Erst jetzt werden die Schäden sichtbar. Viele Häuser müssen abgerissen werden. Zu groß ist die Zerstörung an der Bausubstanz. "Wir haben alles verloren", so die Bewohner.
Erst jetzt werden die Schäden sichtbar. Viele Häuser müssen abgerissen werden. Zu groß ist die Zerstörung an der Bausubstanz. "Wir haben alles verloren", so die Bewohner.
Lokalaugenschein in Serbien, das vor drei Wochen vom schlimmsten Hochwasser seit 120 Jahren heimgesucht wurde.
Von außen betrachtet sieht das Haus der Familie Simic in einem Vorort der Stadt Obrenovac in Serbien wie jedes andere aus. Nur eine Schmutzlinie auf etwa fünf Metern Höhe an der Außenfassade und ein Müllberg mit kaputten Möbeln und Elektrogeräten vor dem Gartentor erinnern an das Jahrhunderthochwasser, das die Stadt vor drei Wochen heimgesucht hat. Familie Simic ist eine von tausenden Familien in Serbien, die durch die Katastrophe alles verloren haben.
In den frühen Morgenstunden des 14. Mai seien die Wassermassen gekommen. "Es war wie ein Tsunami", erzählt Shezana Simic. Eine 1,5 Meter hohe Wasserwalze habe sich auf den kleinen Vorort zubewegt. Innerhalb von fünf Minuten sei der erste Stock unter Wasser gestanden. "Dann haben die Sirenen begonnen zu heulen", schildert Shezana Simic den Beginn der Hochwasserkatastrophe, von der in Serbien über 1,6 Millionen Menschen betroffen sind. Die Mutter konnte sich mit ihren beiden Kindern Nikola und Ivana und ihrem Mann Neboijsa nur knapp vor den Fluten retten. Außer den Kleidern, die sie am Körper trugen, ist ihnen nichts geblieben.
Drei Wochen später konnten die Simic zum ersten Mal in ihr Haus zurückkehren. Die Sonne scheint und von den Fluten ist nichts mehr zu sehen. Zurückgeblieben ist lediglich eine Art Schmutzlinie auf fünf Metern Höhe an der Außenfassade und die Zerstörung, die die Flutmassen an der Bausubstanz und im Inneren des Hauses angerichtet haben. Erst jetzt werden die wirklichen Schäden offenbar. "Wir haben im Grunde alles verloren", so Shezana. Auch das Haus muss abgerissen werden. Zu groß ist die Zerstörung an der Bausubstanz.
Der entstandene Schaden wird alleine in Serbien auf rund eine Milliarde Euro geschätzt. Genaue Zahlen gibt es aber noch nicht, da viele der Orte bis vor kurzem noch unzugänglich waren, erklärt Caritas-Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner, der kürzlich auf Lokalaugenschein vor Ort war.
Familie Simic wohnt in Slivice, jenem Teil Obrenovacs, den es am schlimmsten getroffen hat. 98 Prozent des Vorortes wurden überflutet, die Wassermassen standen zu Spitzenzeiten fünf Meter hoch. "Die Fluten haben aus einem Paradies pures Chaos gemacht", erzählt Shezana, mit Tränen ringend. 60.000 der rund 72.000 Einwohner Obrenovacs mussten evakuiert werden. 25.000 davon sind noch immer in von der Regierung bereit gestellten Notunterkünften in Belgrad untergebracht. Die anderen sind bei Verwandten und Freunden untergekommen.
Der Großteil der betroffenen Gebiete gehört zur Erzdiözese Belgrad. Die Mitarbeiter der Caritas Serbien sind in vielerorts die einzigen Ansprechpartner, etwa für Ljuba Nikolic. Zwei Paar Schuhe, eine Matratze, einen Griller, Lebensmittel und Hygieneartikel hat sie bis jetzt erhalten - alles von der Caritas. Die staatliche Hilfe konzentriere sich vor allem auf medienwirksame Auftritte in den großen Städten. "In die abgelegenen Orte kommt niemand", kritisierte die Serbin. Ihr Haus ist von den Fluten größtenteils zerstört worden. Nur die obere Etage kann noch genutzt werden. Dort hatte die Familie eine ganze Nacht mit ihrem Sohn und ihrem Ehemann während der Fluten ausgeharrt, bis sie mit Booten von Einsatztruppen evakuiert wurden.
Innerhalb des nächsten Monats soll an 7.000 betroffene Familien 75 Tonnen Lebensmittel, Hygieneartikel und Nutztierfutter von der Caritas Serbien verteilt werden. 360.000 Euro davon kommen aus Österreich. "Ohne die internationale Hilfe hätten wir das nie bewerkstelligen können" betonte der Präsident der Caritas Serbien Stanislav Hocevar, zugleich Erzbischof Belgrads. Von den Caritas-Zentren aus werden die Hilfsgüter direkt zu den Menschen gebracht.
Die meisten der Betroffenen wollen wieder in ihre Häuser zurück. Im Garten der Familie Vujanovic liegen bereits die ersten Fliesen und Betonsäcke. Wie lange die Reparatur- und Aufräumarbeiten dauern werden, vermag keiner zu sagen. "Wir wissen einfach nicht, wieviel oder was wir von der Regierung bekommen werden", so Dalibor Vujanovic. Eine Zusatzversicherung, die Schäden abdeckt, haben nur die wenigsten. Das Durchschnittseinkommen in Serbien liegt bei rund 400 Euro. "Da bleibt kein Geld für teure Versicherungen." Viele der Menschen sind zudem arbeitslos oder in Pension und müssen mit rund 200 Euro pro Monat auskommen.
Die Caritas will die Menschen nach der ersten Akutphase auch bei den Wiederaufbauarbeiten unterstützen. "Wir rechnen damit, dass diese mindestens sechs Monate dauern werden", sagt Erzbischof Hocevar. In den nächsten Tagen soll die Bestandsaufnahme der Schäden erfolgen, um die nötigen Hilfsmittel einschätzen zu können. "Wir wissen aber, dass wir nicht allen helfen können, wollen aber so viele Menschen als möglich erreichen."
Bei der Unterstützung der Menschen arbeitet die Caritas eng mit dem serbisch-orthodoxen Hilfswerk "Philanthropy" zusammen. Auf lokaler Ebene organisiert die Organisation Hilfstrupps für ältere Menschen und Nahrungs- und Reinigungsmittellieferungen an Haushalte vor allem im ländlichen Gebiet. Yasminka Vukmirovic ist 61. Ohne die Hilfe der "Philanthropy"-Voluntäre könnte sie die Aufräumarbeiten in ihrem Haus nicht bewerkstelligen.
Auch wenn die Katastrophe große Wunden in der Landschaft und der Seele der Menschen hinterlassen hätte, müsse man in ihr auch eine Chance sehen, betont Erbischof Hocarev. Noch nie zuvor sei die Solidarität zwischen den Menschen und den Ländern so sichtbar und stark gewesen wie bei dieser Flutkatastrophe. An einer besseren Zukunft gilt es nun gemeinsam zu bauen.
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