Prof. Ingeborg Schödl: Burjan ist ein Beispiel für Frauensolidarität.
Prof. Ingeborg Schödl: Burjan ist ein Beispiel für Frauensolidarität.
Eine neu errichtete Gedächtnisstätte im Stephansdom erinnert seit 11. Juni an Hildegard Burjan. Ingeborg Schödl über die Sozialpionierin und Selige.
Im Jänner 2012 ist Hildegard Burjan im Stephansdom selig gesprochen worden. Was hat sich seit damals verändert?
Ingeborg Schödl: Der Bekanntheitsgrad von Hildegard Burjan ist weit über die Grenzen Österreichs hinaus gestiegen.
Sie genießt nicht nur in ihrer Geburtsstadt Görlitz große Verehrung, sondern auch in anderen Gebieten Deutschlands, in Südtirol und im italienischen Sprachraum. Sogar aus Spanien kam eine Anfrage nach ihrer Lebensgeschichte. Seminarräume, Bildungshäuser, Altenheime tragen den Namen der neuen Seligen.
Das ist ein Beweis dafür, dass sich die Menschen vom Leben und Handeln dieser Frau angesprochen fühlen.
Was ist die bleibende Bedeutung Burjans für heute? Wie „aktuell“ ist Burjan?
Ingeborg Schödl: Das Leben von Hildegard Burjan war bestimmt von einem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein. Sie sagte ja einmal, dass sie sich ständig für all das Traurige, das auf der Welt geschieht, verantwortlich fühle. Das war auch die Triebkraft für ihr soziales und politisches Engagement für die Randgruppen der Gesellschaft.
In unserer Gesellschaft herrscht heute ein sehr Ich-bezogenes Klima. Solidarität wird oft zitiert, aber wenig praktiziert.
Hildegard Burjan gibt uns ein Beispiel, dass man sich von den Nöten der Zeit nicht abschotten soll, sondern jeder einen Beitrag zur Veränderung leisten muss.
Welche Bedeutung hat Hildegard Burjan für die Frau(en) von heute?
Ingeborg Schödl: Ich glaube schon, dass uns Frauen Hildegard Burjan auch heute ein Vorbild sein kann. Sie hatte den Mut, als Frau neue Wege zu gehen, um durch die weibliche Sichtweise Veränderungen anzustreben.
Als erste christlichsoziale Abgeordnete hat sie sich daher auf der politischen Ebene eingebracht und sich von Widerständen nicht entmutigen lassen.
Aber auch in der Kirche hat sie Maßstäbe gesetzt, als sie als Familienfrau die religiöse Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis gründete und diese als Vorsteherin leitete. Zu all dem fand sie die Kraft aus ihrem tiefen Glaubensverständnis heraus.
Die Selige ist auch ein Beispiel für gelebte Frauensolidarität. Obwohl Hildegard Burjan der höheren Gesellschaftsschicht angehörte, wurde ihr die Verbesserung der Lebens-und Arbeitsbedingungen der weiblichen Arbeiterschicht zum Lebensanliegen.
Sie formulierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts sozial- und arbeitsrechtliche Forderungen, die heute noch aktuell sind. Ich glaube, die Frage erübrigt sich daher, ob Hildegard Burjan „aktuell“ ist – sie ist es.
Eine Hinführung zu Leben und Werk von Hildegard Burjan verfasste die Vizepostulatorin für den Seligsprechungsprozess, Prof. Ingeborg Schödl.
In dem im Wiener Dom-Verlag erschienenen Buch „Hildegard Burjan. Frau zwischen Politik und Kirche“
zeichnet Schödl das Porträt einer Frau, die sich auf Basis ihres Glaubens tritt-sicher auf dem bisweilen
glatten Parkett zwischen Politik und Kirche bewegt.
Ingeborg Schödl
Frau zwischen Politik und Kirche
2008, Wiener Dom-vlg
Auflage: überarb. u. aktualis. Neuauflage
Nachwort von Judith Tappeiner
Flexibler Einband
232 Seiten
ISBN: 978-3-85351-204-3
Dieses Buch online bei der Wiener Dombuchhandlung "Facultas" erstehen
Die Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag"