden seien eine "Kampfansage an die freie Lebensweise von Jüdinnen und Juden und damit eine Kampfansage an uns alle", schloss die Pfarrerin.
Nach der ökumenischen Feier führte sie zusammen mit Riedlsperger und Payk den Schweigegang zum Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah am Wiener Judenplatz an.
Eine der Synagogen, die in der Nacht von 9. auf den 10. November 1938 zerstört wurde, befindet sich auf dem Pfarrgebiet von St. Otmar unter den Weißgerbern im dritten Wiener Gemeindebezirk. Jugendliche der Pfarre hielten gemeinsam mit Pfarrer Dariusz Schutzki am Samstag eine Mahnwache vor der ehemaligen Vereinssynagoge des Tempelvereins Landstraße „Beth Hachneseth Wien“ (1871: “Chewra Beth Hachneteth“). Die Lichterprozession führte von der Pfarrkirche in die Untere Viaduktgasse 13, um dort der Opfer der Novemberpogrome vor 86 Jahren zu gedenken.
Heuer jähren sich die Gräuel der Novemberpogrome 1938 zum 86. Mal. In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge des NS-Furors insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt.
"Mechaye Hametim" ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Gemeinde St. Ruprecht, dem Albert-Schweitzer-Haus-Forum für Zivilgesellschaft, der Evangelischen Hochschulgemeinde Wien, der Wochenzeitung "Die Furche", des Forums "Zeit und Glaube", des Katholischen Akademiker/innenverbands der Erzdiözese Wien, der Katholischen Aktion Österreich, der Katholischen Hochschuljugend Wien, dem Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit sowie der Theologischen Kurse.
Programm: https://www.ruprechtskirche.at/wp-content/uploads/2024/07/2024_WEBVERSION_MechayeHametim.pdf