Mit deutlicher Kritik an der gegenwärtigen Asyl- und Flüchtlingspolitik sowie der öffentlichen Debatte in Österreich darüber hat sich Kardinal Schönborn im Interview mit dem "Kurier" zu Wort gemeldet.
Mit deutlicher Kritik an der gegenwärtigen Asyl- und Flüchtlingspolitik sowie der öffentlichen Debatte in Österreich darüber hat sich Kardinal Schönborn im Interview mit dem "Kurier" zu Wort gemeldet.
Vorsitzender der Bischofskonferenz kritisiert Politik auf Rücken der Schwächsten.
Mit deutlicher Kritik an der gegenwärtigen Asyl- und Flüchtlingspolitik sowie der öffentlichen Debatte in Österreich darüber hat sich Kardinal Christoph Schönborn zu Wort gemeldet.
"Mit ihren ergebnislosen Gipfeln verzerrt die Politik die Wirklichkeit. Sie erzeugt den Anschein, dass die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge ein unlösbares Problem wäre. Damit wird ein an sich bewältigbares Problem in der Bevölkerung zunehmend als Überforderung des Landes empfunden", so Kardinal Schönborn am Sonntag, 28. Juni 2015 im Interview mit dem "Kurier". Zugleich warnte der Vorsitzende der Bischofskonferenz vor einer zusehends aggressiver werdenden Debatte. Es brauche eine "Abrüstung der Worte", denn: "Wer Österreich liebt, spaltet es nicht".
Problematisch bewertete der Wiener Erzbischof die Unterbringung von Flüchtlingen in Zelten: Dies habe "jedenfalls dazu beigetragen, den Eindruck in der Bevölkerung zu verstärken, dass kein regulärer Platz für Flüchtlinge mehr vorhanden ist. Was definitiv nicht der Fall ist." Kardinal Schönborn verwies darauf, dass in mehr als zwei Drittel der Gemeinden gar keine Flüchtlinge untergebracht seien, was die "Notwendigkeit von Zeltlagern sehr fragwürdig" mache, zumal es in der Bevölkerung "genug Hilfsbereitschaft gibt, um alle Flüchtlinge anständig aufnehmen zu können".
Der Zustrom von Flüchtlingen sei eine echte und große Herausforderung, die man nicht kleinreden solle, konstatierte Kardinal Schönborn. Dass die Aufgabe aber bewältigbar sei, zeige der Blick auf den Umgang Österreichs mit den Flüchtlingswellen aus Ungarn 1956, aus der Tschechoslowakei 1968 und im Zuge des Krieges in Jugoslawien. Sollten tatsächlich heuer 70.000 Flüchtlinge nach Österreich kommen, wären das aber nur acht Flüchtlinge auf 1000 Österreicher. "Wir können noch sehr viel tun, bevor wir an unsere Grenzen kommen", sagte der Wiener Erzbischof und verwies auf den Libanon, das ungefähr halb so viel Einwohner wie Österreich hat, aber bis dato über eine Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen habe. "Ich wünsche Österreich solche Zustände nicht, aber wir dürfen uns schon ein wenig beschämen lassen durch das, was dort getan wird."
Allen politischen Verantwortlichen empfahl der Vorsitzende der Bischofskonferenz "eine Abrüstung der Worte" und sagte: "Wer Österreich liebt, spaltet es nicht." Politik dürfe nicht auf dem Rücken der Schwächsten, auf dem Rücken von Flüchtlingen gemacht werden. Um den auch vorhandenen Ängsten zu begegnen, sollten die zahlreichen ermutigenden Beispiele "vor den Vorhang geholt" werden. Projekte in Alberschwende, Horn und Klosterneuburg machten deutlich, dass das Zusammenleben dort funktioniert, "wo die Zahl aus der Statistik ein Gesicht bekommt".
Besorgt zeigte sich Kardinal Schönborn über Anzeichen, dass der Ton der Auseinandersetzung allgemein "ungeduldiger, unduldsamer und aggressiver" zu werden scheint. Dazu Schönborn: "Wir können als Kirche da aber nur weiterhin tun, was unser Kerngeschäft ist: Menschen einen Halt im Leben geben. Helfen, das Gute in einem selbst zu kultivieren. Tugenden entwickeln helfen. Die Menschenwürde verteidigen."
Die heutige "Agitation gegen Zuwanderer und Flüchtlinge" durch Strömungen wie "Pegida" ist Ausdruck einer tiefen Verunsicherung innerhalb der westlichen Welt. Kardinal Christoph Schönborn untermauerte diese seine These am Montag, 29. Juni 2015 im "Kurier" mit der Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg, die zunächst von Stabilität sowie - auch durch das Ende des Kommunismus - von einem politischen und wirtschaftlichen Überlegenheitsgefühl geprägt gewesen sei.
Doch dies habe sich verändert, wies der Wiener Erzbischof hin: China sei an der Schwelle zur Wirtschaftsnation Nummer eins, an den Rändern Europas würde es "gefährlich brennen", der Westen scheine gegen Phänomene wie Boko Haram und IS machtlos zu sein. Fremdenangst sei vor diesem Hintergrund als Protest im Sinne von "Gebt uns unsere sichere Welt von damals zurück!" zu interpretieren, erklärte Schönborn.
Diese Ansicht äußerte der Kardinal im zweiten Teil eines "Kurier"-Interviews zum Thema Asyl; der erste war bereits in der Sonntagausgabe erschienen.
Auf die Frage, warum während der Bosnienkrise in Österreich deutlich mehr Flüchtlinge ohne derart heftige Reaktionen wie heute aufgenommen wurden, antwortete Schönborn: Die Bosnienkrise sei "als isoliertes Ereignis, noch dazu in unserer Nachbarschaft", wahrgenommen worden. "Da hilft man leichter, weil man denkt, dass das ja bald wieder zu Ende sein wird. Heute spüren die Menschen, dass die Flüchtlingsströme die Spitze einer Völkerwanderung sind."
Nächstenliebe als "die hohe Schule des Herzens" falle in so einer Situation nicht immer leicht. Angst, Enttäuschung und Unsicherheit könnten Gründe sein, "warum das Herz verschlossen bleibt", so Schönborn. Der Kardinal wandte sich dagegen, Menschen, die sich bedroht fühlen, "pauschal Charakterschwäche zu unterstellen". Das beste Mittel gegen Verunsicherung und Angst sei unmittelbarer Kontakt mit Flüchtlingen. Wer von Angesicht zu Angesicht von Fremden ihre Geschichte anhört, ihre Not sieht, "der redet und handelt meist anders als der, für den die Asylwerber eine anonyme Masse, eine Projektionsfläche sind". Der Kardinal wörtlich: "Hinschauen wirkt oft Wunder." Das mache auch mit Fremden vertraut, "und Vertrautheit öffnet das Herz".
Die Kirche versuche, bei der Flüchtlingsunterbringung "mit gutem Beispiel voranzugehen, statt dauernd anderen vorzurechnen, was sie leisten sollten". Viele Pfarren und Klöster hätten bereits Quartiere zur Verfügung gestellt, laufend kämen neue Angebote dazu. "Leider bleiben viele Angebote auch ungenutzt, weil die Bürgermeister nicht wollen oder weil aufgrund einer Einzellage die mobile Betreuung nur schwer zu organisieren ist", sagte Schönborn. Da, wo wirklich einmal ein Pfarrhof leer steht, fehlten meist die nötigen Sanitäreinrichtungen. "Aber insgesamt wächst unser Platzangebot."