"Antworten" von Kardinal Christoph Schönborn, in der Zeitung Heute, am Donnerstag, 31. Oktober 2013.
"Sag mir, wo die Blumen sind", so beginnt das Anti-Kriegs-Lied, das Marlene Dietrich weltberühmt gemacht hat. "Sag mir, wo die Soldaten sind", heißt es dann weiter. "Wo sind sie geblieben?" "Über Gräbern weht der Wind", antwortet das Lied, und es schließt mit der Frage: "Wann wird man je verstehn?"
Mich bewegt immer neu die Frage: Sag mir, wo die Toten sind? Ja, wo sind sie geblieben? Wohin sind sie alle gegangen? Wenn sie sich nicht einfach in Nichts aufgelöst haben, was doch die Wenigsten glauben, wo sind sie dann? Und wie sind sie "da drüben"? Wie ist "das Leben nach dem Tod"?
Wir gehen morgen und übermorgen zu den Gräbern unserer Lieben und sagen einfach: Die Oma, der Papa, der viel zu jung verstorbene Freund liegt da und da am Friedhof. Wer liegt da am Friedhof? Die sterblichen Reste unserer Lieben! Nicht sie selber. Wo aber sind sie geblieben? Bei Gott, sagen wir. Im Himmel, so hoffen wir. Im ewigen Leben, so glauben wir.
Eines ist sicher: Wir können es uns nicht vorstellen. Deshalb hilft es, zu den Gräbern zu gehen und dort an unsere Verstorbenen zu denken. Hilft es, auch für sie zu beten? Die Kirche tut es. Das ist der Sinn von Allerseelen. Wir beten für die Verstorbenen, damit sie ganz ans Ziel ihres Lebens kommen. Oft braucht es noch ein Wegstück, bis "die arme Seele" bei Gott die ewige Ruhe findet. Dabei können wir ihnen helfen. Wie auch sie uns helfen können. Die Trennwand des Todes ist durchlässig. Wir bleiben verbunden. Nicht nur am Allerseelentag.