"Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt!"
Manchmal tut es gut, die großen Worte unseres Glaubens mit ganz neuen Ohren zu hören, als würden sie uns zum ersten Mal gesagt, so Kardinal Christoph Schönborn.
"Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt!"
Manchmal tut es gut, die großen Worte unseres Glaubens mit ganz neuen Ohren zu hören, als würden sie uns zum ersten Mal gesagt, so Kardinal Christoph Schönborn.
Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium, am 19. Jänner 2014
Bei dem Wort "Lamm" kommt mir immer eine Erinnerung an meine nun schon weit zurück liegende Studentenzeit. Es war ein Ostersonntag, und ich war zu einem Abendessen in einem ziemlich feinen Restaurant eingeladen. Die Speisekarte in der Hand sagte der, der uns eingeladen hatte: "Was sollen wir bestellen? Es ist Ostern. Ich nehme Lamm!" Ja, zu Ostern passt das Lamm. Drei Wochen später wurde der Gastgeber ermordet. Als ich die Nachricht erhielt, kam mir sofort seine Bestellung in den Sinn: Ostern, das Lamm! Und nun die brutale Gewalt, die schrecklichen Dinge dieser Welt.
Das Lamm – ein Bild der Wehrlosigkeit, ein Symbol der Unschuld, aber auch der Ohnmacht. Lämmer werden geschlachtet, ihr Fleisch ist beliebt, zart, es passt gut zu einem Festmahl. So war es damals, beim Osteressen im Restaurant.
Und nun soll genau dieses Tier, das in seiner Schwäche etwas Rührendes hat, ein so gewaltiges Werk darstellen: Das ganze Gewicht der Sünde dieser Welt soll es wegtragen. Ein kleines Lamm – beladen mit der Riesenlast alles Bösen dieser Welt! Wer die religiöse Sprache der Kirche gewohnt ist, wird kaum von diesem Bild erschüttert sein. In jeder Messe wird es gebracht, wenn der Priester die Hostie hochhält und genau die Worte des Johannes des Täufers wiederholt: "Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinweg nimmt!"
Manchmal tut es gut, die großen Worte unseres Glaubens mit ganz neuen Ohren zu hören, als würden sie uns zum ersten Mal gesagt. Wie überraschend, wie seltsam klingt dann auf einmal ein solcher Satz. Wie gewaltig erscheint uns dann dieser Gegensatz: Ein schwaches, kleines Schaf, ein Lamm auf der einen Seite, ein unfassbares Gewicht auf der anderen Seite: Alles, wirklich alles, was es an Bosheit in dieser Welt gibt. Wie soll ein Lamm eine solche Aufgabe bewältigen?
Johannes hat dieses Wort über Jesus gesagt. Er hat Jesus nicht einfach als Lamm bezeichnet, sondern als Lamm Gottes. Verstanden die Leute, die mit ihm waren, was er da sagte? Einer von ihnen war ein junger Mann, der auch Johannes hieß. Er ist damals durch seinen Lehrer, den Täufer Johannes, auf Jesus neugierig gemacht worden. Er ist, mit einem zweiten, der Andreas hieß, Jesus nachgegangen, sie haben Jesus kennengelernt und sind bei ihm geblieben. Viel später, als Johannes schon alt war, hat er diese geheimnisvollen Worte in seinem Evangelium festgehalten. Viele Jahre der Lebens- und Glaubenserfahrung lagen dazwischen.
Jesus war inzwischen "wie ein Lamm geschlachtet worden", wehrlos am Kreuz gestorben. Die meisten seiner Anhänger hatten das gleiche Schicksal erlitten. Was hat Jesus damit erreicht? Gibt es nicht weiter Gewalt, Mord und Totschlag in unserer Welt? Ja, es gibt sie immer noch. Aber eines hat Jesus bewirkt: Menschen zu bewegen, statt auf die Gewalt auf die Güte zu setzen, statt auf den Hass auf die Versöhnung. Und tausendmal hat sich gezeigt: Nur die Liebe schafft es gegen die Macht des Bösen. Denn sie ist stark wie das Lamm!
In jener Zeit sah Johannes der Täufer Jesus auf sich zukommen und sagte: Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. Er ist es, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der mir voraus ist, weil er vor mir war. Auch ich kannte ihn nicht; aber ich bin gekommen und taufe mit Wasser, um Israel mit ihm bekannt zu machen. Und Johannes bezeugte: Ich sah. dass der Geist vom Himmel herabkam wie eine Taube und auf ihm blieb. Auch ich kannte ihn nicht; aber er, der mich gesandt hat, mit Wasser zu taufen, er hat mir gesagt: Auf wen du den Geist herabkommen siehst und auf wem er bleibt, der ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft. Das habe ich gesehen. und ich bezeuge: Er ist der Sohn Gottes.