"Es ist heute so viel mehr Freude zu spüren", so Kardinal Christoph Schönborn im Sommer-Interview am Ende eines "ereignisreichen Arbeitsjahres".
"Es ist heute so viel mehr Freude zu spüren", so Kardinal Christoph Schönborn im Sommer-Interview am Ende eines "ereignisreichen Arbeitsjahres".
Im Herbst geht die Diözesanreform in die nächste Runde (4. Diözesanversammlung). Kardinal Christoph Schönborn versichert im Interview mit der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" : Durch die "Pfarre neu" wird es möglich sein, "Kräfte zu bündeln", "Priester nicht mehr als Einzelkämpfer zu verheizen" und "den Blick zu weiten" für eine Gesellschaft, die immer mobiler wird.
Die Weihe von Bischof Benno Elbs in Feldkirch hat ein ereignisreiches Arbeitsjahr abgeschlossen. War es ein gutes Jahr?
Ich bin einigermaßen erschöpft, aber das Arbeitsjahr war spannend, ermutigend, verheißungsvoll – und damit sehr gut. Wenn ich etwa an die starken Zeichen denke: die Bischofssynode in Rom zum Thema Neuevangelisierung, der Rücktritt Benedikts und der neue Papst. Da ist ein Ruck durch die Kirche gegangen. Es ist heute so viel mehr Freude zu spüren.
Gilt das auch für unsere Erzdiözese? Beim Thema Diözesanreform kommt ja doch nicht nur Freude auf.
Auch da habe ich den Eindruck aus vielen Gesprächen, dass es eine Aufbruchsstimmung gibt. Natürlich haben viele Menschen Sorge um ihre Pfarrgemeinde und sagen: Wie soll das gehen? Wir werden noch viel miteinander reden müssen und auch im Tempo behutsam sein. Aber gerade Papst Franziskus bestärkt uns sehr. Sein Ruf, hinauszugehen, nicht nur für uns selber da zu sein, die Nöte der Menschen wahrzunehmen, sich auf Neuland zu wagen, um Christus neu zu verkündigen – das ist ja genau das Ziel unserer Reform: Mission an erster Stelle.
Viele meinen aber, das ginge leichter in der bestehenden, vertrauten Struktur. Warum dafür größere "Pfarren neu" schaffen?
Aus vielen Gründen: Um die Kräfte zu bündeln, um Priester nicht mehr als Einzelkämpfer zu verheizen, um den Blick zu weiten, um uns auf eine Gesellschaft einzustellen, die viel mobiler ist und daher größere Aktionsradien hat. Es entsteht auch leichter Neues, wenn eine Gemeinde durch die Umstellung überlegen muss: Was von dem, was wir alles tun, ist wirklich Zeichen und Werkzeug der Gemeinschaft in Christus, wie es das Konzil sagt? Und wo kreisen wir nur um uns selbst? Zudem muss dann nicht mehr jede kleine (Pfarr)Gemeinde alles tun, sondern kann ihren Charismen entsprechend Schwerpunkte setzen.
Man hört immer wieder die Hoffnung, dass der neue Papst das Priesteramt auch für Verheiratete, vielleicht sogar für Frauen öffnet. Wäre das eine bessere Lösung für die Probleme der Kirche?
Ich halte es nicht für wahrscheinlich, dass der Papst das tut. Vor allem bin ich überzeugt, dass es unsere Probleme nicht beheben würde. Wir sehen das ja bei anderen Konfessionen, wo das längst üblich ist – auch sie haben schwere Nachwuchsprobleme und verlieren Gläubige. Andererseits gibt es viele Gegenden auf der Welt, wo es viel größere Pfarren gibt als bei uns und viel weniger Priester, und die Kirche ist trotzdem sehr lebendig! Ich glaube nicht, dass man in Rom viel dazu tun kann, dass wir als christliche Gemeinden in Österreich attraktiv sind. Wir müssen schon selber unsere Hausaufgaben machen.
Vielen fehlt dafür das klare Bild, wo die Reise wirklich hingehen soll.
Daher brauchen wir Pilotprojekte, an denen wir in der Diözesanleitung lernen, aber an denen auch alle immer besser erkennen können, worum es geht. Ich denke da etwa an das Dekanat 10 in Wien, wo sich 15 Pfarren in den kommenden zwei Jahren zu vier zusammenschließen werden. Oder das Dekanat 15, wo aus fünf Pfarren zwei werden. Der erste Schritt ist dort getan, indem nun klar ist, wer mit wem zusammengeht. Nun folgt der zweite Schritt, das konkrete Zusammengehen. Da liegen noch viele Herausforderungen, aber auch große Chancen. Eine "Pfarre neu" in diesem Bezirk formiert sich zum Beispiel unter Führung der Steyler Missionare rund um den neuen Hauptbahnhof, wo auch ein neues Wohnviertel für mehr als 10.000 Menschen entsteht. Das ist ein wirklich spannendes Projekt der Großstadtseelsorge. Aber auch die anderen Pfarren sind dort auf guten Wegen. Die einen etwas langsamer, die anderen etwas schneller, das ist ganz normal.
Wie weit spielen die Ordensgemeinschaften, die ja viele Pfarren betreuen, bei der Reform mit?
Sie sind stark eingebunden und zu ganz wichtigen Mitdenkern und Mitplanern im Diözesanprozess geworden. Natürlich gibt es auch unter ihnen Skeptiker, aber auch viele, die entschieden mitmachen. So haben etwa die Oblaten des Franz von Sales aus eigenem Antrieb begonnen, ihre Pfarren im 19. Bezirk zusammenzufassen. Viele Orden sehen in der Reform auch die Chance, sich neu auf ihre ureigenen Charismen zu besinnen. So bleibt unsere Kirche bunt – wie unsere Welt.
In der Stadt scheint der Enthusiasmus für neue Strukturen größer zu sein als auf dem Land. Warum?
Das ist sehr verständlich. Auf dem Land spielt die Kirche eine andere soziale Rolle als in der Stadt. Und die Sorge ist größer, dass die Kirchengemeinde sich auflöst, wenn man einmal keine eigene Pfarre mehr ist. Diese Geschlossenheit der Pfarrgemeinde im Ort gibt den Menschen ein Stück Heimat. Das ist aber dann problematisch, wenn die Gemeinde zu abgeschlossen wird und nicht mehr auf neue Menschen zugeht. Die Aufgabe ist ja: Menschen in eine Freundschaft mit Christus zu führen. Dazu gehört, Interesse an dieser Freundschaft auch bei jenen zu wecken, die sich nicht am Gemeindeleben beteiligen.
Ohne Pfarrer bleibt auch die Kirche nicht im Dorf?
So fragen das viele. Es gibt aber auch viele beeindruckende Beispiele von lebendigem Christentum in Dörfern, die schon lange keinen eigenen Priester mehr haben oder nie gehabt haben. Aber wir wollen ja niemandem den Priester wegnehmen. Ob "Pfarre heute" oder "Pfarre neu" – die Zahl der Priester insgesamt wird dadurch nicht verändert. Wir versuchen nur, sie ihren Begabungen entsprechend besser einzusetzen. Dass etwa jemand, der gut mit Jugendlichen kann, auch mehr Zeit dafür hat, weil er sich nicht als Pfarrer um alles und jedes kümmern muss. Die Hoffnung ist, dass auch die Laien erkennen, dass sie ihre Möglichkeiten, als Christen aktiv zu werden, bei weitem noch nicht ausgeschöpft haben. Der Pfarrer soll ja nicht der große Zampano sein, ohne den nichts läuft. Er ist eigentlich einer, dessen Dienst den Laien dabei helfen soll, aus sich heraus aktiv zu sein. Wenn das gelebt wird, gelingt die "Pfarre neu" als Gemeinschaft lebendiger Gemeinden.
Wie schnell soll es nun mit der Errichtung von "Pfarren neu" gehen?
Es wird dafür so viel Zeit geben, wie es eben braucht. Es ist ja ein sehr komplexer Prozess. Wir haben uns für den Großteil des Weges zehn Jahre Zeit genommen, und das wollen wir einhalten. Daher wäre es auch nicht gut, wenn jetzt alle die Hände in den Schoß legen und die nächsten paar Jahre einmal gar nichts tun. So gibt es zunächst an die Dechanten der Stadt Wien den Auftrag, dass bis 2015 die Pfarren miteinander ins Gespräch kommen, ihre Stärken und Schwächen reflektieren, gemeinsam über eine Neuordnung nachdenken. Alle sind da aufgerufen, Priester wie Laien.
Warum werden nur die Dechanten der Stadt Wien beauftragt?
Sie sind nur die ersten. Für die zwei anderen Vikariate wird es in ein paar Wochen ebenfalls ähnliche Aufträge geben. Und mit Menschen aus allen drei Vikariaten wollen wir uns im Oktober (17.-19.10. 2013) bei der Vierten Diözesanversammlung über die Hoffnungen und Sorgen austauschen. Auch wieder im Stephansdom, wie schon bei den großen Diözesanversammlungen 2009 und 2010, nur diesmal schon mit einem klareren Blick auf den vor uns liegenden Weg.
Zum Schlüsselwort: "Jüngerschaft". Was ist Dein Mittel, um in der Verantwortung des Bischofs nicht Herr, sondern Jünger Jesu zu sein?
Wichtig ist, dass nicht wir uns zu Jüngerinnen und Jüngern machen, sondern der Herr. Wir müssen es nur zulassen. Für mich ist das ein Weg der Freundschaft mit Christus. Das beginnt beim Beten – ohne ernsthaftes Miteinander-Reden gibt es keine Freundschaft. Dann kommt das Schwerste, die Demut: Herr, nicht mein, sondern dein Wille geschehe! Ich versuche das über Gewissenserforschung und Beichte. All das braucht eine Gemeinschaft, die einen trägt.
Und wie erholt sich ein Bischof im Sommer?
Zuerst am Land, mit lesen, schreiben, wandern. Dann freue ich mich schon sehr auf den Weltjugendtag in Rio de Janeiro, wo ich auch wieder Katechesen halten werde. Und dann beginnen ohnehin schon bald wieder die Vorbereitungen auf den Herbst…
Das Interview mit Kardinal Christoph Schönborn erschien am Donnerstag, 4. Juli 2013, in der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag".