"Der Tod stellt alle Habgier radikal in Frage. Jesus fragt uns: Was kannst du mitnehmen von dem, was du in einem bitteren Erbstreit erkämpft hast?", so Kardinal Christoph Schönborn.
"Der Tod stellt alle Habgier radikal in Frage. Jesus fragt uns: Was kannst du mitnehmen von dem, was du in einem bitteren Erbstreit erkämpft hast?", so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 4. August 2013 (Lk 12, 13-21)
Erbstreiterei! Im Nu werden Freunde zu Feinden, Geschwister zu Hyänen, Verwandte zu verbitterten Gegnern. Kaum gibt es etwas zu erben, schon bricht der Streit zwischen den Erben aus. Keiner kann genug bekommen; jeder glaubt, der andere erhalte zu viel; über alle breitet sich eine Wolke des Misstrauens, der Missgunst, ja des Hasses. So beginnt die Suche nach Parteigängern, Unterstützern der eigenen Forderungen, und wenn das nicht hilft, eilt man zum Rechtsanwalt, der dann oft mehr kostet, als der Streitwert der Erbschaft.
Jesu soll einen Erbstreit zwischen Brüdern schlichten. Genauer: Jesus soll die Erbforderung des einen Bruders gegen den anderen unterstützen. Der Meister (so redet ihn der eine Bruder an) soll seine ganze Autorität auf die Waagschale legen, damit der andere Bruder nachgibt. Aber Jesus lässt sich nicht in den Erbstreit hineinziehen. Will er neutral bleiben? Ist es nicht ein gutes Werk, zwischen streitenden Brüdern zu vermitteln? Ist es nicht Jesu Auftrag, Menschen untereinander zu versöhnen? Drückt sich Jesus vor der Mühe eines solchen Ausgleiches?
Wie so oft antwortet Jesus nicht direkt auf die Anfrage, die an ihn gerichtet wird. Er packt das Problem an der Wurzel. Denn meist steht hinter den Erbstreitereien eine Fehlhaltung, ein Grundübel des menschlichen Lebens: die Habgier! "Hütet euch vor jeder Art von Habgier!" Und da Jesus die Themen, die er anspricht, nie nur abstrakt und theoretisch behandelt, erzählt er gleich eine Geschichte über die Habgier.
Mit seinen Geschichten will Jesus uns berühren. Sie sollen mich und alle Hörer persönlich ansprechen und betroffen machen. Ich lese dieses Gleichnis Jesu vom reichen Mann, der noch mehr, noch größer, noch erfolgreicher sein will, als ein Mahnzeichen für unsere Zeit. Das begegnet uns doch überall! Nicht nur in der Landwirtschaft wurde alles Alte abgerissen und immer größeres Neues gebaut. In allen Bereichen muss das Alte weichen, um noch größer bauen zu können und noch mehr Wachstum zu erwarten. Und wie der reiche Mann des Evangeliums davon träumt, dass er dann, wenn er groß und neu gebaut hat, sich`s gut gehen lassen kann, so lebt auch unsere Gesellschaft davon, dass der Traum vom großen Wohlstand weitergeträumt wird.
In Jesu Geschichte tritt Gott selber auf. Er ruft dem reichen Mann unerbittlich zu: Du Narr! Und er erinnert ihn an den Tod, der schon diese Nacht auf ihn wartet: "Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?" Hugo von Hofmannsthal hat dieses Thema in die Mitte seines "Jedermanns" gestellt. Er nennt sein Theaterstück "Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes".
Der Tod stellt alle Habgier radikal in Frage. Was kannst du mitnehmen von dem, was du in einem bitteren Erbstreit erkämpft hast? Jesus nennt den Habgierigen einen Narren. Und was ist es anderes als Narretei, wenn man immer mehr haben will? "Der Sinn des Lebens", sagt Jesus, besteht doch nicht darin, immer mehr zu haben. Aber wie schwer ist es, die Habgier loszulassen! Schon die Kinder streiten um das, "was mir gehört". Nur eines lohnt sich wirklich: "Reich sein vor Gott", das heißt reich an Güte, an Menschlichkeit, an Liebe. Dieses Erbe macht uns niemand streitig! Es ist die beste Erbschaft!
In jener Zeit bat einer aus der Volksmenge Jesus: Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen. Er erwiderte ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter bei euch gemacht? Dann sagte er zu den Leuten: Gebt acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt. Und er erzählte ihnen folgendes Beispiel: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte. Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll. Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen. Dann kann ich zu mir selber sagen: Nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink, und freu dich des Lebens! Da sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast? So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist.