"Wer nie bitten gelernt hat, wird egoistisch und bleibt letztlich alleine und isoliert. Glücklich wird er nicht", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Wer nie bitten gelernt hat, wird egoistisch und bleibt letztlich alleine und isoliert. Glücklich wird er nicht", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 28. Juli 2013.
Wir oft wurden wir als Kinder daran erinnert, "bitte" zu sagen, wenn wir etwas haben wollten! Und wie oft mussten wir seither, in den Jahren des Erwachsenseins, das "Bitte"-Sagen weiter üben! Bitten gehört zum Leben. Es kann bitter werden, bitten zu müssen. Wenn einer als Bittsteller kommen muss, etwa um eine Arbeit zu suchen, oder gar um eine Unterstützung zu bekommen, weil die eigenen Mittel nicht mehr ausreichen. Wenn das Bitten zum Betteln wird, dann ist es demütigend.
Und doch ist Bitten menschlich. Es ist ein Ausdruck dafür, dass wir alle aufeinander angewiesen sind. Keiner genügt sich selber. Immer brauchen wir die Hilfe anderer. Wer bittet, bekennt: Ich brauche dich! Und: Ich kann dich nicht zwingen; ich kann dich nur bitten. Wenn wir jemanden um Hilfe bitten, anerkennen wir nicht nur, dass wir auf andere angewiesen sind, sondern auch dass die anderen die Freiheit haben, auf unsere Bitte einzugehen oder sie abzulehnen.
Bitten ist also eine Schule der Menschlichkeit. In ihr lernen wir gegenseitige Achtung, Aufmerksamkeit, Rücksicht, Höflichkeit. Wer nie bitten gelernt hat, wird egoistisch und bleibt letztlich alleine und isoliert. Glücklich wird er nicht.
Im heutigen Evangelium fällt mir auf, dass Jesus auch das Beten vor allem als Bitten versteht. Seine Jünger erleben oft, dass Jesus sich zum Beten zurückzieht, an einsame Orte, auf Berge, in die Stille. Und da er ihr Meister und Lehrer ist, bitten sie ihn: "Herr, lehre uns beten!" Sie wollen ihn nachahmen, sie wollen diese innere Welt kennenlernen, in der Jesus mit seinem Gott alleine ist, den er seinen Vater nennt. Und so lehrt er sie beten.
Mich überrascht, dass er sie nicht zuerst lehrt, Gott zu loben oder Ihm zu danken. Er lehrt sie bitten, und zwar nachdrücklich, ausdauernd, ja geradezu lästig und aufdringlich. Sie sollen Gott gewissermaßen mit ihrem Bitten auf die Nerven gehen, wie dieser zudringliche Mann, der in der Nacht laut an die Tür seines Freundes klopft, ihn und seine Kinder aus dem Schlaf reißt, nicht locker lässt bis dieser ihm gegeben hat, worum er ihn bittet.
Warum sollen wir so heftig anklopfen? Warum bei Gott bitten und betteln? Weiß er denn nicht, was wir brauchen? Hat nicht Jesus selber gesagt: "Euer himmlischer Vater weiß, was ihr braucht"? Wir müssen doch Gott nicht informieren. Er ist allwissend. Und überdies: Wird Gott wegen meiner Bitten seine Pläne ändern? Warum also bitten? Warum beten?
Ich sehe das persönlich so: Zwischen uns Menschen ist das gegenseitige Bitten etwas Urmenschliches. Es ist ein wichtiger Teil unserer menschlichen Beziehungen. Warum sollte das zwischen mir und Gott nicht auch so sein? Wenn ich mit meinen Sorgen bittend zu Gott komme, dann habe ich das Vertrauen, dass er nicht eine anonyme Macht, irgendeine Energie ist, sondern "unser Vater", jemand, mit dem ich sprechen kann, der mich kennt, der um meine Sorgen weiß, und der mich mehr lieb hat, als mein eigener Vater.
Genau das will Jesus uns lehren. Das ist seine Erfahrung: Mit Gott kann er so vertrauensvoll sprechen, wie ein Sohn mit seinem Vater. Beten ist eine Sache des Vertrauens. Das will Jesus uns lehren: Ein ganz großes, herzliches, kindliches, ja grenzenloses Vertrauen. Deshalb sollen wir ruhig heftig und zudringlich bei unserem Gott anklopfen!
Jesus betete einmal an einem Ort; und als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie schon Johannes seine Jünger beten gelehrt hat. Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, dein Name werde geheiligt. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen. Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung. Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen, und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann etwa der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen, und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm seine Bitte erfüllt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht. Darum sage ich euch: Bittet, dann wird euch gegeben; sucht, dann werdet ihr finden; klopft an, dann wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn eine Schlange gibt, wenn er um einen Fisch bittet, oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet? Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.