Der evangelische Bischof Michael Bünker und die Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, Schwester Beatrix Mayrhofer, sprachen im Rahmen des Gottesdienstes im Gedenken an die Novemberpogrome vor 75 Jahren. Grußbotschaft von Kardinal Schönborn.
Die Mitverantwortung der christlichen Kirchen an den Novemberpogromen von 1938 und in weiterer Folge an der gesamten Schoah stand am Samstag, 9. November 2013, im Mittelpunkt von Gedenkreden des evangelisch-lutherischen Bischofs Michael Bünker und der Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden Österreichs, Schwester Beatrix Mayrhofer. Beide äußerten sich bei einem ökumenischen Gedenkgottesdienst in der Wiener Ruprechtskirche, der zugleich den Höhepunkt der "Mechaye Hametim - Der die Toten auferweckt"-Gedenkwoche bildete.
Auch Kardinal Christoph Schönborn unterstrich in einer durch den Rektor der Ruprechtskirche, Pater Gernot Wisser SJ, verlesenen Botschaft die unleugbare Schuld der Kirche. Obwohl es einzelne Christen gegeben habe, die nach dem Gebot der Nächstenliebe handelten, müsse die Kirche in ihrer Gesamtheit ihre Schuld gegenüber der Juden, aber auch gegenüber den konvertierten "Nichtariern" klar bekennen. Außerdem habe die Kirche mit einer von Antijudaismus geprägten Theologie dem nationalsozialistischen Rassenwahn einen idealen Nährboden bereitet, so Schönborn.
Die Kirchen hätten während der NS-Herrschaft nie die richtigen Worte des Protests gefunden, so Bischof Bünker. Das Versagen seiner eigenen Kirche erfülle ihn persönlich mit tiefer Scham. Bünker rief dazu auf, niemals aufzuhören, an das Leid der Vergangenheit zu erinnern. Obwohl die Ereignisse des Jahres 1938 für viele keine persönliche Relevanz mehr hätten, müsse die Gesellschaft als Ganzes auch heute gegen jegliche Form von Antisemitismus einstehen. Aktuelle Fälle wie jener rund um die sogenannte "Objekt 21"-Gruppierung in Oberösterreich oder das Beschmieren von "Stolpersteinen" in Salzburg würden überdies zeigen, dass nationalsozialistisches Gedankengut in Österreich leider immer noch vorhanden sei, so der Bischof.
Frauenordenspräsidentin Mayrhofer bedauerte in ihrer Rede, dass auch die österreichischen Orden während der NS-Zeit weitestgehend geschwiegen hätten. Sie habe in vielen Chroniken über Repressionen gegenüber Mönchen und Nonnen gelesen, über die Verbrennung der Synagogen wurde allerdings geschwiegen, so Mayrhofer. Die Christen hätten sich durch ihr Schweigen zu Mittätern gemacht, da sie "den Mund nicht aufgemacht haben, wo es nötig gewesen wäre", so die Präsidentin der Frauenorden.
Im Anschluss an den Gedenkgottesdienst fand ein Schweigemarsch von der Ruprechtskirche zum nahegelegenen Judenplatz statt, wo die Teilnehmenden ihre Gedenklichter aufstellten und das hebräische Volkslied "Haschiwenu" anstimmten.
Der 75. Jahrestag der Reichspogromnacht geben für den Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer Anlass zu kritischen Fragen: Die Theodizée-Frage, warum Gott so etwas zugelassen hat - "Wo warst Du, Gott, als Frauen und Kinder, alte und junge Leute ermordet und in die Todeskammern geschickt wurden?" - gehe Hand in Hand mit der Rückfrage an den Menschen selbst. Wie Scheuer im Rahmen einer Gedenkveranstaltung in Innsbruck sagte, stehe man heute in großer Betroffenheit vor der Frage, "was war in der Geschichte unseres Landes, in den Köpfen und Herzen der Menschen unseres Landes, dass solche Ausgeburten des Bösen geschehen konnten?" Der Innsbrucker Bischof zitierte den jüdischen Religionsphilosophen Abraham J. Heschel, der Gottes "Adam, wo bist du?" und die zahlreichen Varianten davon als die Urfrage von Religion bezeichnete. Dieser Ruf ergehe immer wieder an den Menschen, etwa, wenn Gott den Kain fragt: "Wo ist dein Bruder Abel?" Dessen Antwort "Bin ich denn der Hüter meines Bruders?" hält Scheuer entgegen: "Die Botschaft der jüdischen und der christlichen Bibel mutet uns zu, dass wir einander aufgetragen sind, füreinander sorgen, Verantwortung tragen." Die Bibel traue den Menschen zu, dass "wir Freunde und Anwälte des Lebens sind, dass wir Lebensräume schaffen, in denen in die Enge getriebene Menschen Ja zum Leben sagen können".
Gemeinde St. Ruprecht, 1010 Wien, Seitenstettengasse 5/4
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Programmfolder 13. November: