Kardinal bei Pressegespräch in Wien: "Brauchen geistliche Menschen, an denen man sich orientieren kann"- Plädoyer für offene Kirchen
Kardinal Schönborn hob bei einem Pressegespräch am Montag Nachmittag Persönlichkeiten hervor, die durch ihre gelebte Überzeugung beeindrucken: etwa die verstorbene Flüchtlingshelferin Maria Loley, die für ihre Mitmenschen zu einer Quelle der Hoffnung wurde, oder den Benediktinermönch David Steindl-Rast, der durch seine geerdete und überzeugende Spiritualität fasziniert. Auch P. Georg Sporschill, dessen Engagement er seit Jahrzehnten begleitet, nannte Schönborn als Beispiel. „Wir brauchen solche geistlichen Menschen, an denen man sich orientieren kann“, sagte der Kardinal.
Die rückläufigen Mitgliederzahlen in der katholischen Kirche schmerzen Schönborn, wie er offen zugab. „In meiner Amtszeit ist die Zahl der Katholiken in der Erzdiözese Wien um rund 20 Prozent gesunken.“ Dennoch sieht der Kardinal auch Chancen: In der Wohlstandsgesellschaft sei zwar die Bindung an Institutionen schwächer geworden, doch viele Menschen suchten verstärkt nach Sinn und Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Hier könne das Christentum mit seinen tiefen Wurzeln und reichen Ressourcen viel bieten. Besonders beeindruckt zeigte sich Schönborn von Entwicklungen in Frankreich, wo zu Ostern 13.000 Erwachsene die Taufe empfangen wollten. Diese Menschen kämen oft nicht aus traditionellen katholischen Milieus, sondern seien auf der Suche nach Sinn. Für ihn ist das ein Zeichen: „Die Kirche muss die Sinnsucher stärken und Antworten auf ihre Fragen geben.“
Ein zentrales Anliegen des Kardinals ist die Offenheit der Kirche. Gemeinden sollten offen auf neue Mitglieder und Hinzugezogene zugehen: „Wenn jemand Fremder in den Gottesdienst kommt – sprechen wir ihn an, laden wir ihn ein?“ Für ihn ist Selbstbezogenheit eine der größten Herausforderungen, die es zu überwinden gilt. Offenheit bedeute zudem, den Dialog mit anderen Religionen zu fördern: „Wie gehen wir mit unseren muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern um? Interessieren wir uns für sie oder halten wir nur Abstand?“
Auch die laufenden Reformprozesse in der Erzdiözese Wien betrachtete Schönborn positiv, räumte jedoch ein, dass der Fokus zu stark auf Strukturen lag. Er erinnerte an die drei zentralen Ziele der Diözesanreform: Mission, Jüngerschaft und Strukturreform. Gerade in der Mission, also dem Grundauftrag Jesu, sieht der Kardinal noch „viel Luft nach oben“.
Der weltweite synodale Prozess, angestoßen von Papst Franziskus, biete eine wertvolle Gelegenheit zur Reflexion und Erneuerung der Kirche. Dabei sei es wichtig, nicht nur um sich selbst zu kreisen, sondern die Gemeinschaft zu stärken. Transparenz und Partizipation seien wesentliche Ziele. „Synodalität heißt, gemeinsam auf dem Weg zu sein“, erklärte Schönborn und betonte, dass dieser Geist auch für Politik und Gesellschaft wichtig sei.
Neben kirchlichen Themen äußerte sich der Kardinal besorgt über die weltweite Zunahme totalitärer Tendenzen und plädierte für die Stärkung einer liberalen Demokratie auf Basis der Menschenrechte. Die Kirche könne hier wertvolle Impulse geben, etwa durch die Betonung der Würde jedes Menschen und der Offenheit für Transzendenz. „Wir dürfen nicht vergessen, was unsere freiheitliche Ordnung trägt“, mahnte Schönborn.
Ein weiteres Anliegen ist der gesellschaftliche Zusammenhalt. Der Kardinal warnte vor zunehmender Vereinsamung und Verrohung der Sprache und rief zu mehr Mitgefühl auf: „Interessiere dich für deinen Nächsten! Es ist ein Gewinn für uns alle.“ Der Aufbau nach dem Krieg sei nur gemeinsam gelungen, und auch die Herausforderungen der heutigen Zeit könnten nur gemeinsam bewältigt werden.