"Es gibt keine Barmherzigkeit ohne Wahrheit. Aber Wahrheit ohne Barmherzigkeit ist grausam. Darum ist es so wichtig, bei Versöhnungsprozessen Wahrheit und Barmherzigkeit zu verbinden", so Kardinal Schönborn.
"Es gibt keine Barmherzigkeit ohne Wahrheit. Aber Wahrheit ohne Barmherzigkeit ist grausam. Darum ist es so wichtig, bei Versöhnungsprozessen Wahrheit und Barmherzigkeit zu verbinden", so Kardinal Schönborn.
Wiener Kardinal war Hauptreferent des dritten World Apostolic Congress on Mercy in Kolumbien.
Rund 1.500 Gläubige aus allen Kontinenten sind bis Dienstag, 19. August 2014, im kolumbianischem Millionenmetropole Bogota zum dritten Apostolischen Weltkongress der Barmherzigkeit (WACOM) versammelt. Im Fokus des sechstägigen Kongresses, an dem auch eine Pilgergruppe aus Österreich mit Kardinal Christoph Schönborn teilnimmt, steht die Bedeutung der Barmherzigkeit für die missionarischen Bemühungen der Kirche und, damit einhergehend, für die gesamte Gesellschaft. Zusätzliche Aktualität gewinnt das Kongressthema mit Blick auf die Bemühungen um einen nachhaltigen Friedensprozess im bürgerkriegsgezeichneten Kolumbien.
Die Veranstaltung solle auch eine "Plattform für die Heilung der Wunden des bewaffneten Konfliktes" zwischen der Regierung und den Guerilla-Einheiten werden und auf die Armut vieler Menschen Antworten geben, hatten die kolumbianischen Bischöfe im Vorfeld des Kongresses bekundet. Kardinal Schönborn unterstrich in seinem Hauptvortrag vor den Teilnehmern des Barmherzigkeitskongresses am Freitag, 15. August 2014, er bete und hoffe, dass das Treffen etwas zum Weg der Versöhnung in Kolumbien beitragen könne.
Barmherzigkeit schließe die Gerechtigkeit mit ein, so Kardinal Schönborn in seinem Vortrag. Er brachte das Beispiel der tausenden Flüchtlinge aus Afrika vor Europas Grenzen: "Haben wir im reichen Europa vergessen, dass die Not in Afrika auch ein Teil unseres Wohlstands ist? Dass die Armut in Afrika auch der Preis für den Reichtum Europas ist? Europa gibt beschämend wenig für die Entwicklungshilfe in Afrika und macht beschämend hohe Gewinne an den Reichtümern Afrikas. Es gäbe nicht so viele Flüchtlinge aus Afrika, gäbe es mehr Gerechtigkeit für die Völker Afrikas. Die Menschen müssten nicht aus Not und unter Lebensgefahr ihre afrikanischen Heimatländer verlassen, wenn ihre Lebensbedingungen zu Hause gerechter wären. Die Barmherzigkeit mit den Bootsflüchtlingen, die in Lampedusa landen, wenn sie nicht vorher ertrunken sind, ist zuerst eine Frage der Menschlichkeit. Jeder Mensch in Not braucht und verdient Mitgefühl und Hilfe. Die Barmherzigkeit mit den Menschen, die in Lampedusa Europa zu erreichen suchen, ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, da Europa ihnen die Lebenschancen geraubt hat, die es ihnen ermöglicht hätten, in ihrer Heimat ein gutes Leben zu leben." Barmherzigkeit könne manche Wunden heilen, die Ungerechtigkeit geschlagen habe.
Anhand es Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) zeigte Kardinal Schönborn den oft hohen Preis der Barmherzigkeit auf: "Der Vater verzeiht ihm nicht nur, dass er seinen Erbteil, also einen Teil des Familienvermögens, verschleudert hat. Er ist nicht nur barmherzig mit den Fehlern und Sünden des Jüngeren, sondern er setzt ihn wieder voll und ganz als Sohn ein, also auch mit dem Erbrecht! Das aber bedeutet für den Älteren Sohn, der treu zu Hause geblieben ist, der stets fleißig gearbeitet hat, der sich bemüht hat, den Betrieb, die Finca des Vaters gut zu führen und zu fördern, dass er jetzt auf einmal den Bruder wieder als Miterbe hat. Er muss also seinen Teil des Erbes mit diesem Bruder teilen, der das Vermögen des Vaters 'mit Dirnen durchgebracht hat'. Für ihn, den älteren, 'braven' Bruder, bedeutet die Barmherzigkeit des Vaters einen hohen Preis. Der Vater sagt ihm, er solle sich doch freuen, dass sein Bruder, der 'tot war, wieder lebt'. Ich kann verstehen, dass der Ältere wütend ist. Die Barmherzigkeit des Vaters kostet ihn viel, im ganz wörtlichen Sinn. Sie kostet ihm quasi die Hälfte seines Vermögens."
Es stelle sich die Frage was wichtiger sei, Geld und Besitz, oder dass der verlorene Bruder gerettet war, so Schönborn.
In manchen Ländern, so der Wiener Erzbischof, sei die Kirche in den letzten Jahren durch einen sehr schmerzhaften Reinigungsprozess gegangen, auch in seiner Heimat Österreich: "Der Skandal des Missbrauches von Minderjährigen durch Priester. Die Medienberichte über dieses Thema haben viele Menschen zu Recht empört und haben das Vertrauen in die Kirche bei Vielen erschüttert. Wir haben als Bischöfe versucht, ganz entschieden einen Weg der Wahrheit und der Buße zu gehen. Jesus Wort hat uns geleitet: 'Die Wahrheit wird euch frei machen' (Joh 8,32). Wir haben schmerzlich lernen müssen: eine Barmherzigkeit, die die Wahrheit versteckt oder vertuscht, ist keine echte Barmherzigkeit. Im Gegenteil: Es ist ein Werk der Barmherzigkeit, die Wahrheit zu sagen und ans Licht zu bringen. Aber nicht im Sinne des 'Enthüllungsjournalismus', der die Anderen an den Pranger stellt, sie bloßstellt und nur anklagt. Wieder zeigt uns Jesus selber, wie wir Wahrheit und Barmherzigkeit verbinden sollen."
Kardinal Schönborn ging im weiteren auf die Begegnung Jesu mit der Frau am Jakobsbrunnen (Johannes 4) ein und darauf wieviel Leid, durch das Geredet und Getratsche der Menschen verursacht werde. "Wieviel Leid, wieviel Böses geschieht durch das üble Reden?"
Das "Vertuschen" der Wahrheit mache krank und zerstöre die Kommunikation, so Schönborn. Jesus spreche aber nicht "von oben herab", sondern von Mensch zu Mensch und so stelle die Wahrheit nicht bloß, sondern die Menschen können sie annehmen. "Es gibt keine Barmherzigkeit ohne Wahrheit. Aber Wahrheit ohne Barmherzigkeit ist grausam. Darum ist es so wichtig, bei Versöhnungsprozessen Wahrheit und Barmherzigkeit zu verbinden."
Im Laufe des III. Kongress der Göttlichen Barmherzigkeit werden Zeugnisse von Menschen zu hören sein, so Schönborn, die in ihrem Leben ganz konkrete Erfahrungen der Barmherzigkeit gemacht hätten. Diese seinen für ihn immer sehr überzeugend: "Wir spüren ganz deutlich: nur so geht’s! Nur durch die gelebte Barmherzigkeit kann Frieden kommen, Versöhnung geschehen, Vergebung erfahren werden."
Gleichzeitig sei da ein Widerstand in einem selbst, erläuterte der Wiener Erzbischof. "Ist Barmherzigkeit nicht Schwäche? Was wenn wir zu viel von der Barmherzigkeit Gottes sprechen? Wird dann nicht die Gefahr groß, dass Fehler leichtfertig entschuldigt werden, dass Sünden nicht mehr ernst genommen werden?" Jesus selbst sei dieser Kritik ausgesetzt gewesen. "Jesu Antwort ist für uns bis heute eine große Herausforderung: 'Nicht die Gesunden brauchen den Arzt, sondern die Kranken. Darum lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten' (Mt 9,12-13)."
Es gehöre oft mehr Mut dazu barmherzig zu sein, so Schönborn, als Gerechtigkeit um jeden Preis zu fordern. Barmherzigkeit sei der Weg, den Gott selbst beschritten habe, als er aus reiner Barmherzigkeit Mensch geworden ist und aus noch größerer Barmherzigkeit für uns gestorben ist. "Die Barmherzigkeit Gottes in die Welt zu bringen war und ist Seine Sendung. Sie ist daher auch die Mission seiner Jünger. Sie ist die Mission der Kirche", so Kardinal Schönborn abschließend.
Mehrere Vortragende berichten, in welcher Form sie Gottes Barmherzigkeit am eigenen Leib erfahren haben.
In Bogota legten etwa der kolumbianische Kardinal Ruben Salazar, ein in der Arbeit mit den Kriegsopfern beteiligter Rechtsanwalt der Versöhnungskommission und eine Vertreterin der Opferverbände dar, was Barmherzigkeit in ihrer Lebensrealität bedeutet. Weitere Zeugnisse, abseits der Thematisierung des Friedensprozesses, kamen unter anderem von der thailändischen Finanzmanagerin Mary Sarindhorn, die einst unschuldig eines Verbrechens angeklagt wurde, und der italienischen Ex-Pornodarstellerin Claudia Koll, die in ihrer Karriere eine deutliche Kehrtwende erfuhr, zum Glauben kam und seither als Missionarin tätig ist.
Die Idee zu den Barmherzigkeits-Weltkongressen entstand nach dem Tod von Papst Johannes Paul II., der die Barmherzigkeit zum Grundsatz der Evangelisierung machen wollte. Der diesjährige Kongress läuft noch bis 19. August. Zu einem großen Gottesdienst am Sonntag werden bis zu 10.000 Gläubige erwartet.
Wortlaut des Vortrag von Kardinal Christoph Schönborn, am Samstag, 16. August 2014, in Bogota: Barmherzigkeit und Mission
Resümee von Kardinal Schönborn über die ersten Tage in Bogota zum nachhören.
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Kardinal Christoph SchönbornSeine Texte, Predigten und Vorträge. |
Informationen zum WACOM in vier Sprachen unter: www.wacomcolombia.org