Wie gelingt es, im Leben Platz zu bewahren für Innerlichkeit, Nachdenken und vor allem für Stille und Gebet?, fragt Kardinal Christoph Schönborn.
Wie gelingt es, im Leben Platz zu bewahren für Innerlichkeit, Nachdenken und vor allem für Stille und Gebet?, fragt Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 21. Juli 2013.
Über diese Stelle des Evangeliums wird seit nun fast zweitausend Jahren nachgedacht. Die beiden Schwestern, Marta und Maria, gelten als Symbole für zwei Haltungen, zwei Lebenseinstellungen, zwei Arten zu leben und zu glauben. Marta ist die Aktive, Geschäftige, Tätige und Tüchtige. Maria ist das Urbild des besinnlichen, nachdenklichen, hin- und zuhörenden Menschen. Und zwischen beiden gibt es Spannungen. Die Aktive beschwert sich bei Jesus über ihre Schwester, die lieber sitzt und zuhört, während sie sich um das leibliche Wohl des Gastes kümmert. Es ist dies ein Bild für die Spannung, die viele Menschen in ihrem Alltag schmerzlich erleben: Wie soll man das rechte Maß zwischen Tätigsein und Besinnlichsein finden? Wie nicht untergehen in den endlosen Aktivitäten des täglichen Lebens? Wie nicht im wörtlichen Sinne besinnungslos werden? Wie im Leben Platz bewahren für Innerlichkeit, Nachdenken und vor allem für Stille und Gebet?
Marta und Maria leben unter einem Dach. Marta ist die "Chefin" im Haus. Maria ihre Mitbewohnerin. Die eine arbeitet fleißig, die andere lauscht den Worten Jesu und ist ganz aufmerksam für den lieben Gast. Auch im Haus unseres Lebens wohnen beide Anteile, der aktive und der besinnliche. Und in jedem Leben geht es darum, das rechte Gleichgewicht zwischen beiden zu finden. Die meisten Menschen halten es mit Marta. Für sie ist das Tun und Schaffen, das Aktiv-Sein und Organisieren das Wichtigste. Zumindest nimmt es den meisten Platz ein. Mir geht es da in meinem Bischofsamt nicht anders als den meisten Menschen. Mein Tag ist angefüllt mit Terminen, Verpflichtungen, Aufgaben.
Jesus sagt aber ganz klar, dass Maria, die Beschauliche, "das Bessere gewählt" hat. Jesus stellt die übliche Rangordnung auf den Kopf. Für uns sind die Besinnungszeiten eher dazu da, "die Batterien wieder aufzuladen", um nachher umso aktiver sein zu können. Jesus stellt die Stille, das Hören auf sein Wort, die Nachdenklichkeit und das Ruhigwerden an die erste Stelle.
Unsere Alten wussten das wohl besser als wir, wenn sie den Tag nicht ohne Morgengebet begannen und nicht ohne Abendgebet beschlossen. Sie hatten ein Gespür dafür, dass die Zeiten des Gebetes, der Andacht, der Stille, dem Leben Halt und Richtung geben. Sie hatten sicher meist kein leichteres Leben als wir, aber sie hatten oft eine bessere Rangordnung in den Dingen, die im Leben wichtig sind.
Ich bin immer wieder Menschen begegnet, die voll im Leben stehen, in Familie und Beruf ihren Mann oder ihre Frau stellen, und die es schaffen, die Rangordnung im Sinne Jesu zu gestalten. An ihnen kann ich "ablesen", dass das heutige Evangelium sich im Leben als richtig erweist. Wer dem Hören auf Gottes Wort den ersten Platz gibt, wird auch in seinen Aktivitäten nicht das Maß verlieren. Wer sich genügend Zeit nimmt, um wie Maria Jesus zu Füßen zu sitzen, und bei Ihm Rat zu holen und Ruhe zu finden, der wird auch in aller Geschäftigkeit des Alltags einen klaren Kopf und ein besonnenes Herz bewahren.
In jener Zeit kam Jesus in ein Dorf, und eine Frau namens Marta nahm ihn freundlich auf. Sie hatte eine Schwester, die Maria hieß. Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu. Marta aber war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen. Sie kam zu ihm und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir helfen! Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht genommen werden.