"Ich wünsche mir, dass Österreich zu einer Landkarte der Menschlichkeit wird", sagt Klaus Schwertner.
"Ich wünsche mir, dass Österreich zu einer Landkarte der Menschlichkeit wird", sagt Klaus Schwertner.
Als Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, nach der großen Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer nach Catania fuhr, war er überrascht von der Hilfsbereitschaft der Sizilianer. Vor kurzem besuchte er das Flüchtlingslager Traiskirchen.
Herr Schwertner, ich habe vor unserem Gespräch mit einigen Menschen gesprochen, wie sie zum Thema Asyl stehen. Es sind engagierte Leute, denen es nicht egal ist, wie es den Flüchtlingen bei uns geht. Aber sie sind auch skeptisch. Wie kann eine Flüchtlingspolitik aussehen, die nicht schwarz oder weiß malt?
Klaus Schwertner: Es ist wichtig, dass es Bürgermeister in den Gemeinden gibt, die die Verantwortung übernehmen, wenn es um Schutzsuchende geht. Mit ein wenig politischem Mut ist diese Aufgabe zu bewältigen. Wenn Menschen mit dem Tod bedroht sind, begeben sie sich auf die Flucht. Und ja, es gibt in jeder Bevölkerung, in jedem Staat nicht nur Engel. In unseren Caritas-Einrichtungen betreuen und begleiten wir auch nicht nur Engel. Aber so zu tun, als wären alle Kriminelle, das ist einfach inakzeptabel.
Vor kurzem waren Sie im Flüchtlingslager Traiskirchen und haben das Lager einen "Ort der Schande für Österreich" genannt. Beschreiben Sie, was Sie dort gesehen haben?
Klaus Schwertner: Ich war das erste Mal dort, es ist wie in einem Hochsicherheitsgefängnis. Ich habe eine junge syrische Mutter getroffen, die auf ihrer Flucht 15 Tage in Ungarn in Haft war. 10 Tage lang hat sie kein Milchpulver für das Kind bekommen. Und das ist nur ein Einzelschicksal der Asylsuchenden in Traiskirchen. Was mich völlig erschüttert hat: Für 700 Menschen gibt es weder ein Bett noch eine Matratze noch ein Dach über dem Kopf. Ich konnte das nicht glauben. Die Flüchtlinge schlafen unter den Bäumen des Geländes, auf harten Garagenböden und in den Gängen. Bei jedem Wetter. Viele Österreicher sind davon erschüttert. Und aus dieser Erschütterung entstehen viele Privatinitiativen. Es gibt genug Leute, die sich für Flüchtlinge einsetzen möchten. Das ist auch unsere Verantwortung als Christen, einen Schritt auf sie zuzumachen, keine Angst zu haben. Wie können wir ihre Situation erträglich machen?
Als im April 700 Menschen bei ihrem Fluchtversuch von Afrika nach Europa im Mittelmeer ertrunken sind, sind Sie zum Schicksalshafen nach Catania auf Sizilien gefahren. Was haben Sie dort erlebt?
Klaus Schwertner: Da war viel Verzweiflung und Not. Menschen haben Familienmitglieder verloren. Eine Schwangere hat auf ihrer Bootsfahrt kein Wasser mehr gehabt und Salzwasser getrunken. Sie hat ihr Baby verloren. Sie wollte ihr Kind übers Mittelmeer in Sicherheit bringen. Sie hatte die Hoffnung auf ein gutes Leben in Sicherheit. Ein bescheidener Wunsch, den jeder von uns hat. Aber ich habe in Sizilien auch eine unglaubliche Mitmenschlichkeit erlebt. Die Willkommenskultur verpflichtet die Bewohner, Menschen aufzunehmen. Sie haben für die Flüchtlinge am Bahnhof gekocht. Die Flüchtlinge wurden mit großer Menschlichkeit und Wärme begrüßt. Ich habe kein einziges fremdenfeindliches Wort gehört. Der Bürgermeister von Catania hat gemeint, viele Sizilianer wissen, was es bedeutet, in Armut zu leben. Deshalb gibt es diese Hilfsbereitschaft und gleichzeitig die Enttäuschung, dass Europa die Länder an den Außengrenzen im Stich lässt.
In der Asylfrage kommt die Regierung auf keinen gemeinsamen Nenner. Die Politiker treffen sich in Asyl-Gipfeln und finden dennoch keine Lösungen für das Problem der Unterbringung von Flüchtlingen. Herr Schwertner, was würden Sie sich von der Regierung wünschen?
Klaus Schwertner: Die Solidarität in der Bevölkerung ist weitaus größer als bei den verantwortlichen Politikern. Wir brauchen ein neues funktionierendes System. In Sachen Asylverfahren ist da einiges passiert, das Bundesamt für Fremdenwesen ist ein richtiger Schritt. Aber was die Betreuung und Versorgung von Flüchtlingen angeht, funktioniert das System einfach nicht. Es geht um eine gemeinsame Strategie von Bund, Ländern und Gemeinden. Wir müssen aufhören, uns gegenseitig über die Medien irgendwelche Dinge auszurichten. Ich glaube, dass die Kirchen und Hilfsorganisationen bereits Verantwortung übernehmen. Doch gerade die minderjährigen Flüchtlinge haben zurzeit überhaupt keine kindgerechte Betreuung. Wir bitten dringend, privat Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Caritas begleitet die Bevölkerung in diesen Schritten. Ich würde mir wünschen, dass Österreich zu einer Landkarte der Menschlichkeit wird.
Klaus Schwertner studierte an der IMC Fachhochschule Krems Gesundheitsmanagement. Nach seinem Studium leitete er bei der NÖ Landeskliniken-Holding den Bereich PR & Kommunikation und war in dieser Funktion Pressesprecher der 27 niederösterreichischen Spitäler. Ab 2008 war Klaus Schwertner Pressesprecher der Caritas Erzdiözese Wien. 2010 initiierte er die gemeinsame Initiative "Gegen-Unrecht: Kinder gehören nicht ins Gefängnis" von Caritas, Diakonie, SOS-Kinderdorf und Amnesty International, die von über 75 Organisationen und mehr als 116.000 Menschen unterstützt wurde. Seit März 2013 ist er Geschäftsführer der Caritas Wien.
Neben über 4.400 hauptberuflichen leisten rund 2.100 freiwillige Mitarbeiter/innen in den Einrichtungen der Caritas der Erzdiözese Wien Hilfe von Mensch zu Mensch. Über 7.300 weitere Frauen und Männer sind freiwillig in pfarrlichen Caritas-Projekten im Einsatz (Stand: 2013).
Weitere Informationen unter www.caritas-wien.at
Weitere Informationen zu "Der Sonntag" - die Zeitung der Erzdiözese Wien