"Antworten" von Kardinal Christoph Schönborn, in der Zeitung Heute, am Freitag, 25. Oktober 2013.
Morgen ist Nationalfeiertag. Haben wir Grund zum Feiern? Was sollen wir feiern? Die ältere Generation – so auch ich – erinnert sich noch an das Jahr 1955, an den Staatsvertrag, an Leopold Figls berühmtes "Österreich ist frei!" und an den Abzug der letzten Soldaten der vier alliierten Besatzungsmächte. Wir erinnern uns an die Wiederaufbauzeit und an das stetige Wachsen des Wohlstands. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass wir allen Grund haben, den Nationalfeiertag zu feiern und auch Gott dafür zu danken.
Für die Jüngeren ist das bereits Geschichte. Es gehört zu dem, was sie (hoffentlich) im Geschichtsunterricht gelernt und von den Eltern oder eher schon Großeltern erzählt bekommen haben. Es ist wichtig, die Geschichte zu kennen: Wo kommen wir her? Wie haben sich die Dinge entwickelt? Warum ist Österreich heute ein Land, um das uns viele beneiden? Und was ist unser Auftrag heute? Welche Rolle kann und soll Österreich heute und morgen in der globalisierten Welt spielen?
Darüber sollten wir, die Älteren und die Jüngeren, morgen am Nationalfeiertag miteinander reden. Darüber sollen wir uns Gedanken machen. Ich nenne nur ein paar Gesprächsanregungen: Seit sechs Jahrzehnten haben wir das Modell der Sozialpartnerschaft. Während in anderen Ländern soziale Konflikte auf der Straße, oft gewalttätig, ausgetragen werden, haben wir eine gute Kultur des Dialogs, um einvernehmliche Lösungen auszuhandeln. Das hat auch seine Schattenseiten (zum Beispiel den "Proporz"), doch die Vorteile überwiegen. Heute sind wir nicht mehr "die Insel der Seligen". Wir sind Teil der EU und weltweit vernetzt. Dennoch hat "das österreichische Modell" nicht ausgedient. Grund zum Feiern und Gott zu danken!