Gedanken von Kardinal Christoph Schönborn zum Evangelium am Sonntag, 27. April 2014.
Auf allen meinen Reisen habe ich es gesehen: das Bild vom "Barmherzigen Jesus": in Afrika, in Asien, in Lateinamerika. Es hängt bei mir in der Küche. Und auch im Stephansdom hat es seinen Platz gefunden. Manche finden, dieses Bild sei etwas kitschig. Mag sein. Es ist sicher nicht das Werk eines großen Meisters der Malkunst. Aber es spricht viele, unzählige Menschen an. Und es hat zu tun mit dem heutigen Sonntag. Seit dem Jubiläumsjahr 2000 heißt dieser Sonntag nach dem Ostersonntag in der katholischen Kirche auch "Sonntag der Barmherzigkeit". So hat es Papst Johannes Paul II. bestimmt, der heute in Rom heiliggesprochen wird, zusammen mit Papst Johannes XXIII.
Dahinter steht die außerordentliche Geschichte einer ganz einfachen Ordensfrau, Schwester Faustyna Kowalska (1905-1938). Sie lebte unauffällig in ihrem Kloster nahe Krakau in Polen, als Köchin, Gärtnerin, Pförtnerin. Aber sie hatte ein tiefes, reiches inneres Leben, eine besondere Nähe zu Jesus. Von ihm erhielt sie Aufträge, Botschaften, die sie vorerst einfach in ihr Tagebuch schrieb. Sie kreisen alle um ein Thema: "Sag den Menschen, dass meine Barmherzigkeit ohne Grenzen ist!" Ermutige sie, dass sie vor mir, Jesus, keine Angst haben sollen, dass sie mir immer vertrauen können. Und Jesus bat sie, sie möge ein Bild malen lassen, das diese unerschöpfliche Barmherzigkeit zum Ausdruck bringen soll. So entstand eben dieses Bild vom Barmherzigen Jesus, das inzwischen in der ganzen Welt verehrt wird.
Schwester Faustyna wurde von Papst Johannes Paul II. am heutigen Sonntag des Jahres 2000 heiliggesprochen, als erste Heilige des neuen Jahrtausends. Ihr schlichtes "Tagebuch" gehört inzwischen zu meinen Lieblingsbüchern. Ich finde darin viel Trost, Hilfe für meinen Alltag, Mut zum Vertrauen in die Barmherzigkeit Jesu. Denn ich weiß, wie sehr ich selber, wie sehr wir Menschen auf die Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind, und wie sehr die Welt heute auch unserer gegenseitigen Barmherzigkeit bedarf.
Aber was hat das alles mit dem Evangelium vom "ungläubigen Thomas" zu tun? Mich tröstet am heutigen Evangelium zuerst, dass Jesus seinen Jüngern keinerlei Vorwürfe macht, obwohl sie sie verdient hätten. Kein: "Warum seid ihr alle davon gelaufen und habt mich in meiner Not am Kreuz allein gelassen?" Statt dessen nur: "Friede sei mit euch!" Und dem Zweifler Thomas, der nur glauben will, was er sehen und angreifen kann, kommt Jesus mit Güte und Geduld entgegen: "Sei nicht ungläubig, sondern gläubig." Und Thomas findet zu dem Wort voller Vertrauen: "Mein Herr und mein Gott."
Unter dem Bild vom Barmherzigen Jesus steht immer der einfache Satz: "Jesus, ich vertraue dir!" Dazu will der heutige "Sonntag der Barmherzigkeit" einladen.
Am Abend des ersten Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuten sich die Jünger, dass sie den Herrn sahen. Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert. Thomas, genannt Didymus - Zwilling -, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht die Male der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in die Male der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht. Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder versammelt, und Thomas war dabei. Die Türen waren verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch! Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger aus - hier sind meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete ihm: Mein Herr und mein Gott! Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Noch viele andere Zeichen, die in diesem Buch nicht aufgeschrieben sind, hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan. Diese aber sind aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.