Unter der Leitung von Otto Neubauer disktuierten der steirische Caritasdirektor Franz Küberl und Schriftsteller Robert Menasse.
Unter der Leitung von Otto Neubauer disktuierten der steirische Caritasdirektor Franz Küberl und Schriftsteller Robert Menasse.
Grazer Caritasdirektor Küberl und Schriftsteller Menasse diskutierten im WUK bei einer Veranstaltung der Akademie für Evangelisation zum Thema "Scheitert Europa?"
Wenn das Projekt der europäischen Integration Zukunft haben soll, ist der Aufbau einer Sozialunion unerlässlich, "sonst wird es dieses Europa nicht geben". Das betonte der Grazer Caritasdirektor Franz Küberl bei einer Diskussion zum Thema "Scheitert Europa? Eine Gesellschaft ohne Utopie" am Dienstagabend, 2. Dezember 2014 in Wien. Der Einladung der Akademie für Dialog und Evangelisation ins WUK war auch der Essayist und Schriftsteller Robert Menasse gefolgt.
Franz Küberl bezeichnete es als eine Frage der Fairness, innerhalb der EU vergleichbare Standards an sozialer Sicherheit zu etablieren. Das Problem dabei: Ärmere Länder, denen dies auferlegt werde, würden immer behaupten, das sei Protektionismus. Küberl sieht es als einen großen "Konstruktionsfehler" der Union, dass der soziale Aufschwung auf diese Weise nicht zustande komme.
Als vorrangige soziale Herausforderung in Europa sieht der Caritas-Vertreter die derzeit enorme Jugendarbeitslosigkeit: "Wenn man die nicht überwindet, wird man die Seele Europas nicht finden." Weitgehend ungelöst sei auch die Frage der Roma. 15 Millionen Menschen würden in ihren Gesellschaften oft mit Gewalt "ganz unten gehalten". Doch die meisten Staaten mit Roma-Bevölkerung würden jegliche Probleme leugnen, kritisierte Küberl.
Als Kniefall vor den Interessen von Großkonzernen betrachtet Küberl die Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP. Die Hauptsorge dabei sei offenbar, wie man Unternehmen und ihre Investitionen schützen könne, wenn es in einem Staat zu politischen Änderungen kommt. Wenn dieselben Konzerne zum Beispiel im Kongo Kobalt schürfen würden, sei es aber weder in Europa noch bei den Verhandlungen mit den USA ein Thema, ob diese Unternehmen dann vielleicht im Kongo Steuern zahlen und in die Infrastruktur investieren müssen, empörte sich Küberl. Genau das wäre aber ein wesentlicher Beitrag zur Entwicklungspolitik und würde sicher nicht die Verarmung der Konzerne, sondern humanere Arbeits- und Lebensbedingungen in den armen Staaten bedeuten.
Robert Menasse, dessen jüngste Buchveröffentlichung dem Projekt Europa galt ("Der Europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas oder Warum die geschenkte Demokratie einer erkämpften weichen muss"), erinnerte an das Anliegen der EU-Gründergeneration. Damalige Politiker wie Robert Schumann, Konrad Adenauer und Alcide De Gasperi hätten unter dem Eindruck erlebter Kriegskatastrophen nachhaltigen Frieden dadurch schaffen wollen, "den Nationalismus als die Ursache aller europäischen Kriege der Moderne zu überwinden".
Heute sitzen - so Menasse - national gewählte Regierungschefs im europäischen Rat, die diese Grundidee eines gemeinsamen Europa nicht mehr kennen oder ignorieren würden. Laut dem Literaten gibt es in Europa ein "Buddenbrooks-Prinzip", das besage: "Eine Generation gründet etwas, die zweite etabliert es und baut es aus, und die dritte fährt es an die Wand." Menasse schätzt die Möglichkeit, dass das europäische Einigungsprojekt "grotesk scheitert", als bedrohlich hoch sein.
Seine Hoffnungen setze er in die "Erasmus-Generation", für die ein Europa-Bewusstsein schon viel selbstverständlicher sei. Es brauche "transnationales" Denken, denn die heute zu lösenden Probleme seien ebenfalls transnational. Entscheiden ist auch aus der Sicht Menasses die soziale Gerechtigkeit. Ohne sie werde das Friedensprojekt Europa nicht funktionieren können.
Akademie für Dialog und Evangelisation: