"Ich bin sehr froh über die klaren Zeichen und Signale die Papst Franziskus hier setzt. Der Platz der Kirche ist auf der Seite der Armen", so Caritaspräsident Michael Landau.
"Ich bin sehr froh über die klaren Zeichen und Signale die Papst Franziskus hier setzt. Der Platz der Kirche ist auf der Seite der Armen", so Caritaspräsident Michael Landau.
Seit wenigen Wochen ist Michael Landau österreichischer Caritaspräsident. Was bedeutet für den Wiener Caritasdirektor diese neue Aufgabe? Wie geht es ihm, wenn er tagtäglich mit der Not von Menschen konfrontiert ist? Wie viel Rückenwind bringt Papst Franziskus für die Weltkirche?
Michael Landau im Gespräch mit Radio Stephansdom.
Herr Caritaspräsident Michael Landau, seit wenigen Wochen haben Sie diese Funktion inne, Sie bringen langjährige Erfahrung als Wiener Caritasdirektor mit. Das heißt, die Not, die Sorgen der Menschen mit denen es das Schicksal nicht so gut gemeint hat, ist Ihnen aus der täglichen Arbeit seit langem bekannt. Wie geht es Ihnen dabei?
Landau: Der Kernauftrag von Caritas ist die Hilfe von Mensch zu Mensch, von Gesicht zu Gesicht rund um die Uhr und manchmal auch rund um die Welt. Das heißt Caritas, meint Nächstenliebe ohne Wenn und Aber. Die Stärke der Caritas ist diese alltägliche Arbeit für Menschen in Not, hier in Österreich, aber auch international gesehen. Da geht es um Familien in Notsituationen, um arbeitslose Menschen, um Obdachlose aber auch um die Sorge für die Kinder, wenn ich etwa an die positive Entwicklung der Lerncafes österreichweit denke. Es geht aber auch um die Situation von Menschen, die alt und pflegebedürftig geworden sind, oder auch am Ende des Lebens in der Hospizarbeit. Das heißt, die Dinge, die da sind, zu sehen, das ist glaube ich etwas sehr Ermutigendes. Das geht quer durch alle Diözesen.
Zugleich muss man auch sagen, die Caritas ist so etwas wie ein sozialer Seismograph. Das heißt, wir sehen in der täglichen Arbeit, wo Menschen auf der Strecke bleiben, der Druck auf Menschen steigt und es für Menschen an den Rändern der Gesellschaft brüchig wird. Von daher haben wir es immer als Aufgabe gesehen und erachtet, dann auch systematische Lösungen für systematische Probleme einzufordern. Das Zweite Vatikanische Konzil gibt das der Kirche durchaus auch zur Pflicht. Wenn es etwa im Dekret über das Laienapostolat "Apostolicam actuositatem" heißt, "man darf nicht als Liebesgabe anbieten, was schon aus Gerechtigkeit geschuldet wird, man muss die Ursachen der Übel bekämpfen und nicht nur die Symptome".
Eine Metapher, die sie oft verwenden, haben sie soeben angesprochen "die Menschen an den Rändern der Gesellschaft". Wie kann eine Transformation vom Rand der Gesellschaft zu gesellschaftlichen Wegkreuzungen erreicht werden?
Landau: Das ist eine Aufgabe, die sich auf mehreren Ebenen stellt. Zunächst meine ich, haben wir auch an die Verantwortung zu erinnern, die jeder und jede einzelne für sich selbst hat. Wir tragen als Menschen für uns selbst Eigenverantwortung. Wir tragen aber auch dort Verantwortung, wo Gott uns als Christen hingestellt hat. Das fängt damit an, die Augen zu öffnen und hinzuschauen, wie geht es denn den Menschen in meiner Umgebung.
Ich selber bin Seelsorger in einem unserer Seniorenhäuser und ich weiß, wie wichtig es ist, einfach einmal anderen Menschen ein Lächeln zu schenken, an die Tür eines anderen Menschen zu klopfen und ein gutes Wort und Zeit miteinander zu teilen. Einsamkeit ist eine der großen Nöte unserer Zeit. Menschen können miteinander etwas bewegen. Da gibt es einen guten Grundwasserspiegel der Nächstenliebe und Solidarität in unserem Land. Gerade die Pfarrgemeinden sind so etwas wie Kraftwerke der Nächstenliebe und Solidarität. Da geschieht viel Gutes oft im Verborgenen. Und es geht um unsere gesamtgesellschaftliche Verantwortung.
Gerade im Rückblick auf die Wirtschafts- und Finanzkrise zeigt sich, Österreich hat diese Krise bisher vergleichsweise gut bewältigt, das hat damit zu tun, dass offensichtlich die eine oder andere Entscheidung richtig getroffen wurde. Etwa wenn es um die Sorge für arbeitslose Menschen geht, um den Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit, das zeigt der internationale Vergleich. Das ist aber auch Ausdruck dafür, dass diese österreichische Ausgestaltung des Sozialstaats sich in der Krise bewährt hat. Und dass man dies auch schützen, stärken und nicht schwächen sollte. Zum Beispiel für Familien da zu sein, die unter Druck stehen. Und dass dieser Druck steigt, sehen wir: Wenn ich an die Gruft denke, das Caritasbetreuungszentrum unter der Mariahilfer Kirche, dann haben wir vor einigen Jahren 50.000 warme Mahlzeiten ausgegeben, im vergangenen Jahr waren es 97.000. Etliche der Menschen, die zu uns kommen, haben noch eine eigene Wohnung, können sich aber das Essen nicht mehr leisten. Das sind Entwicklungen, die uns nachdenklich stimmen.
Wir sehen, dass für zunehmend mehr Menschen das Thema Wohnen und Energie zu einer wirklichen Belastung wird. Daher wird man genau schauen müssen, was tut sich im Bereich Mieten und Wohnen bei der neuen Bundesregierung. Wenn dort Pläne sind, die Mittel zur Wohnbauförderung wieder zweckzuwidmen und auch die Rückflüsse, dann kann das eine Entlastung mit sich bringen, weil die Mietkosten die Menschen bis in den Mittelstand hinein belasten.
Sparen ist ein Leitmotto in diesen Zeiten, das von politisch Verantwortlichen geprägt wird. Prinzipiell ist dies vernünftig, um den nachfolgenden Generationen nicht einen immensen Schuldenberg zu hinterlassen, was wohl moralisch, als auch finanziell ein schweres Vergehen wäre. Caritaspräsident Landau, Sie erwähnen oft, es sei nicht eine Frage des Könnens, sondern des Wollens. Wenn aber der Staatssäckel knapper gefüllt ist, wie geht sich das dann aus?
Landau: Selbstverständlich ist es richtig und wichtig, mit den vorhandenen Mitteln sparsam und wirkungsvoll umzugehen. Das ist auch die Verantwortung einer Hilfsorganisation. Auch die Caritas muss mit den Mitteln sparsam umgehen. Man muss sich ganz allgemein vor zwei Straßengräben hüten: jenen blinder Wirtschaftsangst und den blinden Wirtschaftsglaubens.
Ich denke dass von Kardinal Christoph Schönborn immer zu Recht darauf hingewiesen wird, dass Wirtschaft etwas ist, das von Menschen gemacht wird und nur dann den Menschen dient, wenn es letztlich auch für Menschen gemacht wird. Die Frage ist, nehmen wir dort, wo wir wirtschaften und wie wir wirtschaften, diese Verantwortung für den Menschen - dass es etwa Arbeit um des Menschens willen gibt und nicht umgekehrt - nehmen wir diese Verantwortung wirklich ernst? Da glaube ich geht es um die richtige Orientierung. Das ist ja etwas, das auch Papst Franziskus jetzt in seinem jüngsten Schreiben "Evangelii Gaudium" (die Freude des Evangeliums) angesprochen hat, wenn er sagt: "Es kann doch nicht sein, dass uns das Schicksal eines alten Mannes, der auf der Straße obdachlos erfriert, gleichgültig lässt, während eine Baisse, die Börsenkurse um zwei Punkte nach unten treibt, ein Thema für die Schlagzeilen darstellt."
Da glaube ich, ist schon manches aus der Balance geraten. Hier die Grenzen des Anständigen wieder neu zu buchstabieren, die Balance neu zu suchen, und wirklich zu sagen, es geht uns erst dann gut, wenn es auch den Schwächsten bei uns gut geht, das gilt es wirklich einzumahnen.
Eine Botschaft, die Papst Franziskus immer begleitet, ist sein Wunsch nach einer "Kirche der Armen". Ist durch den neuen Papst auch Rückenwind für die Tätigkeit der Caritas gekommen?
Landau: Ich bin sehr froh über die klaren Zeichen und Signale die Papst Franziskus hier setzt. Der Platz der Kirche ist auf der Seite der Armen. Das ist durchaus auch etwas, das in der Vergangenheit immer wieder gesagt und unterstrichen worden ist. Wenn sein Vorgänger Benedikt XVI. in der Enzyklika "Deus caritas est" (Gott ist die Liebe) festgehalten hat, dass die Caritas für die Kirche nicht eine Wohlfahrtsaktivität ist, sondern ein Wesensausdruck ihrer selbst. Sozusagen nicht nur ein Freifach für Neigungsgruppen, sondern ein Pflichtgegenstand.
Mir fällt auf, dass Papst Franziskus das mit einer großen Vehemenz und auch mit sehr starken Zeichen und Symbolen tut, wenn er zur Fußwaschung in ein Gefängnis geht. Wenn er nach Lampedusa reist, wo sich keine Politiker hintrauen und sagt: "Was hier geschieht, ist eine Schande für Europa." Wenn in den vergangenen 25 Jahren dort 20.000 Menschen in der Hoffnung auf Zukunft ertrunken sind, dann dürfen wir nicht schweigen. Da muss uns als Europa etwas Besseres einfallen, als die Grenzschutzagentur Frontex zu stärken und die Zäune höher zu machen. Das ist ein Gedanke, der immer wieder auch in der Vergangenheit etwa von Kardinal Franz König geäußert worden ist, wenn er sagt: "Wir leben auf einer Insel, früher hieß sie Österreich, dann Europa, heute umfasst sie die ganze Welt." Diese Aufmerksamkeit über die Grenzen hinaus, das ist etwas, das der Papst unterstreicht. Das ist uns auch als Caritas wichtig und kostbar.
Die prominenteste Flüchtlingsfamilie der Geschichte ist wohl die Heilige Familie. Sie erinnert uns zu Weihnachten an Flüchtlinge heutzutage. Machen wir einen Blick ein Jahr zurück, da begann die Situation mit den in die Votivkirche geflüchteten Menschen. Was sagen uns diese Flüchtlingsschicksale heute, was läuft da falsch?
Landau: Die Flüchtlinge in der Votivkirche haben viele Menschen irritiert, auch mich. Faktum ist, mir sind dort Menschen in einer sehr verzweifelten Situation begegnet, die zum Teil schon Jahre durch Europa geirrt sind. Verzweiflung ist oft kein guter Ratgeber im öffentlichen Handeln. Wahr ist aber auch, die Flüchtlinge haben hier auf Themen hingewiesen, die uns auch als Caritas beschäftigen. Wenn etwa jüngst wieder über die Qualität der Einrichtungen der Grundversorgung öffentlich diskutiert worden ist, dann macht das ein vorhandenes Problem deutlich. Es gibt ordentliche Quartiere, aber bis heute auch Quartiere, die den minimalen Qualitätsansprüchen nicht genügen, hinsichtlich der Räume, wo es schimmelig an den Wänden ist, hinsichtlich der Lage, wo nichts erreichbar ist, hinsichtlich der Betreuung, die zum Teil qualitätsvoll und durch erfahrenes Personal erfolgt, aber an anderen Orten überhaupt nicht vorhanden ist. Hier zu einheitlichen Qualitätsstandards zu kommen, die der Menschenwürde, die jeder Mensch hat, entsprechen, das ist schon etwas, das wir als Caritas aus unserer täglichen Erfahrung immer wieder fordern.
Mich hat gefreut, dass die Landesflüchtlingsreferenten diese Punkte bei einem Treffen vor kurzem unterstrichen haben. Es geht aber auch darum, für sich selber zu sorgen. Menschen auf der Flucht sind heute zum Teil jahrelang zum Nichtstun gezwungen, da werden Menschen lange Zeit ihres Lebens im Wartesaal ihres Lebens gehalten. Die Menschen wollen einen Beitrag leisten. Sie könnten etwas selbst tun, aber sie dürfen es nicht. Das verstehen ja auch viele in der Umgebung nicht. Mich freut, dass in Salzburg seit kurzem Flüchtlinge für Aufgabenbereiche der Stadtverwaltung eingesetzt werden und das funktioniert bestens.
Wie gelingt Ihnen, Ihren Blick von der Wienperspektive auf die österreichische Weite zu legen?
Landau: Es ist ein besonderes Privileg, mit der Aufgabe, die ich nun habe, auch bundesweit zu sehen, an wie vielen Stellen, Kirche und Caritas lebendig ist und wie viel Potential da ist. Wenn ich etwa an die "youngCaritas", die Jugendarbeit der Caritas denke: Je mehr ich mich umsehe, desto klarer ist für mich, eine Generation von Egoisten sieht anders aus. Wenn man Jugendliche aufruft, Lebensmittel zu sammeln für Menschen in Not, dann ist das Echo ungeheuer groß. Wenn ich an das "Laufwunder" oder an die "72 Stunden ohne Kompromiss" denke, wo Jugendliche sich handfest für andere Menschen engagieren, da gibt es ein großes Potential.
Die Caritas beschäftigt österreichweit nicht nur viele hauptamtliche Mitarbeiter, sondern auch 35.000 Freiwillige, das zeigt, es gibt Bereitschaft sich für andere einzusetzen. Das ist heute auch ein Stück, wo Kirche erfahrbar wird, ein Stück Verkündigung ohne viele Worte machen zu müssen. Menschen spüren, es kommt auch auf sie an und sie spüren, miteinander können wir etwas verändern. Wir haben das als Caritas vor ein paar Jahren in die Kurzformel gebracht: "Liebe beginnt mit Dir". Jede und jeder Einzelne von uns kann dort, wo sie, wo er steht, wirklich etwas bewegen und verändern. Caritas hat für mich auch mit diesem Ziel zu tun, Welt zu gestalten, zu verändern, die Welt in der wir leben auch ein Stück menschenfreundlicher zu machen.
Was bedeutet es, dass mit Ihnen wieder ein Priester an der Spitze der österreichischen Caritas steht?
Landau: Es geht nicht darum, ob ein Priester oder ein Laie, eine Frau oder ein Mann dieses Amt innehat, sondern darum, wie gelingt es uns, diese Arbeit der Caritas, heute und hier möglichst gut zu leisten. Für die Menschen da zu sein und die Nöte der Zeit, wenn es notwendig ist, auch zu benennen.
Ich erinnere an Prälat Leopold Ungar, der einmal gesagt hat: "Christus hat die Kirche nicht zum Ja sagen gestiftet, sondern als Zeichen des Widerspruchs." Damit hat er deutlich gemacht, wir dürfen dort nicht schweigen, wo Menschen Unrecht geschieht, aber er ist ebenso einer gewesen, der darauf gedrängt hat, dass die Arbeit der eigentliche Fokus der Caritas ist.
Wir haben nicht den Auftrag, uns ständig in gesellschaftspolitische Diskussionen einzumischen. Wir müssen uns dort zu Wort melden, wo es notwendig ist, aber zunächst ist unsere Stärke das, was wir Tag für Tag tun. Darum gibt es uns, und das ist der Kern, wofür wir einstehen.
Das vollständige Interview auf Radio Stephansdom:
Seit Ende November hat der Wiener Caritasdirektor Michael Landau auch das Amt des österreichischen Caritaspräsidenten inne. Themen eines Radio Stephansdom-Adventgesprächs mit Landau umfassen die Armutssituation in Österreich, das ehrenamtliche Engagement in den Pfarren, sowie Papst Franziskus, der immer wieder von einer Kirche der Armen spricht.
Mittwoch, 18. Dezember 2013, 19.00-19.25 Uhr.
Eine Sendung von Stefan Hauser.
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