Im Bereich der Pflege muss die zukünftige Bundesregierung bereits jetzt die Weichen für die kommenden Jahre stellen.
Im Bereich der Pflege muss die zukünftige Bundesregierung bereits jetzt die Weichen für die kommenden Jahre stellen.
4,2 Milliarden Euro zusätlich zwischen 2014 und 2020 für den Pflegefonds notwendig - Caritas-Generalsekretär Wachter: Qualifikationen des Pflegepersonal gerecht entlohnen - Diakonie-Direktor Chalupka: Pflegegeld-Valorisierung überfällig.
Für die Sicherung einer funktionierenden Pflege für die Zukunft muss die künftige Bundesregierung die Pflegereform einschließlich der Aufstockung der finanziellen Mitteln an die Spitze der Prioritäten setzen. Das forderten Caritas und Diakonie Österreich mit den weiteren Partnern in der Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt (BAG), dem Hilfswerk, dem Roten Kreuz und der Volkshilfe, in einer Pressekonferenz am Dienstag, 05. November 2013.
Berechnungen auf Basis der Bedarfspläne der Länder hätten ergeben, dass vor allem angesichts der demografischen und sozialen Entwicklung von 2014 bis 2020 zusätzliche Mittel für die Pflege in der Höhe von 4,2 Milliarden Euro notwendig sein werden. "Wir müssen jetzt die Weichen stellen", so Diakonie-Direktor Michael Chalupka und Caritas-Generalsekretär Bernd Wachter.
In dem heuer beschlossenen und bis 2016 laufenden Pflegefonds wurde vereinbart, dass zwischen 2014 und 2016 insgesamt 885 Millionen Euro zusätzlich für die Länder für den Bereich der Sachleistungen in der Pflege zur Verfügung stehen. Die fünf Organisationen der BAG fordern nicht nur eine Verlängerung des Fonds bis ins Jahr 2020, um Sicherheit für die Betroffenen herzustellen, sondern auch dessen Aufstockung.
Gefordert wird vor allem die Berücksichtigung eines Anstiegs von jährlich mindestens 8.000 zusätzlichen Pflegegeldbeziehern, so dass bis ins Jahr 2020 statt wie bislang 450.000 dann 510.000 Personen Pflegegeld in Anspruch nehmen werden. Alleine dafür würden sich Mehrkosten von 1,3 Milliarden Euro ergeben. Angesichts dessen, dass bis ins Jahr 2020 ohnedies weitere zwei Milliarden Euro für die Pflegefinanzierung notwendig sein werden, kommt man auf die Gesamtsumme von rund 4,2 Milliarden Euro für den Pflegefonds bis 2020, wobei hier noch keineswegs die "längst überfällige Valorisierung des Pflegegeldes" eingerechnet ist, so der Bundesgeschäftsführer des Hilfswerks, Walter Marschitz.
"Das Pflegegeld ist in den letzten Jahren sukzessive entwertet wurden, letztlich um 27 Prozent. Es kann nicht sein, dass solche schleichenden Einsparungen auf dem Rücken der Bedürftigen getroffen werden", so Diakonie-Direktor Chalupka. Die künftige Bundesregierung müsse daher das Pflegegeld valorisieren und zugleich die Angebote bei sozialen Dienstleistungen wie Tageszentren und Notpflegediensten ausbauen, um "die Pflegelücke zu schließen". Denn derzeit gebe es in der Pflege nur die Alternative zwischen Pflegeheim und einer Pflege zu Hause, "es braucht aber Angebote dazwischen, die an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und nicht unerschwinglich sind", so Chalupka.
Solche Investitionen in die sozialen Pflegedienste würden nicht nur den Betroffenen, sondern auch den pflegenden Angehörigen zugutekommen. Dies sei umso dringlicher, wenn man sich vor Augen führt, dass 70 Prozent aller pflegenden Angehörigen nicht berufstätig sind und mehr als ein Viertel ihre berufliche Tätigkeit aufgeben bzw. stark reduzieren musste, um ein Familienmitglied pflegerisch betreuen zu können. "Der größte Pflegedienst in Österreich ist eindeutig die Familie. Von den rund 450.000 Pflegegeldbeziehern leben etwa 377.000 Personen zu Hause", sagte der stellvertretende Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes, Michael Opriesnig.
46 Prozent aller pflegebedürftigen Personen leben mit der Betreuungsperson in einem Haushalt zusammen. Das Durchschnittsalter der pflegenden Angehörigen liegt bei Frauen bei 60, bei Männern bei 65 Jahren. Mehr als 40.000 Kinder und Jugendliche müssen in Österreich regelmäßige Pflegedienste in der Familie leisten. "Deshalb ist ein Ausbau von Entlastungsangeboten dringend notwendig", so Opriesnig. Ergänzend zu mobilen Betreuungsdiensten müsse auch die stundenweise Betreuung als sogenannte "Alltagsbegleitung" eingeführt werden. Zudem sei eine Verbesserung der Beratungsleistungen für pflegende Angehörige - etwa zur Finanzierung, praktische Pflegetipps oder der psychosozialen Betreuung - wichtig.
"Die Politik darf die Qualifikationen und Kompetenzen der Pflegenden nicht einfach auf der Straße liegen lassen. Andernfalls betreibt sie fahrlässige Ressourcenvergeudung", so der Generalsekretär der Caritas Österreich, Bernd Wachter. Sozialbetreuer und Diplompflegepersonen müssten für ihre Zusatzausbildungen - etwa im Bereich Wundmanagement oder Demenz - entsprechende Anerkennung bei den Personalvorgaben und Leistungsentgelten aller Bundesländer erhalten.
Die Realität sehe derzeit jedoch anders aus: Sogenannte Fach- und Diplomsozialbetreuer für Altenarbeit etwa seien in ganz Österreich anerkannte Berufe, die vertraglich in einer 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern geregelt seien. "Aber der Beruf der Fach-und Diplomsozialbetreuerin für Altenarbeit kommt im Personalschlüssel von sieben der insgesamt neun Bundesländern überhaupt nicht vor", kritisierte Wachter. Außer in Vorarlberg und Oberösterreich werden diese speziell ausgebildeten Altenbetreuerinnen somit nicht entsprechend ihrer Qualifikation bezahlt. "Gerade Personen mit einer solchen Zusatzausbildung sind aber besonders gefragt, weil alte Menschen jemanden brauchen, der sie kompetent begleitet", so der Caritas-Generalsekretär. Diese Berufe müssten daher im Personalschlüssel berücksichtigt werden.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt fordert außerdem eine Reform der Pflegezuständigkeiten und -strukturen, um den "Pflegefleckerlteppich in Österreich" transparenter und gerechter zu gestalten: "Regionale Unterschiede sind zwar begründbar, nicht aber die derzeit bestehenden unübersichtlichen Abweichungen zwischen den Bundesländern. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, dass Pflegeleistungen nicht vom Wohnort abhängen sollen", so der Bundesgeschäftsführer der Volkshilfe Österreich, Erich Fenninger.
Die Steuerungsprozesse müssten von den Bedürfnissen der Menschen ausgehen und nicht "soll das System die Menschen steuern", so Fenninger. Es gebe großen Orientierungsbedarf, Angehörige würden von den zuständigen Stellen oft überfordert und müssten gegen große Informationsdefizite ankämpfen. "Es braucht eine bessere Zusammenarbeit in der komplexen Pflegelandschaft und eine Orientierung an den Bedürfnissen der Betroffenen", fordert die BAG, die für die Einberufung einer Pflegekonferenz mit sämtlichen relevanten Akteuren und Stakeholdern plädiert.