Der Kirchenbeitrag und das deutsche Modell der Kirchensteuer seien "partikulare Phänomene des deutschen Sprachraums", so der Kirchenrechtler Stephan Haering.
Der Kirchenbeitrag und das deutsche Modell der Kirchensteuer seien "partikulare Phänomene des deutschen Sprachraums", so der Kirchenrechtler Stephan Haering.
Kirchenrechtler Haering referierte auf einer Tagung zum Thema Kirchenfinanzierung: Kirchensteuer in Deutschland und Kirchenbeitrag in Österreich entstammen staatlicher Intentionen, wurden aber von Kirchen "adoptiert", so Haering.
Kirchensteuer und Kirchenbeitrag gehören nicht zum Credo der Kirche und haben "als historisch gewordene Phänomene keine überzeitliche Garantie, auch wenn sie sich - derzeit - guter Gesundheit zu erfreuen scheinen". Das sagte der deutsche Theologe und Kirchenrechtler Stephan Haering auf der Tagung zum Thema "Kirchenfinanzierung" ("Wenn das Geld im Kasten klingt") am Freitag, 8. November 2013, an der Universität Wien. "Das deutsche Modell der Kirchensteuer und das österreichische des Kirchenbeitrags haben gesellschaftliche Umbrüche überdauert, vor allem weil sie selbst entwicklungsfähig waren und sind", so der Kirchenrechtler an der Ludwig-Maximilans-Universität München.
Haering bezeichnete auf der Tagung, die vom Wiener Institut für Kirchenrecht in Zusammenarbeit mit dem Institut für praktische Theologie in Innsbruck am Freitag und Samstag in Wien veranstaltet wird, die deutsche Kirchensteuer und den österreichischen Kirchenbeitrag als "Halbgeschwister", deren "Elternschaft jeweils beim Staat" liege, jedoch im Zuge der geschichtlichen Entwicklung von der Kirche "adoptiert und angenommen wurden". Zu bedenken sei freilich, dass gerade in Österreich die Einführung des Kirchenbeitrags einem "Unrechtsakt des Staates", nämlich des NS-Staates, im Jahr 1939 zugrunde liege.
Der Kirchenbeitrag in Österreich sei gewissermaßen der "jüngere Halbbruder" des deutschen Modells der Kirchensteuer. Bei beiden Modellen handle es sich um "partikulare Phänomene des deutschen Sprachraums, die auch nur im Blick auf die besonderen geschichtlichen Verhältnisse der Länder zu verstehen sind", betonte der Kirchenrechtsprofessor und Mitherausgeber des "Lexikons für Kirchenrecht".
Die entscheidende historische Zäsur für die Entstehung der Finanzierungsform der Kirchensteuer bildete die Französische Revolution, die Säkularisierung und Neuordnung Europas nach der napoleonischen Zeit. Angesichts von Urbanisierung, Bevölkerungswachstum, wirtschaftlicher Entwicklung, pastoraler Veränderung sowie Ausbau der Seelsorge erhöhte sich der kirchliche Finanzbedarf, für den die Gläubigen einer Religionsgemeinschaft nun selbst aufkommen sollten.
Die Kirchensteuer, die der ursprünglichen Intention nach zunächst projekt- und bedarfsbezogen, später dauerhaft ausgerichtet war, wurde erstmals im Jahr 1827 im deutschen Fürstentum Lippe erhoben. Es folgten u.a. 1831 Oldenburg und 1838 das Königreich Sachsen, also zunächst protestantische Gebiete. In Bayern etwa wurde die Kirchensteuer für die evangelische Kirche erst im Jahr 1908, für die katholische Kirche vier Jahre später eingeführt.
"Mit der Kirchensteuer vollzog sich ein Wandel bei der Kirchenfinanzierung weg vom Katholizitätsprinzip, wonach grundsätzlich alle die Last des Finanzbedarfs tragen mussten, hin zum Mitgliederprinzip, wonach die Zugehörigkeit zur Konfession entscheidend wurde", so Haering. Heute sei die Kirchensteuer die "tragende Säule des kirchlichen Bedarfs". Sie macht etwa 70 bis 80 Prozent der Einkünfte der Kirche in Deutschland aus.
Auch wenn - mitunter auch innerkirchlich - kritische Stimmen gegen die Kirchensteuer Stellung beziehen, dass der Charakter der Zwangsabgabe eigentlich nur eine Ausnahme sein sollte und Anlass für die Abwendung von der Kirche sein könne, sei die Finanzierungsform der Kirchensteuer weitestgehend gesellschaftlich anerkannt.
Während die Kirchensteuer in Deutschland auf staatliche Unterstützung bei der Erhebung aufbauen kann, bleibt ihr "jüngerer Halbbruder" - der Kirchenbeitrag in Österreich - bloß der zivilgerichtliche Weg. "Der Grund liegt in einer persönlichen Anordnung Adolf Hitlers, für den die Finanzierungsform des Kirchenbeitrags in Österreich Modellcharakter für das gesamte Dritte Reich hatte", erläuterte Haering. Dieselbe Gesetzeslage wurde danach auch im Sudentenland, in der Untersteiermark, in Elsass-Lothringen und in Luxemburg implementiert.
Die Weichenstellung für die Kirchenfinanzierung in Österreich erfolgte somit nicht nach dem Ende der Habsburgermonarchie, wo der staatliche Religionsfonds und die staatliche Fürsorge für die Finanzierung der Geistlichen, die in ihrer pädagogischen Funktion auch staatliche Aufgaben erfüllten, aufkamen und neben den Pfründe-und Kirchenstiftungen die Einkünfte der Kirche sicherstellte. Während die Struktur der Kirchenfinanzierung in der Ersten Republik beibehalten wurde, änderte sich dies "überfallsartig", so Haering, mit der Okkupation Österreichs durch NS-Deutschland.
"Der Kirchenbeitrag in Österreich entstammt unmittelbar der Intention der Nazis, die Kirche zurückzudrängen, deren Einfluss zu mindern, die Erwerbsmöglichkeiten der Kirche zu beschneiden und vor allem eine Austrittswelle aus der Kirche zu provozieren. Der Kirchenbeitrag ist also das Ergebnis einer scharfen antikirchlichen Linie", skizzierte der Kirchenrechtler. Das mit 28. April 1939 bekanntgegebene und per 1. Mai desselben Jahres in Kraft getretene "Gesetz über die Erhebung von Kirchenbeiträgen" sah alle volljährigen Angehörigen der katholischen, evangelischen und altkatholischen Kirchen als beitragspflichtig an, wobei sich der NS-Staat die Kontrolle über die kirchliche Vermögensverwaltung vorbehielt.
Die dahinterstehende Absicht der Nazis: Durch den Wegfall staatlicher Finanzierungen sollte der Klerus sukzessive eingeengt und die Mitglieder durch ihre Beitragspflicht gegen die Religionsgemeinschaften ausgespielt werden. "Die Rechnung ging jedoch nicht auf, im Gegenteil: 1939 wurden von den dafür zuständigen Pfarrkirchenräten fünf Millionen Reichsmark, 1940 bereits 15 und im Jahr 1945 20 Millionen Reichsmark erhoben. Der Grund liegt nicht nur im Aufbau einer effizienten Beitragsstruktur, sondern auch darin, dass die Bevölkerung im Kirchenbeitrag einen Akt des Bekenntnisses zur Kirche und somit eine Ausdrucksmöglichkeit der Ablehnung des Nationalsozialismus sah", so Haering.
Nach Ende der NS-Herrschaft wurde das Kirchenbeitragssystem in der Zweiten Republik weitestgehend beibehalten, wenngleich seit 1960 das staatliche Aufsichtsrecht über kirchliche Vermögen ausgesetzt und damit die freie Verfügbarkeit der Kirchen über die Beiträge gewährleistet wurde.
Beide, Kirchensteuer und Kirchenbeitrag, sind somit "Marksteine im Prozess weg von der Staats- und hin zur Mitgliederfinanzierung der Religionsgemeinschaften", analysierte der deutsche Theologe. Beide entstanden jeweils aus der Ambition des Staates, sich aus der Kirchenfinanzierung zurückzuziehen, wenngleich die seit etwa 180 Jahren bestehende Kirchensteuer eine langsame Genese und Phase der Etablierung durchmachen konnte, während der Kirchenbeitrag vor beinahe 75 Jahren aus einer abrupten Indoktrination der Nationalsozialisten entstammte.
Dass Kirchensteuer und Kirchenbeitrag die wirklichen Ursachen für Kirchenaustritte seien, glaubt Kirchenrechtler Haering nicht: "Das tiefere Motiv liegt im zunehmenden Glaubensverlust und der Entkirchlichung der Gesellschaft, der Verlust eines Horizont der Ewigkeit. Die Kirchenfinanzierung einschließlich der jüngsten Affäre in Limburg ist hier nur ein Anlassfall."
Tagung "Kirchenfinanzierung" an der Universität Wien:
"Wenn das Geld im Kasten klingt… "
Ort: Universität Wien, HS 47, 1010 Wien, Universitätsring 1
Zeit: Freitag, 8. November 2013, 9 bis 18 Uhr; Samstag, 9. November 2013, 9 bis 13 Uhr
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