Die "Allianz gegen Gleichgültigkeit" fordert: Einrichtung eines Jugendgerichtshof, mehr Alternativen zur Untersuchungshaft bei Jugendlichen und ausreichendes interdisziplinäres Personal für Kinder und Jugendliche.
Die "Allianz gegen Gleichgültigkeit" fordert: Einrichtung eines Jugendgerichtshof, mehr Alternativen zur Untersuchungshaft bei Jugendlichen und ausreichendes interdisziplinäres Personal für Kinder und Jugendliche.
Die neugebildete "Allianz gegen Gleichgültigkeit" fordert eine Humanisierung des Jugendstrafrechts.
Der Fall des in der Justizanstalt Wien-Josefstadt vergewaltigten 14-jährigen Häftlings muss Anlass für Verbesserungen in der Jugendgerichtsbarkeit in Österreich sein: Das haben die Caritas Wien und weitere Beteiligte an einer jetzt gebildeten "Allianz gegen Gleichgültigkeit" am Montag, 1. Juli 2013, bei einer Pressekonferenz in Wien gefordert. Generalsekretär Klaus Schwertner sagte, die schon vor zehn Jahren anlässlich der Schließung des Wiener Jugendgerichtshofes durch die damalige ÖVP-FPÖ-Regierungskoalition geäußerten Befürchtungen der Caritas hätten sich bestätigt; es bedürfe neben dessen Wiedererrichtung weiterer Schritte zur Humanisierung des Jugendstrafrechts und dessen Vollzug an Kindern und Jugendlichen.
Bei den in der Vorwoche bekanntgewordenen Übergriffen handle es sich um keinen Einzelfall - darin herrschte Einigkeit bei den Teilnehmern der Presssekonferenz, zu der der Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser eingeladen hatte. Am Podium versammelten sich die Allianzpartner Udo Jesionek, Präsident des "Weißen Rings" und ehemaliger Präsident des Jugendgerichtshofs, der Kinderpsychiater Ernst Berger, der Richter Oliver Scheiber, die Anwältin Alexia Stuefer und Caritas-Vertreter Schwertner.
Der Vorfall in der Justizanstalt Josefstadt sei "ein schwarzes Kapitel nicht nur in der Geschichte des Grauen Hauses, sondern des österreichischen Strafvollzugs insgesamt", kritisierte Schwertner. Der Fall sei "Ausdruck und Ergebnis einer verfehlten Politik", mit der 2003 "um jeden Preis" die "heilige Kuh Nulldefizit" erreicht werden sollte. Zehn Jahre später stelle die Vergewaltigung eines reifeverzögerten 14-Jährigen "nur die Spitze eines Eisbergs" dar, so der Caritas-Generalsekretär. Das System des Jugendstrafvollzugs in einem der wohlhabendsten Länder der Welt sei "unterfinanziert und ausgehungert".
Schwertner erinnerte an die seitens der Caritas auch im Zusammenhang mit jungen Flüchtlingen mehrfach erhobene Forderung "Kinder gehören nicht ins Gefängnis". Das gelte auch jetzt, denn "das Wegsperren der Jüngsten hinter schweren Türen bezweckt das Gegenteil dessen, was als aufgeklärte Gesellschaft unser Ziel sein sollte", wie Schwertner betonte: Junge Menschen, die eine Straftat begangen haben, müsse der Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft geebnet werden. "Unser Ziel muss lauten, dass sie wieder Teil jener Gesellschaft werden, gegen deren Gesetze sie verstoßen haben."
Schwertner erinnerte an die Worte des Vorsitzenden der katholischen Gefangenenseelsorger, Christian Kuhn, der zum Anlassfall unterstrich: "Ist der Staat nicht in der Lage, Menschen während der Haft zu schützen, darf er sie nicht verhaften." Keinesfalls sei es akzeptabel, dass Gefängnisse "zu Orten verkommen, in denen psychische, physische und sexuelle Gewalt als lästige, aber letztlich nicht vermeidbare Unfälle hingenommen werden".
Die Caritas unterstütze die konkreten Reformforderungen der jetzt gebildeten überparteilichen Experteninitiative: Wien brauche wieder einen Jugendgerichtshof, es müsse mehr Alternativen zur Untersuchungshaft bei Jugendlichen geben und es brauche ausreichendes interdisziplinäres Personal für die Kinder und Jugendlichen.
Die weiteren Forderungen stellte Udo Jesionek vor: Nicht nur in Wien, auch in anderen Ballungsräumen seien Jugendkompetenzzentren zu schaffen, die Einschlusszeiten für die Delinquenten müssten verringert, jene für Ausbildung, sinnvolle Beschäftigung und Besuche ausgeweitet werden. Ausgebaut werden sollten auch Möglichkeiten, statt einer kurzen Freiheitsstrafe eine freiwillige gemeinnützige Arbeit zu übernehmen.
Aus seiner 21-jährigen Zeit als Präsident des Jugendgerichtshofes Wien weiß Jesionek um die Machtspiele, die bei der Unterbringung mehrerer Jugendlicher in einer Zelle ablaufen. Auch sexuelle Gewalt sei an der Tagesordnung, wenn nachts kein Schutz von Schwächeren gewährleistet sei. Die Betroffenen würden meist nicht "auspacken", weil sie noch schlimmere Konsequenzen befürchteten. Vermeidbar sei eine Spirale aus Gewalt und Aggression nur durch jugendgemäße Unterbringung bzw. ehrliches Bemühen um Resozialisierung.
Auch Kinderpsychiater Berger warnte davor, die Haft zu einem weiteren traumatisierenden Ereignis in einer meist ohnehin problematischen Biografie zu machen; vielmehr müsse Strafe als Ansatz zur Hilfe verstanden werden. Erlittene Gewalt werden später sonst zur ausgeübten.